Streikrecht: Streik soll politisch werden
Die Kampagne für ein umfassendes Streikrecht lädt zur Diskussion, um Arbeitskämpfe auszuweiten
Das will der Jurist ändern. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Stadtteilinitiativen und juristischen Gruppen hat er sich im vergangenen Jahr in der Kampagne für ein umfassendes Streikrecht zusammengeschlossen. An diesem Donnerstag lädt das Bündnis zu einer Diskussionsveranstaltung mit Theresa Tschenker ein, die zum politischen Streikrecht in der BRD nach 1945 promoviert hat. Denn in der Bundesrepublik gibt es im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein besonders restriktives Streikrecht.
Das hat vor allem mit Hans Carl Nipperdey zu tun. Er war in der Zeit des Nationalsozialismus einer der Kommentatoren des Gesetzes zur nationalen Arbeit und hat 1952 während eines Arbeitskampfes ein Gutachten erstellt, das bis heute das Streikrecht maßgeblich beeinflusst. Dazu gehört das Verbot politischer und verbandsfreier Streiks, also eines Arbeitskampfes ohne gewerkschaftliche Beteiligung.
Das Bündnis will die Spuren des NS-Arbeitsrechtlers Nipperdey tilgen. Der Kampf um ein umfassendes Streikrecht gilt einigen der Aktivist*innen daher auch als ein Stück Antifaschismus. Das Besondere an der Kampagne ist aber vor allem, dass sie nicht in einem Gewerkschaftsbüro erdacht wurde. Vielmehr hat der Kampf für ein umfassendes Streikrecht in den vergangenen Jahren im Arbeitsalltag vieler prekär Beschäftigter ganz praktisch an Aktualität gewonnen.
Besonders die Arbeitskämpfe der Lieferdienste werden durch das restriktive Streikrecht massiv behindert. Weil die Rider, wie sich die Kurierfahrer*innen nennen, oft nicht in Gewerkschaften organisiert sind, wird ihnen das Streikrecht abgesprochen. Vor dem Arbeitsgericht haben die Rider in den vergangenen Monaten daher immer wieder ein umfassendes Streikrecht eingefordert. Und dieses etwa durch wilde Streiks auch ganz praktisch ausgeübt „Rechte müssen wir uns erkämpfen, in dem wir sie uns nehmen“, so ein Mitglied der Kampagne für ein umfassendes Streikrecht, der anonym bleiben möchte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen