Streit über Abtreibungen in Polen: Von der Wut der Frauen überrollt
Seit Jahren will Polens Regierungspartei PiS das ohnehin restriktive Abtreibungsrecht weiter verschärfen. Doch der massive Protest zeigt Wirkung.
Ein paar Feministinnen, die hupend einen Warschauer Kreisverkehr blockierten oder mit umgehängten Plakaten zum nächsten Laden liefen, um sich dort im Abstand von zwei Metern in die Schlange zu stellen und lautstark zu protestieren – das glaubten die Politiker aushalten zu können. Doch dann überlasteten abertausende Protest-E-Mails ihre Posteingänge. Ihre Facebook-, Twitter- und Instagram-Seiten verwandelten sich in Protest-Tapeten wütender Frauen.
Die PiS hat wieder einmal Polens geballte Frauenpower unterschätzt. Schon 2016, als die Verschärfung des ohnehin sehr restriktiven Abtreibungsrechts zur Debatte stand, hatten hunderttausende Polinnen mit ihren „schwarzen Protesten“ die PiS dazu gezwungen, das Gesetzesprojekt fallen zu lassen. Auch 2018 schwenkten sie vor dem Sejm, dem polnischen Unterhaus, Blechkleiderbügel und warnten damit vor einer brutalen „Selbsthilfe“, sollten Schwangere zum Austragen schwerbehinderter Kinder gezwungen werden.
Dieses Mal lehnte sich Präsident Andrzej Duda kurz vor der erneuten Debatte besonders weit aus dem Fenster. Dem katholischen Wochenblatt Der Sonntag sagte er: „Ich bin ein entschiedener Gegner der eugenischen Abtreibung und glaube, dass das Töten von Kindern mit Behinderungen einfach Mord ist. Wenn dieses Gesetzesprojekt auf meinem Schreibtisch liegt, wird es auf jeden Fall von mir unterzeichnet werden.“
Gesetz für den „Gefrierschrank“
Schon jetzt ist ein Schwangerschaftsabbruch in Polen nur in drei Fällen legal: wenn Gefahr für Leib und Leben der werdenden Mutter droht, bei einer schweren Missbildung des Fötus oder nach einer Vergewaltigung.
Initiatorin der erneuten Gesetzesinitiative ist Kaja Godek und ihr Pro-Life-Verein „Stiftung Leben und Familie“. Angeblich, so Godek während der Debatte im Sejm, würden in Polen „Menschen lebendig und ohne Betäubung zerstückelt“. Es gebe nur eine Wahl: „Bist Du für das Töten oder bist Du dagegen?“ Laut einer Statistik des Gesundheitsministeriums nahmen polnische Kliniken 2018 gerade einmal 1.100 Abtreibungen vor. In rund 1.050 Fällen lautete die Diagnose „Fehlbildung des Fötus“, darunter knapp 200 Ungeborene mit Downsyndrom.
Am Donnerstag nahm der Sejm zwar mit der Mehrheit der PiS-Stimmen das Gesetzesprojekt in erster Lesung an, verwies es aber in gleich zwei Sejm-Ausschüsse. Die ersten beiden Godek-Projekte lagen mehrere Jahre in diesem „Gefrierschrank“, wie man in Polen sagt, und wurden schließlich wegen der „schwarzen Proteste““ abgelehnt. Das kann auch diesem Projekt passieren.
Duda, der Mitte Mai erneut zum Präsidenten Polens gewählt werden will, sieht sich nun auf seinem Instagram-Konto mit tausenden Protest-Bildern empörter Frauen konfrontiert. Umfragen zufolge wollen die meisten Polen und Polinnen keine Verschärfung des Abtreibungsrechts, sondern eine Fristenlösung, so wie sie in vielen Ländern Westeuropas üblich ist. Das könnte Duda die Wahl kosten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau