Streit über EU-Klimaziele: Minus 90 Prozent CO2 bis 2040
Bis Mai muss sich die EU neue Vorgaben für die Treibhausgasreduktion setzen. Ein vorab öffentlich gewordener Entwurf ist jetzt schon umstritten.
Brüssel taz | In der EU droht Streit über ein neues Klimaziel für 2040. Die EU-Kommission will die Treibhausgase bis zu diesem Jahr um 90 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Dieses Ziel soll allerdings lediglich „netto“ erreicht werden, heißt es in einem Entwurf, welcher der taz vorliegt.
Das neue Klimaziel würde demnach nur unter Berücksichtigung anderer Maßnahmen wie dem umstrittenen Carbon Capture and Storage (CCS) erreicht. Brutto läge die Entlastung weit niedriger, kritisieren Klimaschützer vor der Veröffentlichung, die am Dienstag geplant ist.
Bisher hat sich die EU nur ein Ziel für 2030 gesetzt. Es sieht die Senkung der Treibhausgase um mindestens 55 Prozent vor. Die EU-Kommission ist nach dem europäischen Klimagesetz verpflichtet, bis Mai ein neues Ziel für 2040 vorzuschlagen. Deutschland, Frankreich und neun weitere EU-Staaten haben in einem Brief gefordert, „ein starkes politisches Signal mit Vorbildcharakter für andere Staaten mit hohen Treibhausgasemissionen“ zu setzen.
Bisher ist dies nicht sicher. Deutschland droht seine Klimaziele zu verfehlen. Gleichzeitig spitzt sich die Klimakrise zu. Der wissenschaftliche Beirat der Kommission empfiehlt deshalb eine Reduktion um 90 bis 95 Prozent, die europäischen Grünen fordern sogar 100 Prozent – also Klimaneutralität – bis 2040.
Mit einer Entscheidung wird nach der Europawahl im Juni gerechnet. Die EU-Kommission will zunächst nur Optionen skizzieren. Dazu zählt laut dem Entwurf, die Emissionen nur um 82 Prozent zu drücken – und die restlichen 8 Prozent durch CO2-Lagerung im Boden (CCS) anzustreben. Allerdings ist die dafür notwendige Technik noch nicht ausgereift.
Kritik kommt aus dem Europaparlament. Der Vorschlag sei „an der Untergrenze von dem, was wissenschaftlich notwendig ist“, sagt Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen. Die Strategien zur Erreichung dieser Klimaziele läsen sich „wie ein Lobby-Papier der fossilen Industrie“ – E-Fuels inbegriffen.
Demgegenüber warnt der Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) davor, zu viel zu versprechen. Schon das bisherige 55-Prozent-Ziel bis 2030 sei schwer zu erreichen.
Leser*innenkommentare
Al Dente
Wir wissen (ungefähr), was uns (bzw. die nachfolgenden Generationen) in vielen Teilen der Welt erwartet, wenn wir nichts gegen die fortschreitende Erderwärmung unternehmen. Und wir wissen, was (mindestens) notwenig ist, um die Erderwärmung bei einer bestimmten Temperatur zu begrenzen. Allerdings können wir von dem, was nötig ist, immer nur das umsetzen, was real auch möglich ist.
Eine derartige Feststellung bedeutet nicht, dass man eigentlich überhaupt nichts machen will oder (schlimmer noch) gar den Klimawandel leugnet. Gleiches gilt für die Feststellung, dass das Ziel ohnehin nur erreichbar ist, wenn Alle weltweit das Notwendige tun, wir jedoch nicht wissen (können) ob das der Fall sein wird und es darum sinnvoll erscheint, parallel auch einen Plan B zum Umgang mit der Erderwärmung zu verfolgen.
Es ist weiterhin richtig und wichtig, uns in Richtung der gesetzten Temperaturbegrenzung zu bemühen. Aber es macht z. B. keinen Sinn, das Risiko für einen Menschen, den eigenen Wohnsitz in 30 Jahren durch eine Überschwemmung oder einen Tornado zu verlieren, mit Maßnahmen zu mindern, die dazu führen, dass der Mensch seinen Wohnsitz schon innerhalb der nächsten 10 Jahre verliert, weil er die Wohnkosten nicht mehr tragen kann. Das wäre ganz sicher kein "starkes politisches Signal mit Vorbildcharakter für andere Staaten".
Hier hilft kein "Wir schaffen das (weil wir es doch müssen)", sondern nur "Wir müssen das schaffen, was wir können".
So viel wir mittlerweile über den Klimawandel (und seine Ursachen) wissen, so ahnungslos sind wir immer noch bezüglich der Kosten/Folgen/Einschränkungen, die sich aus den Maßnahmen gegen die Erderwärmung wirklich(!) ergeben werden/können. Das muss viel intensiver und offener diskutiert werden.
ThomLa
Wann begreifen wir, dass wir mit der Natur / den Naturgesetzen nicht verhandeln können? Wenn es zu heiß wird, dann wird gestorben oder Mensch muss die Region verlassen. Wenn der Meeresspiegel steigt (Potential für 67 meter ist noch da) dann wird gestorben oder Mensch muss die Region verlassen. In den angesprochenen Regionen leben übrigens Milliarden von Menschen.
tomás zerolo
"...netto". Sagte ich doch [1].
"... warnt der Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) davor, zu viel zu versprechen."
Jawoll, Herr Liese. Am besten nüscht machen. Das flüstern Ihnen Ihre Lobbyisten auch so zu. Ist ja nicht so wichtig, das mit dem Klima. Ausserdem... wissen wir überhaupt, wer das war, mit dem Klima? Wir doch nicht!
Es ist zum Verzweifeln. Leute, macht Euren verdammten Job, Ihr werdet schliesslich dafür gut bezahlt. Dann müssen sich andere nicht auf die Strasse kleben.
[1] taz.de/!5989922/#bb_message_4680283
Hans Hermann Kindervater
@tomás zerolo Das ist nicht so einfach. Manchmal holt auch die Realität die Wunschträume ein.
Erfahrungssammler
@tomás zerolo Manchmal schleicht sich bei mir die Frage ein, wer die "Leute" langfristig vielleicht eventuell unter Umständen noch besser bezahlt.