Streit in der Regierung: So ernst ist die Koalitionskrise

Seit die FDP-Spitze mit populistischer Euroskepsis spielt, kracht es in der Regierung. Kann es Neuwahlen geben? Kommt eine große Koalition?

Bald getrennte Wege? Bild: dpa

Seit FDP-Chef Philipp Rösler eine Staatsinsolvenz Griechenlands ins Spiel gebracht hat, beharken sich führende Köpfe von Union, CSU und FDP offen. Zerbricht die Koalition am Euro? Die taz gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Ist die Krise von Schwarz-Gelb ernst?

Ja. Es gab zwar schon viele Konflikte in der Regierung. FDP und CSU beschimpften sich als "Wildsau" und "Gurkentruppe", man stritt erbittert über Steuern und Gesundheitspolitik. Doch diese Krise ist anders. Die Eurokrise kann immense Schäden anrichten, ihre historische Dynamik zwingt die Regierung zum Handeln - Steuernachlässe für Hoteliers sind im Vergleich Kleinkram. Deutschland ist ein zentraler Akteur in der Eurokrise, Merkel braucht eine handlungsfähige Regierung. In der FDP wächst aber der Widerstand gegen die Eurorettung.

Wann kann die Koalition auseinanderbrechen?

Der erste Schlüsseltermin ist der 29. September. Dann stimmt der Bundestag über den erweiterten Eurorettungschirm EFSF ab. Die deutsche Garantiesumme vergrößert sich damit von 123 auf 211 Milliarden Euro. Falls Merkel dafür keine eigene Mehrheit bekommt, weil es in der FDP zu viele Abweichler gibt, kann die Kanzlerin die Reißleine ziehen. Auf jeden Fall wird Schwarz-Gelb ohne eigene Mehrheit für die Eurorettung noch fragiler sein als jetzt.

Auch wenn es eine Merkel-Mehrheit für EFSF gibt, kann es noch knallen. Am 7. Oktober macht die CSU eventuell den Eurogegner Peter Gauweiler zum Vizechef. Das könnte ein Signal für die Skeptiker in der Union sein. Im November oder Dezember soll der Bundestag den Eurostabilitätsmechanismus ESM beschließen. Da könnte sich die FDP querstellen. Denn dort mobilisiert eine Gruppe um Frank Schäffler gegen den ESM, der, so ihr Argument, Deutschland dauerhaft die Schulden anderer Staaten aufbrummt. Schäffler will per Mitgliederentscheid einen Schwenk der FDP erzwingen. Seine Anhängerschaft wächst.

Was treibt die FDP an?

Panik. Der Partei gelingt, seit sie regiert, nichts. Sie hat ihren Vorsitzenden Guido Westerwelle ausgetauscht, frische Kräfte nach vorne geschoben - und taumelt doch von einem Wahldesaster zum nächsten. Die FDP verspricht endlich zu liefern - aber was in dem Päckchen sein soll, ist unklar. Das ist der Hintergrund für den wachsenden Zuspruch für die Eurodissidenten, die auch von gestandenen Liberalen wie Burkhard Hirsch und Herrmann Otto Solms unterstützt werden.

Beim Parteitag in Rostock hatten sie gut ein Drittel der Delegierten auf ihrer Seite. Doch anstatt angesichts des FDP-Absturzes und der Probleme Athens die EU-Auflagen zu erfüllen, wächst die Zahl der Zweifler. Wenn die FDP auf ihrem Parteitag Mitte November dieser Linie folgt, ist die Koalition wahrscheinlich tot. Dann kann Merkel Neuwahlen herbeiführen oder versuchen, die SPD in eine große Koalition zu lotsen.

Wird die SPD eine große Koalition mitmachen?

Derzeit ist die Ansage aus der SPD-Spitze klar: Es gibt keine große Koalition. Verständlicherweise. Das letzte Mal, als die SPD Merkels Juniorpartner spielte, endet es für die Partei 2009 in einer historischen Wahlniederlage. Außerdem lassen Umfragen eine rot-grüne Mehrheit möglich erscheinen. Im Willy-Brandt-Haus hofft man sogar, dass der Sinkflug der Union weitergeht und die SPD bei Neuwahlen stärkste Partei werden kann.

So weit, so klar. Doch wenn die Euro- und Finanzkrise eskaliert, kann die SPD sich verpflichtet sehen, im Dienste des Vaterlandes nicht durch Neuwahlen zusätzliche Unruhe zu stiften. Peer Steinbrück wäre eine Koalition mit Merkel sowieso lieber als mit den frechen Grünen. Aber der Mainstream in der SPD setzt bislang auf Neuwahlen.

Gehen Neuwahlen ohne verfassungsgemäßes Wahlrecht überhaupt?

Der Weg zu Neuwahlen ist schwierig, aber möglich. Im Juli 2008 hatte das Verfassungsgericht das Bundeswahlgesetz für verfassungswidrig erklärt, am 30. Juni endete die dreijährige Frist, in der der Gesetzgeber Abhilfe schaffen sollte. Ohne Ergebnis - Schwarz-Gelb schaffte es nicht, das Wahlrecht rechtzeitig neu zu regeln.

Das bedeutet aber nicht, dass Neuwahlen unmöglich sind: Würde Merkel im Zuge der Eurokrise die Vertrauensfrage stellen und verlieren, kann das Parlament trotzdem weiterarbeiten - laut Grundgesetz bleibt der alte Bundestag bis zur Konstituierung des neuen beschlussfähig. Der Koalition bliebe genug Zeit, ein neues Wahlrecht zu beschließen - mit den Stimmen der Opposition oder ohne. Auch ein anderer Weg ginge: Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle drohte kürzlich, die Neuregelung selbst in die Hand zu nehmen - per einstweilige Anordnung.

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