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Streit in der Hamburger SPDFraktion wirft fünf Abgeordnete raus

Die Bezirksfraktion Harburg setzt ein Drittel ihrer Abgeordneten wegen Arbeitsverweigerung vor die Tür. Die Ausgeschlossen sehen sich ausgegrenzt.

Eine rot-grün-rote Mehrheit ist hier nun futsch: Rathaus Harburg, in dem die Bezirksversammlung tagt Foto: Andre Lenthe/Imago

Hamburg taz | Die SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung Hamburg-Harburg hat am Donnerstagabend fünf ihrer 15 Mitglieder ausgeschlossen und verliert damit den Status als stärkste Fraktion an die CDU. Der Fraktionsvorstand wirft Genossen vor, die Arbeit der Fraktion durch Abwesenheit boykottiert zu haben. Die Ausgeschlossenen weisen das zurück und kritisieren einen autoritären Führungsstil in der Fraktion.

Der Streit zwischen der Mehrheit und der Minderheit zieht sich schon seit Monaten hin. Seine Wurzeln reichen zurück in den Bezirkswahlkampf vor rund einem Jahr, weiter noch in die Rivalität der verschiedenen Parteidistrikte im Bezirk und die dortigen Machtwechsel, wo Mitglieder mit einem Einwanderungshintergrund ans Ruder gekommen waren.

Bei einer Pressekonferenz am Tag nach dem Rausschmiss versuchen der Fraktionsvorsitzenden Frank Richter und Natalia Sahling sowie die Kreisvorsitzende Claudia Loss die Querelen im Kreisverband von denen der Bezirksfraktion zu trennen. Der Rausschmiss habe allein mit der „kompletten Arbeitsverweigerung“ der Fünf zu tun.

Über sechs Monate hinweg hätten sie nicht an Fraktionssitzungen teilgenommen, und alle hätten an drei Sitzungen der Bezirksversammlung hintereinander nicht teilgenommen. „Das kann nur als öffentliches Zeichen verstanden werden“, sagt Richter.

Politischer Flurschaden

Die Abwesenheit hatte auch politische Folgen. Zweimal seien deswegen der Abstimmungen verloren gegangen. Einmal habe die Gruppe offen gegen einen SPD-Antrag gestimmt. Die geschlossene Abwesenheit so vieler Abgeordneter habe zudem eine fatale Außenwirkung gehabt.

Besonders problematisch findet Richter, dass in dieser Zeit auch die Koalitionsverhandlungen der SPD mit den Grünen und der Linken liefen. Gemeinsam wollten sie eine weitere Amtszeit für die Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen (SPD) durchsetzen. Nach Lesart Richters zog sie ihre Bewerbung zurück, weil sie sich nicht aller SPD-Stimmen sicher sein konnte.

Das Auswahlverfahren für die Besetzung des Verwaltungspostens – einer Art Bezirksbürgermeister – läuft. Können sich die Fraktionen in der Bezirksversammlung nicht auf einen Kandidaten einigen, besetzt der Hamburger Senat die Stelle.

Wegen der Defizite bei der Mitarbeit in der Fraktion zog die Mehrheit mehrfach Konsequenzen. Zunächst wurde zwei Abgeordneten ihre Funktion als Fachsprecher entzogen. Der Vorwurf: Wer nicht in den Fraktionssitzungen erscheine, könne seine Arbeit auch nicht mit der Fraktion rückkoppeln. In einem zweiten Schritt verloren alle dann ihre Sitze in den Ausschüssen, was ihre Wirkungsmöglichkeiten stark einschränkt.

Dass sich einer der fünf Abgeordneten, der 18-jährige Markus Sass, Ende April offen und erfolgreich gegen seine Abwahl aus dem Jugendhilfeausschuss wehrte, ging aus Sicht der Fraktionsmehrheit schließlich einen Schritt zu weit. Sie verständigte sich auf den Ausschluss der fünf Abgeordneten.

Häufig gefehlt – aber entschuldigt

Benizar Gündoğdu, Bezirksabgeordnete und Vorsitzende eines der acht Harburger SPD-Distrikte, gehört zu den Ausgeschlossenen. Sie räumt ein, dass die wiederholte Abwesenheit der fünf Abgeordneten in der Bezirksversammlung falsch verstanden werden könnte. Sie alle hätten sich jedoch aus verschiedenen – sei es beruflichen oder gesundheitlichen – Gründen entschuldigt. Auch andere Abgeordnete hätten mehrfach gefehlt. „Es ist eigentlich normal, dass man ein paar Mal fehlt“, sagt Gündoğdu.

Der Fraktionsführung wirft sie vor, Gesprächsangebote zurückgewiesen zu haben, so wie auch die Fraktionsführung umgekehrt den nun Ausgeschlossenen vorwirft, sich Gesprächen verweigert und Absprachen nicht eingehalten zu haben. Ein Workshop zur Klärung scheiterte schon daran, dass die Fraktionsführung darunter eine Moderation, Gündoğdu aber eine Mediation verstand.

Gündoğdu fand den über die Parteizentrale bestellten Coach voreingenommen. Zum angesetzten zweiten Termin erschien die Minderheit nicht.

Schwieriges Verhältnis

Dass das Verhältnis zwischen den Gruppen schwierig ist, hat mit der Vorgeschichte zu tun. Natalia Sahling, die Co-Fraktionsvorsitzende, hatte im Bezirkswahlkampf Anzeige erstattet, weil Wahlplakate von ihr beschädigt worden waren – wie sie versichert gegen unbekannt.

Zwei Parteimitglieder wollten jedoch junge Migranten beobachtet haben, wie sie die Plakate zerstörten. In der Folge machte die Polizei unter anderem bei Gündoğdu und ihrem Verlobten Mehmet Kizil, dem Vorsitzenden eines weiteren SPD-Distrikts in Harburg – ebenfalls ausgeschlossen –, eine Hausdurchsuchung und beschlagnahmte Mobiltelefone. Sie sollten die Jugendlichen angestiftet haben.

Gündoğdu zufolge haben einige Harburger Distrikte sowie der Kreisvorstand verschiedene Parteiordnungsverfahren gegen Mitglieder der Gruppe angestrengt. Bei Gündoğdu führte das dazu, dass sie zeitweise ein Funktionsverbot hatte und nicht für die Bürgerschaft kandidieren konnte.

Gündoğdu zeigt sich enttäuscht, dass ihren Entschuldigungen nicht geglaubt wurde. Von Anfang an sei es in der Fraktion nicht rund gelaufen. „Ich bin eingetreten und wurde komisch beäugt“, erinnert sie sich. Die Fraktionsführung tendiere dazu, von oben herab zu agieren und auch mal laut zu werden. „Es herrscht eine Angstkultur“, sagt sie. Ihr Mandat will sie trotzdem behalten.

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