Streik für den Vereinswechsel: Grauzone der Entmündigung
Die moralische Ächtung von Fußballern, die sich aus ihrem Vertrag streiken wollen, nimmt ab. Das ist gut so!
I m Fußball gleitet die Moral, welche die Mächtigen für sich gern in Anspruch nehmen, schnell ins Groteske ab. Eine WM-Vergabe in ein menschenrechtsverachtendes Land wird letztlich zur guten Tat umetikettiert, weil sie ja globale Teilhabe stärkt.
Oder jüngstes Beispiel: die Mutter des spanischen Fußballpräsidenten flüchtet für einen Hungerstreik in ein Gotteshaus und bekundet ihre Bereitschaft zu sterben, weil ihr so anständiger Sohnemann für einen aufgedrückten Kuss so hart kritisiert wird und sein Amt zu verlieren droht.
Angesichts dieser absurden Ausschläge wurden die Eigenwilligkeiten, welche dieser Tage die letzten Verhandlungen vor Schließung des Transferfensters in den europäischen Topligen begleiteten, erstaunlich unaufgeregt diskutiert.
Der französische Stürmer Randal Kolo Muani von Eintracht Frankfurt trat in Trainingsstreik, weil er unbedingt zu Paris St.-Germain wechseln wollte – letztlich mit Erfolg. Gut fanden das die Eintracht-Verantwortlichen natürlich nicht, aber sie versicherten, dass Muani trotzdem ein guter Junge sei, mit gutem Charakter. Und Eintracht-Spieler Mario Götze gab zu bedenken, dass so etwas mittlerweile dazugehöre.
Ousmane Dembélé musste sich 2017 noch ganz anderes anhören, als er seine Arbeit bei Borussia Dortmund einstellte, um seinen Transfer zum FC Barcelona zu erzwingen. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bilanzierte hernach: „Unter charakterlichen und ethischen Gesichtspunkten war der Fall Dembele katastrophal.“
Tradition des individuellen Streiks
Offenbar hat es einen schleichenden Prozess der Gewöhnung gegeben. Dembele war bei weitem nicht der Erste, der auf die Idee der Arbeitsverweigerung kam, um persönliche Interessen zu unterstreichen. Dortmund etwa profitierte 1995 davon, als Heiko Herrlich sich zu den Borussen streikte. Und auch nach Dembele wurde gestreikt. Pierre-Emerick Aubameyang und Filip Kostić bedienten sich dieses Mittels ebenso wie Neymar, Coutinho oder Antoine Griezmann.
Es hat immer etwas Anrüchiges, wenn Millionäre streiken. Aber auf der anderen Seite sitzen ja keine Wohlfahrtsunternehmen. Das Fußballtransfergeschäft musste sich nach dem Bosman-Urteil reformieren. Denn der Europäische Gerichtshof beendete ein System der Entmündigung, in dem Vereine den Wechsel von Spielern mutwillig verhindern konnten. Weil die Klubs für Spieler, deren Verträge ausgelaufen sind, keine Ablösesummen mehr einstreichen dürfen, versuchen sie nun über langfristige Verträge Gewinne zu erzielen. Der unausgesprochene Deal zwischen Vereinen und Spielern ist, dass man sie für angemessene Ablösesummen schon vorzeitig ziehen lässt. Was angemessen ist, bestimmt der Verein.
Das Bosman-Urteil schuf zu Ungunsten der Vereinen einen Raum für die Freiheit der Arbeitsplatzwahl der Spieler. Mit der Entwicklung zu den langfristigen Verträgen wurde den Vereinen das Wirtschaften wieder leichter gemacht, die Spieler ließen sich dafür erneut auf eine Grauzone der Entmündigung ein.
In dieser ist nur juristisch klar, wer im Recht und wer im Unrecht ist. Wer die Guten und wer die Bösen sind, ist dagegen keineswegs ausgemacht. Zwischen allen Beteiligten findet ein Aushandlungsprozess statt, zu dem mittlerweile auch das Mittel des individuellen Streiks zählt. Der abgebende Verein darf sich mal als Geschädigter, mal als Profiteur fühlen.
Nur Vorteile hat ein solcher Streik für die Spieler selbst auch nicht. Das sieht man allein daran, dass vergleichsweise doch selten zu diesem Mittel gegriffen wird. Mit moralischer Entrüstung kommt man im De-luxe-Menschenhandel nicht weit. Diese Erkenntnis drängt sich wohl immer mehr auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn