Streit Polizeiwache am Kottbusser Tor: Nicht zu Ende gedacht
Am Kotti, dem linkem Mythenort in Berlin schlechthin, soll eine Polizeiwache einziehen. Es ist ein höchst sensibles Projekt – und ebenso umstritten.
Berlin erlebt gerade, wie man es genau nicht machen sollte, und das bei einem höchst sensiblen Projekt, nämlich einer neuen Polizeiwache im Stadtteil Kreuzberg, am Kottbusser Tor, kurz Kotti. Manche sehen dort einen der kriminalitätsbelasteten Orte Berlins, Drogenhandel und Vermüllung, andere einen mythenreichen linken Kiez, der kaum Polizeipräsenz verträgt.
Anders als es der Name nahelegt, gibt es dort kein Tor, es geht vielmehr um einen von einem Kreisverkehr umflossenen Platz, von dem sechs Straßen ausgehen und neben dem die U-Bahn verläuft. Prägend ist ein in den 1970er Jahren entstandener zwölfgeschossiger Gebäuderiegel, der eine jener Straßen überbrückt. Und in just jene Überbrückung, in die sogenannte Galerie, soll eine Polizeiwache einziehen.
Da ließe sich angesichts der Brisanz vermuten: Das ist bestimmt gut vorbereitet, komplett durchgerechnet, polizeiintern abgesprochen, vor allem mit der starken Gewerkschaft GdP, und innerhalb der rot-grün-roten Koalition auch mit jenen abgeklärt, die von so einer Wache eigentlich gar nichts halten.
„Schnell Nägel mit Köpfen“
Passiert aber ist anderes, ganz anderes. Im Koalitionsvertrag, gerade erst vergangenen Dezember unterzeichnet, ist nur von Videoüberwachung „an kriminalitätsbelasteten Orten“ die Rede, durchgesetzt von der SPD. Kaum drei Wochen später aber sprach die neue sozialdemokratische Innensenatorin Iris Spranger in einem Interview von einer neuen Polizeiwache am Kotti.
Und nur weitere zwei Wochen später kam die Landesregierung aus einer ersten Klausurtagung mit einem 100-Tage-Programm, zu dem plötzlich die Vorbereitung eben dieser Wache gehörte. Sie wolle „schnell Nägel mit Köpfen“ machen, war von der Innensenatorin zu hören. Nochmals nur wenig später war dann auch der Vorschlag da, diese Wache in besagter Galerie unterzubringen. Mehrfach gab es seither Demonstrationen dagegen.
Vielfach sind aber auch die Gegenargumente aus der Polizei gegen eine Wache dort: zu klein, um wirklich wirksam sein zu können, mit ihrer Glasfront zu ungeschützt für die Beamten, „wie auf dem Präsentierteller“, ohne die nötigen Parkplätze für Einsatzwagen, ohne Aufzug. Und mitnichten sei es so wie von der Senatorin dargestellt, dass sich Kollegen um Jobs dort reißen würden. Zudem wirken Grüne und Linkspartei, Koalition hin oder her, weiter nicht so, als würden sie das Projekt mittragen.
Und als ob fragliche Konzeption, schwacher Rückhalt, umstrittener Standort und mutmaßlich falsche Größe nicht ausreichten, steht seit Kurzem auch die Finanzierung infrage. 250.000 Euro sollten veranschlagt sein – jüngst berichtete der Tagesspiegel bislang unwidersprochen über Kosten von 2,5 Millionen. Da wirkt das „Nägel mit Köpfen“-machen-Wollen der Senatorin nicht energiegeladen, sondern bloß noch aktionistisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen