piwik no script img

Strategie für ForschungAuf in die Zukunft

Das BMBF arbeitet an einer „Zukunftsstrategie“ für Forschung und Innovation. Welche Alternativentwürfe hat die Zivilgesellschaft?

Die Klimaverände­rung ist eine der großen Zukunfts­herausforde­rungen auch für die Wissenschaft Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Berlin taz | Der Weg in die Zukunft erscheint unklarer denn je. Unsicherheiten allerorten. Auch die Wissenschaft ist davon betroffen. Hat sie einen Kompass, wo es wünschenswerterweise hingegen soll und was realistisch erreichbar ist? Grundsätzliche Fragen dieser Art stellen sich gegenwärtig bei der Erstellung der „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“, an der im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gearbeitet wird.

Was die Regierung vorgibt, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Welche Erwartungen und Forderungen haben die Gesellschaft und ihre zivilgesellschaftlichen Organisationen an die künftige Ausrichtung von Forschung und Innovation in Deutschland? Eine aktuelle Spurensuche in unübersichtlichem Gelände.

Zunächst die Globalzahl: 334 Milliarden Euro wurden laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2020 für Bildung in Schulen, für Wissenschaft in Hochschulen sowie für Forschung und Entwicklung (FuE) in staatlichen Instituten und der Industrie investiert (2019: 329 Milliarden Euro).

Dieser Anteil von 9,9 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP), der gesamten Wertschöpfung, sind die Zukunftsinvestitionen in Deutschland. Von den FuE-Aufwendungen in Höhe von 105 Milliarden Euro kommt circa ein Fünftel aus den Ministerien und Anstalten der Bundesregierung, überwiegend aus dem Forschungsministerium. In welche Themen­felder diese Gelder langfristig fließen sollen, dafür soll die im Ampel-Koalitionsvertrag angekündigte „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ Leitlinie sein. Derzeit noch in der Formulierung, soll das Bundeskabinett nach den derzeitigen Planungen schon im September einen förmlichen Beschluss fassen.

Zu den zentralen „Missionen“ der Strategie – den „großen gesellschaftlichen Herausforderungen“ (Grand Challenges), die mithilfe der Forschung bewältigt werden sollen – hatte der Koalitionsvertrag bereits sechs Felder vorgegeben: moderne Technologien für Industrie und Verkehr, Klimafolgen und Biodiversität, ein modernes Gesundheitssystem, technologische Souveränität und Digitalisierung, die Erforschung und Nutzung von Weltraum und Meeren sowie gesellschaftliche Resilienz, Demokratie und Frieden.

Ein Fahrplan fehlt noch

Nicht ganz unumstritten damals schon unter den politischen Antipoden FDP und Grünen war die Spannung zwischen einem Weiter-so in der Wissenschaft und dem Spurwechsel auf eine neue Fahrbahn. Dies setzt sich auch im Entwurf für die Zukunftsstrategie fort, die zwar den „Aufbruch in ein Transformationsjahrzehnt“ vollmundig deklamiert, aber den Fahrplan dorthin mit Zwischenzielen und Prioritäten gegenwärtig noch vermissen lässt. Zwar tauchen wieder, nur am Rande, forschungspolitische Streitpunkte wie die Fusionsforschung oder grüne Gentechnik auf. Aber auch neue Ansätze, die früher weggeschoben wurden, haben Eingang in den Entwurf gefunden.

Die großen Durchbrüche für eine transformative Wissenschaft hat es in den zehn Jahren nicht gegeben

So ist unter dem Titel „Die Gesellschaft als Innovationstreiberin“ ein ganzer Abschnitt den „sozialen Innovationen“ gewidmet. „Diese ‚neue‘ Stärke des deutschen Innovationssystems gilt es noch deutlicher auszuschöpfen“, heißt es im Regierungstext.

„Es eröffnen sich für den Transfer damit jedoch auch neue, andere und vielfach direktere Kanäle in die Anwendung und Verwertung.“ Fast schon revolutionär wirkt es, wenn an anderer Stelle, wo es um die Genese neuer Forschungsthemen geht, den Vorschlägen von Bürgerseite das Tor geöffnet wird.

Wörtlich heißt es: „Zudem fließen Impulse aus den Ergebnissen des ‚IdeenLauf – #MeineFragefürdieWissenschaft‘ aus dem Wissenschaftsjahr 2022 ‚Nachgefragt!‘ in die Weiterentwicklung der Zukunftsstrategie ein.“

Tatsächlich hat aber auch die Zivilgesellschaft im zurückliegenden Jahrzehnt eine Lernkurve absolviert, was die Beteiligung an und das Beeinflussen von staatlicher Forschungspolitik angeht. Ein zentrales Datum war vor zehn Jahren der Transformationskongress am Berliner Alexanderplatz, wo sich Gewerkschaften, Naturschutzverbände und Kirchen darauf verständigten, hartnäckiger auf grundlegende Veränderungen zur Nachhaltigkeit zu drängen. Für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) verfasste Uwe Schneidewind damals das Memorandum „Nachhaltige Wissenschaft“, und mehrere Umweltverbände gründeten die zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende, um der herrschenden Wissenschaft einen alternativen Transformationsdiskurs entgegenzusetzen.

Das war zwar in Ansätzen durchaus wirkungsvoll, wie Thomas Korbun, der wissenschaftliche Geschäftsführer des aus der alternativen Wissenschaftsszene kommenden Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) meint. Aber die großen Durchbrüche für eine transformative Wissenschaft hat es in den zehn Jahren nicht gegeben.

Verfehlte Innovationspolitik

Schlimmer noch: Im Bereich der angewandten Forschung – besonders der zu Windenergie und Photovoltaik, wo Deutschland in einer jungen Wirtschaftsbranche für einige Jahre Weltmarktführer war – fand ein Kahlschlag an Arbeitsplätzen statt, der von der Forschungs- und Innovationspolitik widerspruchslos hingenommen wurde. Schlimmer als es den Solons und Sulfurcells erging, kann aus Forschung hervorgegangene Innovation nicht scheitern. Welche Lehren wurden daraus gezogen?

So hatte sich der BUND im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 mit einer Neuausrichtung des Wissenschaftssystems für nachhaltige Entwicklung beschäftigt und dazu ein Forderungspapier erarbeitet. „Erkennbare Wirkungen in den Parteiprogrammen und im Koalitionsvertrag konnten wir damit leider nicht erzielen“, sagt Rudi Kurz, Sprecher der BUND-Kommission Wissenschaftspolitik, gegenüber der taz.

Längst gehe es beim Blick in die Zukunft nicht allein um Technik- und Umweltfragen, meint Kurz: „Ein Beispiel für eine komplette Leerstelle in der sozialwissenschaftlichen Forschung ist nach wie vor die Frage, wie gesellschaftliche Stabilität gesichert werden kann, wenn das Wirtschaftswachstum ausbleibt.“

Dieser Ansicht ist auch Steffi Ober, die langjährige Sprecherin der Plattform Forschungswende. Sie hofft, dass in dem Zukunftsforum, das zur Begleitung der Zukunftsstrategie eingerichtet werden soll, „nicht nur über die Gesellschaft, sondern auch mit den gesellschaftlichen Akteuren gesprochen wird“ und ein Austausch und aktive Zusammenarbeit beginnt.

Zukunft gemeinsam gestalten

„Keine der aktuellen und zukünftigen Krisen lässt sich ohne einen systemischen Innovationsansatz ­lösen“, betont Ober. „Wissenschaft und Technik werden nicht ausreichen, um die mannigfaltigen Wert- und Zielkonflikte zu adressieren, die mit der Transformation einhergehen“, ist ihre Meinung. Weil Zukunft alle angehe, müsse sie auch gemeinsam gestaltet werden. „Die Technik alleine wird es nicht richten“, sagt sie. Ob aber eine Forschungswende 2.0 eine Chance hat? Da ist sie eher skeptisch.

Der frühere Transformationsforscher Uwe Schneidewind ist heute Oberbürgermeister von Wuppertal und blickt als kommunaler Praktiker in die Vergangenheit. „Gerade angesichts der vielfältigen Transformationsanforderungen, die wir derzeit erleben, ist es extrem wichtig, dass wir hinter den Stand trans­disziplinären Arbeitens vor Ort, den wir in den letzten zehn Jahren mit der Diskussion über Reallabore und die sozialökologische Transformation erreicht haben, nicht zurückfallen“, äußert er sich auf Anfrage der taz. Gerade für die Veränderungsprozesse in den Städten ist das extrem wichtig“.

Partizipative Forschung mit Bürgerbeteiligung benutze die Instrumente „Co-Design“ und „Co-Produktion von Wissen“, was sehr viel mehr ist als nur eine andere Wissenschaftskommunikation. „Es bedeutet den Einbezug der Praxisakteure vor Ort auf Augenhöhe in Reallaboren und Transformationsprozessen“, hebt Schneidewind hervor.

Tatsächlich ist auch im BMBF-Strategieentwurf von den Reallaboren die Rede. Hierzu hat das Bundeswirtschaftsministerium mit einem Förderprogramm in den letzten Jahren Erfahrungen gesammelt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Faktisch geht es da ums Geld. Das Thema wird in Zirkeln abgehandelt, in die der Normalsterbliche nicht reingelassen wird, höchstens als Verzierung.