Hamburger Antisemitismusbeauftragte: Der alternativlose Kandidat
Um ihren Bewerber als Antisemitismusbeauftragten durchzudrücken, hat die Hamburger Wissenschaftsbehörde eine Amtsleiterin kaltgestellt. Der Konkurrent siegt vor Gericht.
Hintergrund der Verwerfungen ist ein Konflikt zwischen den beiden jüdischen Gemeinden Hamburgs. Die orthodox dominierte Jüdische Gemeinde Hamburg hatte den Amtsinhaber Stefan Hensel für eine weitere Dreijahresperiode vorgeschlagen. Der Senat kam dem im November nach. Eike Steinig vom Israelitischen Tempelverband – der liberalen jüdischen Gemeinde – war bei der Auswahl nicht berücksichtigt worden, obwohl der Verband dessen Kandidatur öffentlich angemeldet hatte.
Der Israelitische Tempelverband mit rund 340 Mitgliedern kritisiert den Alleinvertretungsanspruch der Jüdischen Gemeinde Hamburg mit ihren rund 2.400 Mitgliedern, die sich als Einheitsgemeinde versteht. Erst vor einem Monat hat der Israelitische Tempelverband die Stadt verklagt. Mit dem Ziel, als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden – so wie die Jüdische Gemeinde Hamburg bereits eine ist.
Dem Antisemitismusbeauftragten Hensel, der sich der Jüdischen Gemeinde zugehörig fühlt, und der auch Beauftragter für jüdisches Leben ist, wirft der Tempelverband Befangenheit zu ungunsten der Liberalen vor.
Senat brach das Bewerbungsverfahren ab
Im März gab das Verwaltungsgericht einem Eilantrag des liberalen Bewerbers Steinig statt, auch ihn zu berücksichtigen. Der Senat brach das alte Bewerbungsverfahren ab und schrieb die Stelle neu aus, wogegen sich Steinig jetzt erneut mit Erfolg wehrte. Der Abbruch sei rechtswidrig gewesen, führt das Gericht in einer am 22. Juli ergangenen einstweiligen Anordnung aus. Bereits mit der Eilentscheidung im März habe das Gericht eindeutig auf eine Entscheidung über die bereits eingereichte – und nicht über eine zukünftige – Bewerbung gezielt. Das Stellenbesetzungsverfahren sei deshalb „ohne Heranziehung der im neuen Verfahren genannten und vom Antragsteller gerügten Auswahlkriterien fortzusetzen“.
Aus Sicht des nicht berücksichtigten Bewerbers Steinig wurden diese Kriterien auf den Amtsinhaber Hensel zugeschnitten. Darin ist die Rede von einem „Verständnis für das Prinzip der Einheitsgemeinde“, der Hensel angehört, sowie von „guten Kenntnissen der Behördenstrukturen in Hamburg und Erfahrung in der Gremienarbeit“. Auch Letzteres begünstige Hensel, weil nur der Amtsinhaber über die entsprechende Erfahrung verfügen könne.
Zuständige Amtsleiterin versetzt
Dafür, dass die Ausschreibung mit Absicht so formuliert wurde und Hensel begünstigt werden sollte, spricht die Versetzung der zuständigen Amtsleiterin in der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke. Wie die Amtsleiterin an Eides statt versichert, wurde ihr die Versetzung nach zweiwöchiger Abwesenheit bei einem überraschend anberaumten Termin von der Senatorin Maryam Blumenthal und ihrer Staatsrätin Eva Gümbel (beide Grüne) mitgeteilt. Die Begründung war laut der Erinnerung der Amtsleiterin unspezifisch: Die Senatorin sei überzeugt, ihre ambitionierten Ziele mit der Amtsleiterin nicht erreichen zu können, da es am nötigen Vertrauen fehle. Konkrete Anlässe, Erfahrungen oder Einzelfälle habe die Senatorin auf Nachfrage nicht genannt.
Am 18. Juli übertrug die Behördenleitung der Leitenden Regierungsdirektorin „Aufgaben der Zivilen Alarmplanung“, einen im Stellenplan nicht vorgesehenen Posten ohne Leitungs- und Personalverantwortung. Die Beamtin hat dagegen einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
Die Amtsleiterin vermutet, dass sie aus dem Weg geräumt werden sollte, weil sie in dem Stellenbesetzungsverfahren darauf hinwies, dass es Einwände gegen eine weitere Amtszeit Hensels gebe und sie diese auch in den Akten dokumentiert sehen wollte. In dem Schriftsatz, mit dem sie sich gegen ihre Versetzung wehrt, ist der Hergang detailliert dokumentiert.
Ihr Anwalt Patrick Heinemann verweist auf Aktenvermerke der Behörde, in denen es heißt: „Die Kritik der liberalen jüdischen Gemeinde ist nachvollziehbar.“ Dass der Antisemitismusbeauftragte seine Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde nicht offengelegt habe, sei „irritierend und kritikwürdig“.
In einem vom Anwalt zitierten weiteren Vermerk heißt es: „Aus fachlicher Sicht kann eine Neubestellung nicht empfohlen werden.“ Hensel habe zu wenig in der Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens (BLK) getan, seine Neutralitätsverpflichtung umgangen, polarisierend gearbeitet und Stakeholder ausgegrenzt.
Patrick Heinemann, Anwalt der abservierten Amtsleiterin
Nach Darstellung der Amtsleiterin hätte die Behördenleitung, namentlich Staatsrätin Gümbel, die für Hensel wenig schmeichelhaften Vermerke am liebsten unter den Tisch fallen lassen. „Entgegen den Vorstellungen der Behördenleitung“ habe sie jedoch darauf hingewirkt, dass beide zu der Akte genommen wurden, die an das Verwaltungsgericht ging.
Die Amtsleiterin will sich an zwei Besprechungen im Frühjahr 2024 und 2025 erinnern, in denen Staatsrätin Gümbel gesagt haben soll, Hensel müsse die Stelle wieder bekommen. In einem der Gespräche habe sie die Staatsrätin auf „die Notwendigkeit der Bestenauslese“ hingewiesen.
Bitte um Abbummeln von Überstunden
Auch Hensel kam die Kritik zu Ohren. Er bat um ein Gespräch mit der Amtsleiterin und der zuständigen Referentin, das dann aber nicht zustande kam. Im Juni 2025 soll er Gümbel mitgeteilt haben, dass er die Amtsleiterin für befangen halte. Am 7. Juli wurde die Amtsleiterin zu dem Gespräch mit Senatorin Blumenthal gebeten. Sie solle ab sofort ihre Überstunden abbummeln und anschließend Urlaub nehmen. Für den 21. und 24. Juli waren die Termine für das Auswahlverfahren angesetzt.
Die Amtsleiterin wehrte sich dagegen, Freizeitausgleich zu nehmen, wodurch sie ihren Arbeitsplatz nicht mehr hätte aufsuchen können. In der Folge habe es, so hat sie eidesstattlich versichert, ein Gespräch mit dem Leiter des Personalamtes gegeben, der ihr mitgeteilt habe, dass er auf die Schnelle keine angemessene Verwendung für sie habe, aber versuchen werde, sie zwischenzeitlich auf einer unteren Ebene zu beschäftigen. Er habe ihr geraten, ihre Überstunden zu nehmen und „keinen Krawall zu machen“, was sie später sicher bedauern würde.
Recht auf angemessene Beschäftigung
Anwalt Heinemann pocht darauf, dass seine Mandantin das Recht auf eine angemessene Beschäftigung habe. Sie sei eine sehr erfahrene, gewissenhafte Beamtin. Bei der Besetzung des Amtes des Antisemitismusbeauftragten habe sie das verfassungsrechtliche Prinzip der Bestenauslese betont und sich vor eine Mitarbeiterin gestellt, die Herrn Hensels Amtsführung als wenig neutral kritisiert hatte. „Meine Mandantin soll dafür jetzt aus rein politischen Gründen kaltgestellt werden“, kritisiert Heinemann. „Das ist rechtswidrig.“
Die Wissenschaftsbehörde will sich momentan zu beiden Fällen nicht äußern, weil die Fragen nicht rechtskräftig abgeschlossene, verwaltungsgerichtliche Verfahren berührten.
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