Streit um Alte Münze: Jazz ist jetzt der Renner
Der Kultursenator hat entschieden, dass in der Alten Münze ein Zentrum für Jazz entsteht. Beteiligte eines Partizipationsverfahren reagieren empört.
Was aus der Alten Münze wird, darüber streiten Politik und Kulturschaffende in dieser Stadt seit Jahren. Nun ist dieser Streit in die nächste Runde gegangen. Am Montagnachmittag gab Kultursenator Klaus Lederer (Linke) bekannt, dass in dem großen Gebäudekomplex am Molkenmarkt in Mitte nun doch unter anderem ein „Zentrum für Jazz und improvisierte Musik“ entstehen soll.
Das Konzept stammt von der Berliner IG Jazz und basiert auf der Idee des Jazztrompeters Till Brönner unter Federführung des damaligen Kulturstaatsministers Tim Renner. Schon 2016 hatte der Haushaltsausschuss des Bundestages 12,5 Millionen Euro zur Sanierung der Alten Münze bereitgestellt.
Lederer hatte schon kurz nach seinem Amtsantritt 2016 erklärt, das Projekt von Brönner abblasen und in der Alten Münze lieber ein „Haus für die Basiskultur“ schaffen zu wollen. Der Beschluss dazu fiel 2018 im Abgeordnetenhaus. Das Argument gegen das House of Jazz: 12,5 Millionen reichen nicht.
Die Sanierung des riesigen Gebäudetrakts bis voraussichtlich mindestens 2026 wird ein Kraftakt, inzwischen hat das Land Berlin 35 Millionen dafür genehmigt. Außerdem hatte für die Finanzierung des laufenden Kulturbetriebs ab 2026 der Bund noch keine Gelder zugesagt.
15.500 Quadratmeter Nutzfläche
Das Haus, das 1935 von den Nazis erbaut und bis zum Jahreswechsel 2005/06 als Produktionsstätte für Münzen genutzt wurde, verfügt über 15.500 Quadratmeter Nettoraumfläche. Die Sanierung soll frühestens 2026 beendet sein.
Neben dem Haus für Statistik am Alexanderplatz ist die Alte Münze die letzte Perle in der Mitte Berlins, die nicht nur dem Land gehört, sondern wo vielleicht eines Tages auch noch Offkultur wird stattfinden können.
Viele VertreterInnen der Freien Szene reagieren nun entsetzt auf den Beschluss der Kulturverwaltung. „Wir sind davon ausgegangen, dass die Alte Münze ein transdisziplinärer Veranstaltungsort wird“, sagt Katharin Ahrend von den Spreewerkstätten. Die Spreewerkstätten erschließen mit viel Gespür und jeweils einjährigen Mietverträgen seit 2014 den Ort – inzwischen ein Drittel der Flächen.
Sie möchten die Alte Münze auch weiterhin bespielen. Darum war Ahrend auch eine von 40 teils ausgelosten, teils gesetzten TeilnehmerInnen eines vom Kultursenat initiierten Beteiligungsverfahrens, das von Februar bis Juni 2019 lief. Bei der Vorstellung der Ergebnisse im Juni 2019 wirkten die Konzepte, die in diesem Prozess entstanden sind, sehr offen und flexibel.
Das Haus ist prädestiniert für Musikprojekte
Allein für das zentrale Haus 4 im Innenhof der Alten Münze, in das nun das Zentrum für Jazz einziehen soll, lagen am Ende drei Konzepte vor: Nicht nur das der IG Jazz Berlin, die sich natürlich freut, dass sich Lederer für ihres entschieden hat, sondern auch eines der Spreewerkstätten und eines der Initiative Neue Musik (INM). Denn dieses Haus ist prädestiniert für Musikprojekte, da es relativ abgeschottet durch die äußeren Gebäudeteile der Alten Münze ist und über gigantisch große Keller verfügt, sodass hier mehr Lärm gemacht werden könnte als anderswo.
Doch abgesehen von diesem Schwerpunkt liegt bei den meisten Konzepten vom Sommer der Fokus auf Offenheit für alle AkteurInnen der Freien Szene dieser Stadt. Auch der letzte Beschluss des Abgeordnetenhauses vom 21. Oktober klang wenig nach Festlegung auf ein Nutzungskonzept, und das erscheint ja auch als sinnvoll bei der Unberechenbarkeit der Raumbedarfe im Kulturbereich der kommenden Jahre.
„Das, was der Kultursenat da beschlossen hat, wird keine gemeinsame Strahlkraft haben“, so Ahrend. Viele, die an dem Partizipationsverfahren teilnahmen, sehen das ähnlich. „Dass es nun etwas mit Jazz und Till Brönner werden soll, lag vorher schon nahe, man will ja das Bundesgeld nicht in den Wind schießen“, so Christophe Knoch, ehemals Sprecher der Freien Szene. „Das ganze Beteiligungsverfahren wirkt nun wie eine Farce“, so auch Claudia van Hasselt von der INM zur taz. „Gemessen an dem Prozess und den Bedarfen der freien Musikszene insgegsamt ist es ein kulturpolitisches Desaster.“
Selbst Daniel Wesener, kulturpolitischer Sprecher der Grünen, sieht bei allem Verständnis für die Vorteile eines finanziellen Engagements des Bundes beim Unterhalt und Betrieb des Riesengebäudes anlässlich der neuen Entwicklung noch viele offene Fragen. Es müsse zum Beispiel ausgeschlossen sein, dass mit dem Zentrum für Jazz auf dem Gelände der Alten Münze „eine Art Ufo landet, das nichts mit dem Rest des Hauses, den anderen künstlerischen Nutzungen und Berlins kulturpolitischen Zielen zu tun hat“.
Wer soll es entscheiden?
Für den Kultursenat dagegen ist die Entscheidung über die Alte Münze „keineswegs überraschend“, so Pressesprecherin Anja Scholtyssek. Die Berliner Jazzszene sei „divers und international anerkannt, bisher aber vor allem dezentral organisiert“. Hinzu komme, dass sowohl die Spreewerkstätten als auch die INM zu wenig von ihren Konzepten abgewichen seien, während das Jazzkonzept in der Zusammenarbeit mit dem Bund erweitert worden sei. „Es ist etwas dezidiert anderes als die Ursprungsidee des House of Jazz“, so Scholtyssek, es öffne sich „auch für andere Genres der Musikszene“.
In einem Interview mit der taz äußerte sich Lederer bereits kurz vor Weihnachten resolut: „Die Entscheidung über ein Raumprogramm als Ergebnis eines Partizipationsprozesses liegt bei mir. Immerhin handelt es sich um eine öffentliche Immobilie. Wer soll es denn sonst entscheiden? Der Nutzungskonflikt ist in einem solchen Verfahren ein Stück weit angelegt.“
Berlin, so hatte Lederer im Zusammenhang mit der Alten Münze bereits früher eingeräumt, hat allerdings bislang wenig Erfahrung in puncto Beteiligungsverfahren. Es war ein kulturpolitisches Experiment, das er mit der Alten Münze gewagt hat.
Glaubt man den aktuellen Äußerungen vieler Beteiligter, so könnte dieses Experiment jetzt gescheitert sein. Mehr noch: Es könnte auch die Chance verschenkt sein, mitten in der Stadt einen aussagekräftigen und bezahlbaren Ort für Kreative dieser Stadt zu schaffen, die sich alle mit ihm identifizieren können. Einen Ort, auf den andere Metropolen Europas hätten neidisch werden können.
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