Streit um Arbeitslosengeld I: Müntefering provoziert Beck
Arbeitsminister Müntefering legt im Streit um das Arbeitslosengeld I ein Kompromissangebot vor - und verlängert damit den Machtkampf mit SPD-Chef Beck.
BERLIN taz Arbeitsminister Franz Müntefering hat im Führungsstreit mit SPD-Chef Kurt Beck einen Kompromissvorschlag unterbreitet. Die Bedingungen, unter denen er sich eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere vorstellen kann, faxte Müntefering Mitte voriger Woche nach Andalusien. Dort verbrachte Beck gerade seinen Herbsturlaub. Am Samstag machte der Minister einen Teil dieser Vorstellungen in einem Interview mit der Bild-Zeitung selbst öffentlich.
Deutet also alles auf eine Einigung zwischen Müntefering und Beck hin? Nein. Denn was wie ein Versöhnungsangebot an den SPD-Chef aussieht, ist in Wahrheit die Fortsetzung des Machtkampfes mit anderen Mitteln: mit Daten, Zahlen und Fakten.
Müntefering will einer Verlängerung der Bezugsdauer nur zustimmen, wenn sie an schärfere Auflagen für die Arbeitslosen gebunden ist. Ältere Arbeitslose sollten Qualifizierungen oder Fortbildungen absolvieren. Nur wer sich dieser Pflicht unterwirft, bekäme, abhängig von der Dauer der Maßnahme, länger Arbeitslosengeld I. Außerdem soll der Druck zur Annahme jeder beliebigen Arbeit erhöht werden. Arbeitslose müssten zudem über 55 Jahre alt sein - und nicht über 45 Jahre, wie von Beck vorgeschlagen -, um 24 Monate Arbeitslosengeld I zu erhalten. Schließlich soll die Möglichkeit zur Frühverrentung für ältere Arbeitslose vollständig ausgeschlossen werden. Müntefering denkt auch an Sonderregelungen für Regionen mit besonders hoher Langzeitarbeitslosigkeit. Das Fazit der Arbeitsministers: "Dann wäre die Laufzeit in der Praxis verlängert, ohne die Menschen in der Passivität zu lassen."
Genau dort, wo Beck den Druck aus dem Kessel lassen will, erhöht ihn Müntefering. Kein Wunder also, dass der SPD-Chef den Vorschlägen des Arbeitsministers nur wenig abgewinnen kann. In seinem Umfeld sprechen einige von einer "bodenlosen Frechheit" Münteferings. Öffentlich geäußert hat Beck sich allerdings nicht dazu. Die Zurückweisung der Müntefering-Pläne überließ er Andrea Nahles, designierte stellvertretende Parteivorsitzende. Beck selbst erklärte in der BamS lediglich, die SPD werde auf ihrem Parteitag Ende Oktober einen Beschluss fassen, dessen Grundlage ein vom DGB erarbeitete Konzept sei.
Die Vorstellungen der Gewerkschaften zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere passen mit denen des Arbeitsministers nur schwer zusammen. Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeisters und SPD-Linker, erklärte am Wochenende wohl nicht ganz zufällig, er könne sich einen Kompromiss zwischen Beck und Müntefering überhaupt nicht vorstellen. "Es macht auch keinen Sinn, danach zu suchen."
Der SPD stehen, wieder einmal, schwierige Tage bevor. Beck kommt am Montag aus dem Urlaub zurück, dann will er mit Müntefering und Fraktionschef Peter Struck gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Nur ein Versprechen gilt: Ein Showdown auf dem Parteitag soll es nicht geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour