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Streit über Tempo auf AutobahnenGroKo am Limit

Die Umweltministerin stellt sich gegen den Verkehrsminister. Union und SPD geraten in der Tempolimit-Debatte auf Konfrontationskurs.

Ein Zeichen? 130 Stundenkilometer könnten reichen Foto: dpa

Berlin dpa | Im Streit um ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist Bundesumweltministerin Svenja Schulze auf Konfrontationskurs zu Verkehrsminister Andreas Scheuer gegangen. „Ich bin für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen“, sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. Auch die neue SPD-Chefin Saskia Esken legte in der Debatte noch einmal nach: Es gebe nur wenige Länder ohne Tempolimit. Nordkorea gehöre dazu, schrieb sie am Samstag bei Twitter.

Kritiker von Union und FDP wiesen die Forderungen scharf zurück. Rückendeckung bekamen die Befürworter einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung dagegen von der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Ein Tempolimit verringere die Unfälle mit Todesfolge und spare jährlich ein bis zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2), sagte Umweltministerin Schulze. „Insofern spricht der gute Menschenverstand für die Einführung eines generellen Tempolimits, das es in fast allen EU-Ländern längst gibt.“

Auch im Netz wurde weiter lebhaft über das Thema diskutiert. SPD-Chefin Esken beteiligte sich mit mehreren Kommentaren beim Kurznachrichtendienst Twitter: „(..) in Nord-Korea gibt es kein Tempolimit, ebensowenig wie zum Beispiel in Afghanistan“, schrieb Esken unter anderem. „Es gibt sonst fast kein Land mehr mit unbeschränktem Tempo. Sind die alle verrückt?“

GdP fordert Gutachten

Der CSU-Verkehrspolitiker Ulrich Lange übte scharfe Kritik an der Haltung der SPD bei dem Thema: „Die neuen SPD-Vorsitzenden sind offensichtlich völlig von der Rolle“, sagte der stellvertretende Fraktionschef der Unionsfraktion im Bundestag der dpa. „Wer glaubt, ein generelles Tempolimit sei die dringendste Maßnahme, um die Abwanderung von SPD-Wählern zu stoppen, dem ist offensichtlich der politische Kompass verloren gegangen.“ Deutschland habe „mit die sichersten Autobahnen der Welt“.

Meine Freiheit wird beschränkt, wenn jemand wie ein Blöder an mir vorbeirast.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt

Der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic sagte am Samstag: „Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ist Symbolpolitik und würde weder den Klimaschutz noch die Verkehrssicherheit nennenswert voranbringen.“ Er sprach sich für flexible Geschwindigkeitsbegrenzungen je nach Wetter und Verkehrslage aus.

Ein Vorschlag zur Beruhigung der Debatte kam von der Gewerkschaft der Polizei (GdP): Die Bundesregierung solle ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten in Auftrag geben, um valide Zahlen über den Nutzen einer Geschwindigkeitsbegrenzung zu bekommen, sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens dem Handelsblatt. „Mit einer solchen Grundlage kann man die aktuell sehr emotionsgeladene Diskussion sicher auf eine sachliche Ebene bringen.“

Die GdP gehört selbst zu den Tempolimit-Befürwortern. „Mit einer Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen verringert sich auch das Risiko schwerer Unfälle mit Schwerstverletzten“, sagte Mertens. Es gebe Schätzungen, die davon ausgehen, dass man mit einem Tempolimit bundesweit etwa 80 Verkehrstote pro Jahr vermeiden könne. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, der Verzicht auf so eine Regelung habe mit Freiheit gar nichts zu tun. „Meine Freiheit wird beschränkt, wenn jemand wie ein Blöder an mir vorbeirast.“

70 Prozent des Autobahnnetzes ohne Limit

In Deutschland sterben jährlich mehr als 3.000 Menschen im Straßenverkehr. FDP-Politiker Luksic wies allerdings auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes hin, wonach die meisten Menschen auf Landstraßen ums Leben kommen.

Auf dem Großteil der Autobahnen in Deutschland gilt nach wie vor freie Fahrt. Ohne verbindliches Tempolimit sind 70 Prozent des Autobahn-Netzes. Dauerhaft oder zeitweise geltende Beschränkungen mit Schildern gibt es auf 20,8 Prozent des Netzes, wie aktuelle Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen für 2015 zeigen – am häufigsten sind Tempo 120 (7,8 Prozent) und Tempo 100 (5,6 Prozent). Dazu kommen variable Verkehrslenkungsanzeigen.

Die Tempolimit-Debatte war über Weihnachten erneut hochgekocht. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte sich ablehnend geäußert und gesagt: „Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hoch emotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster zu stellen – für das es gar keine Mehrheiten gibt.“ Der Regierungspartner SPD hatte auf einem Parteitag Anfang des Monats ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen gefordert (PDF) und dies mit Verkehrssicherheit und Klimaschutz begründet.

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14 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Jahreswechsel: seit jeher die Zeit der Bilanzen. Nicht nur der pekunären, sondern auch der wirklich wichtigen.

    Für das Adult-Kasperletheater der GroKo wäre es in meinen Augen ein würdiger Abschluss, wenn sie am Streit über ein Tempolimit scheitern würde.

    Tempolimit 130: eine Melange aus Placebo und Symbolhandlung. Die Folgen sind im Detail noch völlig unklar. Was ist zudem mit Tempolimits an anderen Stellen, auf anderen Straßen? Aufschrei.

    Ein Land und seine Themen und Nicht-Themen: Nur noch zum Gruseln.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      ja - wenn solche Themen eine derartige Wichtigkeit bekommen, wird Politik und Journalismus zum Gruseln.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""70 Prozent des Autobahnnetzes ohne Limit""

    ==

    Um was geht es?

    Es geht darum eine sachliche und aufgeklärte Diskussion zu führen - die letztendlich darum geht, vernünftige sach- und nachhaltige zukunfts-orientierte Entscheidungen zu treffen.

    Das bedeutet das ein Tempolimit auf Autobahnen wohl kaum mit der Anzahl von Unfällen herbei argumentiert werden kann. Wenn es darum ginge müßte dringend etwas auf den Landstrassen passieren.

    Statistik 2016 -

    Unfälle Autobahn 21.193



    innerorts 211.686



    Landstrassen 75. 266

    Spitzenreiter bei Verkehrstoten ist die Landstrasse - 1. 853 und der Verkehr innerorts - mit 960 Verkehrstoten jährlich/2016. (Autobahn = 393 Verkehrstote)

    Wenn es um den Klimaschutz geht sollten die Ergebnisse der Reduktion der Geschwindigkeit in den Niederlanden abgewartet werden. Spätestens in einem Jahr werden wir genauer wissen welchen Anteil die CO2 und NOx Verschmutzung durch hohe Geschwindigkeiten ergibt. -

    Wie schwierig diese Diskussion die dann folgt werden wird erklärt folgende Tatsache:

    Die Landwirtschaft ist noch vor dem Verkehr und der Industrie der größte NOx-produzent der Niederlande. Bei den verschiedenen Lösungsansätzen zur Minderung stand auch das Szenario im Raum, den Nutzviehbestand drastisch, also um 50 Prozent zu reduzieren.

    Das zeigt das das Wesentliche in dieser Diskussion eine faktenbasierte Auseinandersetzung sein sollte. Ohne Einbussen wird Klimaschutz nicht funktionieren - und dafür braucht es lediglich Einsicht und Aufklärung.

    Diskussionen die an der Oberfläche kratzen und herbeigezerrte Argumentationen welche die realen Verhältnisse nicht abbilden werden das Gegenteil an Reaktionen erzeugen.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @06438 (Profil gelöscht):

      .



      "Statistik 2016 -



      Unfälle Autobahn 21.193



      innerorts 211.686



      Landstrassen 75. 266"



      Mit drei herausgegriffenen und isolierten Zahlen kommen Sie nicht weit.



      Wieviele Parkrempler stecken in der Zahl für innerorts mit drin? Wer sind die Unfallbeteiligten, bzw. Unfallgegner? Wieviele Kilometer Landstraße, Autobahn und innerörtliche Straßen haben wir in Deutschland und, sehr wichtig, wieviele gefahrene Kilometer entfallen denn jeweils auf Landstraßen, Autobahnen und innerörtlichen Verkehr, pro beförderte Person, pro Fahrzeug, dann auch aufgeschlüsselt nach Fahrzeugklassen, pro beförderte Einheit Nutzlast, und, und, und,......

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @61321 (Profil gelöscht):

        ""Mit drei herausgegriffenen und isolierten Zahlen kommen Sie nicht weit.

        Wieviele Parkrempler stecken in der Zahl für innerorts mit drin?""



        ==



        Es geht um die Argumentation Personenschutz durch Reduktion der Geschwindigkeit auf Autobahnen herstellen zu wollen - um damit eine Reduktion von Co2 und Nox zu erreichen.

        Ihren Parkrempler machen sie für die 960 Verkehrstoten innerorts und für die 1853 Verkehrstoten auf Landstrassen verantwortlich?

        Sollten sie für mehr Personenschutz argumentieren -

        Zitat " Mit einer Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen verringert sich auch das Risiko schwerer Unfälle mit Schwerstverletzten“, sagte Mertens. Es gebe Schätzungen, die davon ausgehen, dass man mit einem Tempolimit bundesweit etwa 80 Verkehrstote pro Jahr vermeiden könne.""

        Das bedeutet: Sie retten 80 Menschenleben - und lassen die Verhältnisse auf Landstrassen und innerorts wie sie sind?

        Sollten sie für Klimaschutz optieren hilft lediglich Co2 und Nox Reduktion und Vermeidung - und zwar überall - und nicht nur auf Autobahnen.

  • Der Verkehr fließt nachgewiesenermaßen besser, wenn alle in einem engen Geschwindigkeitsband unterwegs sind.

    Aber das Tempolimit ist dem Deutschen, das was der Waffenbesitz in den USA ist. Ein Götze eben.

  • Andreas Scheuer (CSU) „Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hoch emotionale Thema (...)" Stimmt Andy. Für Klima und Umwelt im Klartext unsere Überlebensgrundlage auf dem Planeten Erde also auch in Deutschland und sogar in Bayern ist die Abschaffung des Verbrennungsmotors, der Ausbau von Schiene, Nahverkehr und eine Abkehr vom Werbeintensiv produzierten Irrglauben dass nur ein Autofahrender Mensch ein glücklicher Mensch sei - vorausgesetzt er kann zwischen zwei Staus mal die volle PS Leistung ausreizen - DAS GEBOT DER STUNDE. Was soll ich sagen. Alles hochemotional für die aussterbende Spezies des ungebremsten deutschen Rasers. Das Tempolimit entsprechend verkauft könnte dabei doch so schön zum Win-Win Instrument für die CSU werden. Nach dem Motto der Scheuer kann ja doch ein Gesetz und das auch noch zum Nulltarif (nach dem Milliardenschweren Mautdesaster ein kluger Schachzug). Bei den steil fallenden Wähler_innen Zahlen der CSU sind ca 80 Verkehrstote pro Jahr weniger durchs Tempolimit auch nicht so zu verachten. Mit kluger Parteiwerbung könnte man überlebenden Verkehrsverletzte mit "gerettet by Scheuers Tempolimit" und einer Bahncard 100 (praktisch kein Unfallrisiko) ködern künftig statt z.B. AfD die CSU zu wählen.

  • &!Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - “130 - macht auch nix - …“

    “ Das Wort zum Sonntag. taz.de/Streit-uebe...tobahnen/!5652928/



    Für alle Rohrkrepierer und Nix-Kapierer:



    Das Abwägen, was alles besser sei und was doch alles vorher noch zu erledigen sei, ist unsinnig, denn für die Einführung von generellen Tempolimits muss nicht ein einziges Schild aufgestellt werden. Es muss nur die Straßenverkehrsordnung geändert werden... Einfach so.







    Noch Probleme? Ja, ein ganz großes.



    Für den Finanzminister.



    Die Einnahmen aus der Mineralölsteuer würden durch den stark sinkenden Verbrauch von Treibstoffen spürbar zurückgehen.



    Vernünftig wäre also, angemessen die Mineralölsteuer anzuheben. Einfach so. Trauen PolitikerInnen sich das?



    (Ach was!) -



    Dass vielleicht die Zahl von unfreiwilligen Organspendern abnimmt, sollte kein Problem sein:



    taz.de/Noetige-Neu...1&s=organversagen/

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    1. Mein Gefühl sagt mir das geht wieder in Richtung Globuli.(immer einsetzbar)



    2.Ich habe noch keine eisenharte Meinung was Tempolimit anbelangt.



    3. Ausbau der Infrastruktur Bahn- Busanbindungen usw.sollte in meinen Augen vorrang haben.



    4.SPD- Konsequent oder inkonsequent, aber nich dit ewije Schwanken.



    4.1Wo wir sind ist vorn. Wenn wir hinten sind ist hinten vorn.

  • Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin hat sich Frau Schulze nie ernsthaft mit jemandem angelegt, um der Umwelt etwas Gutes zu tun.



    Das ist auch hier nicht wirklich anders. Wirkt alles inszeniert.

  • Forderung nach Tempolimit: ein weiterer Sargnagel für die SPD.

    • @Der Erwin:

      Mit Sicherheit eher das Gegenteil - wenn nicht "inszeniert" sondern ehrlich gemeint und mit Nachdruck vertreten.

      • @dator:

        Sind denn die ganzen Arbeiter und kleinen Angestelllten mit ihrem (getunten) Auto schon ganz weg von der SPD?

  • 'tschuldigung, aber Herr Oliver Luksic sollte sich einen anderen Beruf suchen...

    „Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ist Symbolpolitik und würde weder den Klimaschutz noch die Verkehrssicherheit nennenswert voranbringen.“ [...]

    wer war eigentlich nochmal die FDP?