piwik no script img

Streit der Woche„Die Vorwürfe wiegen schwer“

Bernd Schlömer, Vorsitzender der Piraten, fordert den Boykott von Amazon. Stefanie Nutzenberger von Ver.di widerspricht.

Ausgebeutet? Amazon-Mitarbeiterin im Logistikzentrum Bad Hersfeld. Bild: dpa

Soll man Amazon boykottieren? Bernd Schlömer, Bundesvorsitzender der Piratenpartei, findet: Ja. In der aktuellen sonntaz „Streit der Woche“ sagt er: „Je mehr letztendlich mitmachen, desto höher wird der Druck auf den Konzern.“ Schlömer fordert von dem Unternehmen mehr gesellschaftliche Verantwortung und Transparenz: „Dass dies nicht die Stärke des Konzerns ist, hat Amazon gezeigt, als es Wikileaks von seinen Servern verbannte ohne die Rechte von 'Whistleblowern' zu berücksichtigen.“ Schlömer findet: „Die Vorwürfe wiegen schwer.“

Den Anstoß zur breiten Kritik an dem Online-Riesen in Medien und Gesellschaft hatte eine Dokumentation des Hessischen Rundfunks vom 13. Februar gegeben, in der einige schockierende Details zum Vorschein kamen: Schlechte Arbeitsbedingungen für die saisonalen LeiharbeiterInnen und eine fragwürdige Sicherheitsfirma, die diese überwacht hat.

Ausgehend von diesen Bildern fordert auch Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Partei Die Linke, die KonsumentInnen auf, nicht nur auf die ökologische Herstellung ihrer Produkte zu achten, sondern auch soziale Kriterien zu berücksichtigen: „Jeder und jede kann entscheiden, ob das eigene Geld bei einer Ausbeuterfirma landet.“

Bild: taz
sonntaz

Den Streit der Woche zur Frage „Sollte man Amazon boykottieren?“ und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 2./3. März 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger begrüßt genau diese kritische Öffentlichkeit. Schon die Angst vor dieser würde allerdings ausreichen, um einen Wandel bei dem Konzern zu erreichen. Anstatt eines Boykotts des Unternehmens sei jetzt laut Nutzenberger vor allem die Politik am Zug: „Amazon schafft Arbeitsplätze, doch müssen diese auch tariflich abgesichert und menschenwürdig sein.“

Mittlerweile hat sich Amazon sowohl von der Sicherheits- als auch Leiharbeitsfirma getrennt. Die Bundesagentur für Arbeit eröffnete gegen letztere ein Verwaltungsverfahren. Die Auseinandersetzung mit einem ganz anderen Thema steht Amazon allerdings noch bevor: Das Bundeskartellamt ermittelt wegen Verdacht auf Verstoß gegen das Kartellverbot.

Die sonntaz-Frage beantworten außerdem Jutta Sundermann, Mitgründerin von Attac, Jonas Engelmann, Autor, Ariane Durian, Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen, Ulf Ziegler, Autor des Romans „Nichts Weißes“ und Lukas Daubner, taz-Leser – in der aktuellen sonntaz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • V
    vic

    Amazon hat zwei wichtige Maßnahmen ergriffen und vermutlich viele Kunden verloren. Genug für`s erste.

    Welcher Großhändler oder Hersteller von Audio-Hifi-Video produziert und handelt nach fairen Kriterien?

    Wenn Amazon boykottiert werden soll, was ist dann mit all den anderen?

    Also nein, kein Boykott.

  • DM
    der Macht der Konsumenten

    Da ich der Meinung bin, dass die Abstimmung mit den Füßen immer noch die schärfste Waffe gegen Unternehmen mit unmenschlichen Geschäftspraktiken darstellt, habe ich meinen Amazon-Account vor kurzem löschen lassen.

     

    Im Gegensatz zu manchen Organisationen, die sich selbst als Gewerkschaften bezeichnen, bin ich nämlich nicht der Meinung, dass stets sozial sei, was Arbeit schafft.

     

    Nicht ohne Grund handelt es sich bei der Parole "Sozial ist, was Arbeit schafft" nämlich um eine nur leicht abgewandelte Nazi-Parole aus brauner Vergangenheit, die hieß "sozial ist, wer Arbeit schafft".

     

    Die Schaffung von "Arbeitsplätzen" um den Preis der psychischen und physischen Vernichtung der Arbeitenden hat in Deutschland in der Vergangenheit schon einmal die Dimension eines Völkermords angenommen.

     

    Diese Vergangenheit ist keineswegs tot, sondern - wie sich gerade heutzutage zeigt - wieder äußerst lebendig.

     

    Nicht ohne Grund erinnern die in der Amazon-Doku gezeigten Zustände, unter denen die ausländischen Leiharbeitnehmer aus wirtschaftlicher Not heraus tätig geworden sind, an die Zustände in einem Arbeitslager.

     

    Der braune Sumpf in Deutschland ist nie wirklich ausgerottet worden und entfaltet in diesen Zeiten der Wirtschaftskrise und neoliberaler Austeritätspolitik erneut seinen widerlichen modernden Geruch.

     

    Es ist zu hoffen, dass nicht irgendwann das gesamte europäische Projekt in diesem Sumpf untergeht.

  • PA
    Peter A. Weber

    Es handelt sich hier um eine völlig scheinheilige Diskussion, wenn man ein einziges Unternehmen wie Amazon zum Sündenbock für die gesamte kapitalistische Wirtschaft deklariert. Frage: Bei welchem Konzern kann ich noch einkaufen und welches Produkt ist bei den genannten Kriterien hinsichtlich eines ökologischen und sozialen Anspruchs noch vertretbar? Da bleibt doch keine Auswahl mehr.

     

    Die meisten Konsumenten sind doch bei der Bewertung der Produkte überfordert - bei Nahrungsmitteln und speziell technischen Artikeln. Abgesehen von der vorhandenen Informationslücke besteht bei den meisten - abgesehen von empörenden Worten - überhaupt nicht der Anspruch tatkräftige Mithilfe. Es ist reine Augenwischerei, wenn man sich zur Gewissensberuhigung ein Feigenblatt anzieht und meint, mit einem halbherzigen Boykott eines einzigen Projekts unter Beibehaltung des gewohnten bequemen Lebens etwas Effektives ausrichten zu können.

     

    Die Menschen, die zunehmend in Existenznöte und finanzielle Schwierigkeiten geraten, sind eh gezwungen, auf die preislich günstigsten Angebote zurückzugreifen. Diejenigen, die es sich leisten könnten, teurere Waren zu bezahlen, sind größtenteils zu geizig dazu. Sich via Apple-PC oder iphone (hergestellt vom Sklaventreiber Foxcom) über Amazon zu echauffieren, ist der Gipfel der Heuchelei.

     

    Es ist ein schöner Traum zu glauben, der Verbraucher würde schon alles richten, denn das ist reine Theorie. In der Praxis müßte der Bürger nicht nur als kritischer Konsument agieren sondern auch als Widerstandskämpfer gegen das herrschende Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell tätig werden, bei dem die beklagten Auswüchse Voraussetzung für seine Existenz und das Funktionieren sind.

     

    Wann legen Konsumenten, Politiker, Gewerkschaften und Medien endlich ihre Blauäugigkeit und Naivität in diesem Kontext ab? Ohne radikale Herangehensweise und Beseitigung der systematisch bedingten Ursachen werden wir die Sachlage noch bis zum St. Nimmerleinstag beklagen und weiterhin Krokodilstränen weinen!

  • C
    Celsus

    Wer auch immer zum Boykott aufruft oder gerade nicht: Die gschäfte von Amazon haben mindestens vorerst gelitten und es könnte zu einem Stellenabbau und noch geringeren Gehältern kommen.

     

    Verständlich wenn eine Gewerkschaft mit eigenen Mitgliedern im Betrieb dann nicht zu Baoykotten aufrufen mag. Dann aber müssen die Gewerkschaften auch zeigen, was sie tun, wenn der Arbeitgeber nicht mal langsam zur Bekämpfung nicht wünschenswerter Zustände bereit ist. Vor allen Dingen: Was haben die Gewerkschaften bislang dort geleistet oder auch nicht?

     

    Gewerkschaften dürfen niemals unfähig oder unwillig sein, die Zustände am Arbeitsplatz und beim Einkommen zu verbessern. Darn hängt deren Daseinsberechtigung.