Streit um Bezahlkarte in Berlin: Hohe Kosten, viel Aufwand
Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe kritisiert, die Bezahlkarte für Asylbewerber koste viel Geld und Personal. Mit der CDU gibt es Streit über den Barbetrag.
![Cansel Kiziltepe spricht im Berliner Abgeordnetenhaus Cansel Kiziltepe spricht im Berliner Abgeordnetenhaus](https://taz.de/picture/7313431/14/36617309-1.jpeg)
Damit nicht genug: „Weitere Prüfungen der finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf Personal und andere Ressourcen des Landes Berlin schließen sich an“, erklärt die Senatorin auf taz-Anfrage. Sie gehe davon aus, dass die Bezahlkarte Mehraufwand für das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) bedeutet – also mehr Personal. Wie viel mehr, hänge unter anderem davon ab, für welchen Personenkreis die Karte eingeführt wird.
Kiziltepe lehnt die Bezahlkarte eigentlich als integrationsfeindlich ab. Sie hatte sich in der Vergangenheit allerdings dahingehend geäußert, dass sie die Karte befürworte, wenn sie zu einer Vereinfachung von Verwaltungsabläufen führen würde. Nun ist offenbar das Gegenteil der Fall. Aber Berlin ist durch einen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz verpflichtet, die Bezahlkarte einzuführen.
Über Details kann das Land selbst entscheiden. Das wären beispielsweise der Zeitpunkt der Einführung und die Höhe des Bargeldes, das Asylbewerber mit der Karte abheben dürfen. Einige Länder wie Sachsen-Anhalt wollen es auch möglich machen, mit der Bezahlkarte das Abo für das Deutschland-Ticket zu bezahlen. Denn auch das ist kompliziert: Mit der Bezahlkarte sind Geldüberweisungen nur möglich, wenn das Amt sie im Einzelfall bewilligt.
Koalitionsstreit um Barbetrag
In Berlin, erfuhr die taz aus Koalitionskreisen, brennt derzeit ein Streit zwischen SPD und CDU über die Höhe des monatlichen Barbetrages, der Asylbewerbern mit der Bezahlkarte zustehen soll. Die CDU und der Regierende Bürgermeister Kai Wegner wollen ihn dem Vernehmen nach auf 50 Euro begrenzen, so wie es andere Bundesländern bereits tun.
Die SPD und Kiziltepe wünschen einen höheren Geldbetrag, auch um Gerichtsverfahren zu vermeiden. In Hamburg und Bayern haben Gerichte in vorläufigen Entscheidungen die Bargeldhöhe von 50 Euro in Einzelfällen gekippt. Auch der Zeitpunkt der Einführung ist strittig. Während die CDU aufs Tempo drücken soll, will die SPD Gerichtsentscheidungen aus anderen Bundesländern abwarten, um rechtssicher agieren zu können.
Der Flüchtlingsrat sieht in der Bezahlkarte einen Verstoß gegen das Landesantidiskriminierungsgesetz und hat darum eine Beanstandung eingereicht. „Den geflüchteten Menschen werden Freiheitsrechte genommen und ihre Persönlichkeitsrechte durch die Übermittlung sensibler Daten verletzt“, kritisiert er.
Ein Amt am Limit
Auf der Seite des LAF wiederum dürfte die zu erwartende Mehrarbeit durch die Karte ebenfalls zu mehr Problemen führen. Das Amt ist ohnehin am Limit: Wie die taz berichtete, haben Personalrat, Frauen- und Behindertenvertretung eine kollektive Überlastungsanzeige beim Senat eingereicht. Sie beklagen zu wenige Stellen, was zu einer permanenten Mehrarbeit für die Angestellten führe, einer hohen Fluktuation und der Schwierigkeit, für die freien Stellen Bewerber zu finden.
Kiziltepe teilt die Kritik gegenüber der taz und fordert mehr unbefristete Stellen im Amt. „Zudem setze ich mich auf Bundesebene dafür ein, dass das LAF nicht durch weitere gesetzliche Verschärfungen überfordert wird. Denn zunehmend komplexe und restriktive Gesetze belasten das LAF mit kaum noch personell und rechtssicher zu bewältigenden Verfahren.“
Umso unverständlicher ist es, dass die Personalratschefin des LAF, Nurda Tazegül, kürzlich in einem Beitrag in der ARD das Gegenteil forderte: mehr Restriktionen für Asylbewerber sowie Sachleistungen statt Bargeld. Diese Forderungen würden die Mitarbeitenden nicht entlasten, sondern ihnen nur noch mehr Arbeit aufbürden, kritisiert Adam Bahar vom Flüchtlingsrat. Solche Restriktionen führten zu Widersprüchen und Eilanträgen bei Gerichten, die es aufgrund ungerechtfertigter Entscheidungen ohnehin genug gebe.
Tazegül, die bis vor einigen Jahren der Linken angehörte, verstieß mit ihren Äußerungen zudem wohl gegen das Mäßigungsgebot im Beamtenrecht. Stefan Strauß, Sprecher von Kiziltepes Sozialverwaltung, will sich dazu jedoch nicht äußern. „Zu Personalangelegenheiten sagen wir grundsätzlich nichts gegenüber der Presse.“
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