Streit um Facebook-Fahndung: Justizsenator muss sich stellen
FDP und CDU werfen Senator Steffen vor, die Polizei bei der Fahndung nach dem mutmaßlichen Berlin-Attentäter behindert zu haben. Der Justizausschuss soll es klären
Der justizpolitische Sprecher der CDU, Richard Seelmaecker, begründet die Einberufung zur Sondersitzung des Justizausschusses mit einer angeblichen Behördenpanne: „Wir wollen klären, wie wir zukünftig sicherstellen, dass unsere Strafverfolgungsbehörden umfassend handlungsfähig sind.“ Denn laut FDP und CDU habe die Justizbehörde und allen voran Senator Steffen deren Arbeit behindert. Erst mit zwölfstündiger Verspätung hatte die Behörde der Polizei erlaubt, auch auf Facebook einen Fahndungsaufruf nach dem mutmaßlichen Berliner Attentäter zu veröffentlichen.
Aus Sicht des FDP-Ausschussmitglieds Anna von Treuenfels-Frowein verstieß Steffen damit gegen seinen Amtsauftrag: „Eine frühere Facebook-Fahndung durch Hamburgs Polizei hätte zu seiner Ergreifung beitragen können.“ Auch wenn Amri sich nach derzeitigem Stand auf seiner Flucht nicht in Hamburg aufgehalten habe, sei von Treuenfels-Frowein dennoch „ernsthaft geschockt“ von Steffens unentschlossenem Handeln.
Die Justizbehörde sieht die Fahndung mithilfe von Facebook und Twitter anders. Einerseits bestehe die Gefahr, dass „auf der offiziellen Seite der Polizei von Privaten beleidigende, volksverhetzende oder in anderer Weise strafbare Inhalte verbreitet werden“, lässt die Behörde mitteilen. Zudem könnte die Arbeit der Ermittlungsbehörden durch in den Kommentarspalten getätigte Zeugenaussagen auch behindert werden. Weil vor allem Facebook die Forderung der Behörde zur Deaktivierung der Kommentarfunktion in solchen Fällen nicht nachkomme, will sie die Internetplattform nicht nutzen, heißt es. Im Fall Amri stimmte Steffen später doch noch zu – aufgrund der herausgehobenen Bedeutung der staatsgefährdenden Straftat.
Ausgangspunkt der Debatte war die Entscheidung des Bundeskriminalamts, kurz vor Weihnachten öffentlich nach dem mutmaßlichen Attentäter von Berlin zu fahnden.
Außer Hamburg und Bremen hatten die Polizeibehörden aller Bundesländer den Fahndungsaufruf auch auf Facebook sofort veröffentlicht.
Justizsenator Till Steffen (Grüne) gilt als großer Kritiker von Fahndungsaufrufen via Facebook, da das Unternehmen nichts gegen Hasskommentare unternehme, so seine Begründung.
Mittlerweile hat Steffen den Generalstaatsanwalt um eine einstweilige Regelung gebeten, sodass auch Hamburgs Polizei vorerst über Facebook und Twitter Fahndungsaufrufe veröffentlichen kann.
Steffen erklärte, die Polizei hätte nicht auf seine Anweisung warten müssen. „Wir haben da keine eigene Zuständigkeit“, sagte er dem Hamburger Abendblatt. AfD, CDU und FDP fordern nun den Rücktritt des Justizsenators. „Der Senator verwickelt sich in immer mehr Widersprüche“, sagt von Treuenfels-Frowein. Er wolle die Schuld auf die Polizei abschieben. „Wenn er seine widersprüchlichen Aussagen in der Ausschusssitzung nicht erklären kann, muss Bürgermeister Olaf Scholz von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und einen Ersatz finden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin