Streit im Pflegebeirat eskaliert: Kein Konsens, nirgends
Der Streit im Pflegebeirat der Bundesregierung eskaliert: Arbeitgebervertreter Volker Hansen spricht dem Gremium per Mail sein Misstrauen aus.
BERLIN taz | Der Streit um den Abschlussbericht des Pflegebeirats der Bundesregierung ist am Dienstag eskaliert. Der Vertreter der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Volker Hansen, sprach den Beiratsvorsitzenden Wolfgang Zöller (CSU) und Klaus-Dieter Voß am Nachmittag um 14.41 Uhr per Email sein Misstrauen aus.
Damit ist eingetreten, was viele Mitglieder des zerstrittenen Expertengremiums seit Tagen befürchten: Der lang erwartete Bericht zur Reform der Pflegeversicherung wird dem Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am Donnerstag nicht im Konsens überreicht werden.
Statt dessen fordert Hansen nun sein „Recht ein auf Abdruck einer 'Persönlichen Erklärung' / einer 'Abweichenden Meinung' im Bericht des Beirats“. Der Streit hatte sich zuletzt vor allem auf die Frage fokussiert, ob die Beiratsvorsitzenden in der Zusammenfassung des Berichts konkrete Angaben zum künftigen Finanzvolumen machen dürften, das nötig wäre, um Demenzkranke in der Pflegeversicherung besser zu stellen.
Die Beiratsvorsitzenden wollten hierzu die Summe von 2 Milliarden Euro nennen. Doch diese Zahl sei weder mit den Mitgliedern abgesprochen worden, noch entspreche sie der Realität, hatten sowohl die Wohlfahrtsverbände als auch die Arbeitgebervertreter kritisiert.
Die Wohlfahrtsverbände halten jährlich 2 Milliarden Euro für zu gering, die Arbeitgebervertreter für zu hoch. Hansen hatte deswegen bereits am Sonntag abend in einer weiteren Email an den Pflegebeirat von „Vertrauensbruch“ gesprochen
„Wahrheit, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit“
Nachdem die Vorsitzenden, wie Hansen der taz sagte, bis Dienstag auf seine Bitten um ein klärendes Gespräch nicht nachgekommen seien, legte er nach: „Es geht mir nicht um die Durchsetzung von Arbeitgeberpositionen, sondern ausschließlich um Wahrheit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gegenüber dem Bundesgesundheitsminister als Auftraggeber, der interessierten Öffentlichkeit und den Beiratsmitgliedern“, heißt es in der Email, die der taz vorliegt.
Die Vorsitzenden müssten seiner Forderung nach der Aufnahme eines Minderheitenvotums nachkommen, schrieb Hansen: „Die Umsetzung meines Anliegens ist Ihre Pflicht. Dazu gehört auch, dass Sie mir - gemessen ab dem Zeitpunkt der Zustellung der überarbeiteten Fassung des Berichts des Beirats - eine angemessene Frist von mindestens eines halbem Arbeitstages für die Abfassung meiner Positionierung einräumen.“
Sein „Vertrauen in die Arbeit der Vorsitzenden“ gehe, so Hansen, „langsam gegen Null“. Die Brandmail endet mit der Drohung: „Ich werde bei der Übergabe des Berichts des Beirats am Donnerstag zugegen und vorbereitet sein.“
Die Beiratsvorsitzenden waren für die taz für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Eine Vertreterin der Geschäftsstelle des Expertenbeirats indes antwortete Volker Hansen mit Email von 14.46 Uhr, der Vorsitzende Voß habe „zur bilateralen Abstimmung zu Ihren Anmerkungen ... versucht Sie telefonisch zu erreichen, bisher allerdings ohne Erfolg“.
Hansen wütete zurück: „Weder in meinem Büro, das heute durchgängig doppelt besetzt ist und jederzeit erreichbar war und ist, noch bei mir persönlich ... hat sich Herr Voß bisher gemeldet.“
Minderheitenvotum – oder der Beirat platzt
Die Wohlfahrtsverbände wollten sich unterdessen bis Dienstag nachmittag nicht festlegen, ob sie ebenfalls auf ein Minderheitenvotum bestehen oder den Beirat gar ganz verlassen wollen. Es gebe Anzeichen, dass die Beiratsvorsitzenden doch bereit seien, auf die Nennung einer konkreten Summe zu verzichten, hieß es aus Wohlfahrtskreisen.
Zuvor hatte unter anderem der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin in einer Email an die Mitglieder und Vorsitzenden des Beirats ihre „Befürchtung“ geäußert, dass mit der Benennung der Zahl 2 Mrd. am Ende die Presse und auch politische Parteien ein gefundenes Fressen fänden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!