Streit um Energiewende: Wissen und Wärmepumpen
Im Streit um schleppende Transformationen taugen Detailaufnahmen besser zum Verständnis als große Theorien. Eine Zeitungsschau zur Zeitenwende.
S oll man jubeln oder weinen? Fünfzig Jahre nachdem die „Grenzen des Wachstums“ erschienen und Robert Jungk im „Jahrtausendmenschen“ die Werkstätten der Zukunft besich-tigt hatte, erschien am vergangenen Freitag eine Sonderausgabe der FAZ. Groß die Ankündigung: „Wie wir in Zukunft leben wollen.“ Nicht mit Fragezeichen, mit Punkt.
Die Ausgabe ist durchsetzt mit Artikeln über vertikale Agrikultur, innovative Mobilität, Städtebau, Entmüllung des Konsums, Revolutionierung der Logistik, sogar über „Verzicht“. Im Feuilleton plädiert Dietmar Dath für „Hopepunk“ und „Anti-Dystopien. Die Interviewer von Herman Daly, dem Nestor der Steady-State-Economy, geben dem Argument, dass unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist, großen Raum, bedauern fast, dass es kein Gegenkonzept zum Kapitalismus gebe – und setzen dann auf die nicht ausgeschöpften Potenziale eines „Grünen Wachstums“.
Keine Totalwende, nein, aber eine kleine Akzentverschiebung. Strenge Theoretiker werden eh nicht einverstanden sein, etwa Ulrike Herrmann, die in den Blättern (10/22) anhand von Materialströmen vorrechnet, dass eine noch so grüne Technik sich nie weltweit durchsetzen kann. Ihr Vorschlag, wir sollten uns für ein geplantes Gesundschrumpfen an der britischen Kriegs-Planwirtschaft mit ihren Bezugsscheinen und minutiösen Vorgaben orientieren, greift aber zu kurz. Weniger Fleisch, Harz statt Mallorca, das klingt zwar gut, aber welcher parteienparlamentarische Staat könnte so etwas durchsetzen, und welche volkswirtschaftlich programmierten Computer hätten schon durchgerechnet, was die ökonomischen und sozialen Folgen wären.
Mich plagt seit einiger Zeit ein Unbehagen an Theorien mit hohem linken Zustimmungswert, aber zu großer Flughöhe, an deren Ende regelmäßig die Frage „Und wer soll das machen?“ steht, ebenso wie an analytisch noch so triftigen, aber emotional aufgeladenen Predigten, wir müssten nur „die Irrationalität des Ganzen“ und unseren Eigenanteil daran akzeptieren und dann „eine andere Politik etablieren“ (Stephan Lessenich, „Nicht mehr normal“). Das eine haben die meisten längst, für das andere fehlt die Gebrauchsanweisung. Andererseits sehnt man sich beim Lesen der Zukunfts-FAZ nach einer großen befeuernden Perspektive.
Einen belebenden Ausweg brachte mir die Lektüre von Bernd Ulrichs Porträt der Institution Wirtschaftsministerium in der Zeit (40/22). Der Gang durch die Entscheidungslabyrinthe endet beim Zuständigen für Wärmepumpen, die ja a tempo 12 Millionen Gasheizungen ersetzen sollen. Und es begab sich folgender schöne Dialog, den ich leicht gekürzt hier zitiere:– 2021 wurden nur 150.000 Wärmepumpen verbaut. Seit dem Gaskrieg mit Putin wollen fast alle eine. Das ist doch gut, oder?
– Fast. Die Installateure stellen sich um.
– Und?
– Es gibt zu wenige.
– Warum?
– Weil die Leute auch noch ihre Bäder sanieren wollen zum Beispiel.
– Aber wenn sie weniger sanieren und mehr Wärmepumpen einbauen, dann läuft’s?
– Nicht ganz, es gibt zu wenige.
– Installateure?
– Wärmepumpen.
– Warum?
– Jeder Hersteller hat ein anderes Modell, und die Geräte werden händisch zusammengebaut, da muss erst mal eine industrielle Fertigung her.
– Und dann kann genug produziert werden?
– Wenn es genug Halbleiter gibt.
– Die sind doch gerade knapp.
– Eben.
– Okay, also wenn es die Nachfrage gibt und die Installateure und die Halbleiter und die industrielle Fertigung, dann rollt die Sache?
– Nun, es gibt da noch das Problem mit den Kühlmitteln. Die sind bisher klimawirksam.
– Sie schützen das Klima?
– Sie gefährden es.
– Gibt’s denn da keine Ersatzstoffe?
– Schon.
– Aber?
– Die sind brennbar.
– Ah.
– Wir arbeiten dran.
– Also, wenn es nun die Nachfrage gibt und die Installateure und die industrielle Fertigung und die Halbleiter und die richtigen Kühlmittel, dann können Sie Ihr Ziel erreichen, 1 Million pro Jahr einzubauen?
– Wenn das mit dem Baufenster geklärt ist.
– Baufenster?
– Das ist der Teil eines Grundstücks, der bebaut sein darf.
– Und?
– Ja, die Wärmepumpe muss zum Teil draußen sein. Dann ist sie außerhalb des Baufensters.
– Was macht man da?
– Man muss die Bauordnung ändern.
– Und das machen Sie?
– Nein, es sind Landesbauordnungen.
– Also 16 verschiedene!?
– Ja, 16. Wir sind in konstruktiven Diskussionen mit den Ländern.
– Danke für das Gespräch.
Ich bin sicher: Mehr solcher Detailaufnahmen mit hoher Auflösung könnten immunisieren gegen allzu große Gedanken und den Streit, wer schuld ist, wenn Transformation nicht schnell genug geschieht. Gleichzeitig steckt in ihnen die anspruchsvolle Aufforderung zur staatlichen Planung: von Rohstoffströmen, Ausbildung, Föderalismusreformen.
Einzelheiten sind eigentlich spannender als Leitartikel oder Großgedanken. Wie sagte Luhmann: Aufklärung, die sich über sich selbst aufklärt, organisiert sich als Arbeit. Wenn’s gut werden soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr