Straßenmärkte im Vergleich: Von Damaskus lernen
Ich erinnere mich gern an den Markt in einem Vorort von Damaskus. Hamburger Wochenmärkte sind dagegen leiser, kontrollierter und erschreckend teuer.

B ei mir um die Ecke gibt es zweimal pro Woche einen Wochenmarkt. Bisher war ich selten da, die Öffnungszeiten und ich passen noch nicht so gut zusammen. Auch samstags nicht, weil ich es am Wochenende mag, wenn meine Frau und ich ein langes Frühstück genießen und nicht wie während der Woche ein Müsli reinschaufeln müssen, um schnell zur Arbeit zu kommen. Irgendwann habe ich es doch geschafft und ich fühlte mich fast stolz. Ich sagte mir, der Einkauf auf dem Wochenmarkt tut auch Gutes für die regionalen Verkäufer:innen und für den Umweltschutz.
Auf dem Weg erinnerte ich mich an den großen Suq, den Markt in dem Vorort von Damaskus, in dem ich aufgewachsen bin. Meine Tante arbeitete früher dort und so war ich oft da und habe auch manchmal mitgearbeitet.
Dieser Markt war, um ehrlich zu sein, totales Chaos. Viele Verkäufer:innen hatten aus alten Zelten Stände gebaut, und weil sie ihre Nachbar:innen so lieb hatten, ließ niemand Platz zwischen den Ständen, es war immer eng. Und weil wir alle die Musik so lieb hatten, riefen die Verkäufer:innen so laut, dass alle zusammen einen chaotischen Chor über Obst- und Gemüsepreise bildeten.
Im Winter, oder wenn es regnete, wurde der Einkauf noch abenteuerlicher. Dann gab es große Schlaglöcher mit schlammigen Pfützen, über die wir rübersprangen. Kein Rathaus fühlte sich dafür verantwortlich, es gehörte einfach zum Suq-Erlebnis dazu. Bis heute denke ich gern an dieses Chaos zurück, vielleicht, weil mich das Chaos auf dem Suq an unser Land erinnert, vielleicht, weil wir Syrer:innen uns in diesem Chaos wiedererkennen können.
In Hamburg gibt`s keine Schlaglöcher
So oder so, der Hamburger Wochenmarkt war ganz anders. Es war viel ordentlicher, leiser und kontrollierter. Die Verkäufer:innen hatten ihre eigenen Wagen und sie hatten große Stände aufgebaut. Es gab keine lauten Rufe, weniger Konkurrenz. Jede:r wusste, wo er oder sie stehen darf, mit viel Abstand. Und selbstverständlich waren trotz Regens keine Schlaglöcher zu sehen.
Und doch beobachtete ich, wie viele Leute mit den Verkäufer:innen ins Gespräch kommen, alle sind freundlich miteinander. Das erinnerte mich wieder an unseren Suq. Früher kannte meine Tante fast alle ihre Kund:innen, sie fragte nach ihnen und ihren Familien. „Und wie geht es deiner Mutter und der Cousine ihrer Schwester und …?“
Auch wenn die Gespräche hier in Hamburg nicht so persönlich waren – es ging oft um das Wetter –, bekam ich ein nachbarschaftliches Gefühl. Anders als in meinem lokalen Edeka oder Penny, wo ich manchmal denke: Das System macht die Mitarbeiter:innen zu Maschinen, die lieber keine Zeit für Unterhaltungen haben.
Als ich den Preis für meinen Einkauf hörte, war ich wieder wach. Knapp 20 Euro für einen Kürbis, Kartoffeln und zwei Gurken? Da ist schon einiges von meinem Wochenbudget für Essen weg. Ich frage mich: Wie ist das für Menschen mit sehr wenig Einkommen? Oder für Eltern mit vielen Kindern? Wie kaufe ich regional, frisch, bio, und saisonal ein, wenn das neue Bürgergeld sagt, ich habe 5,72 Euro pro Tag für Essen?
Sind Wochenmärkte in Hamburg für die Mittelschicht und Leute mit viel Einkommen da? Oder liegt das an dem Stadtteil, in dem ich heute lebe?
Wallah, der Wochenmarkt in Deutschland ist anders als früher in Syrien. In meinem Viertel war der tägliche Suq der beste Ort um einzukaufen. Er war für arme Leute, für Großfamilien, für Menschen, die es eilig hatten. Es gab regionales, saisonales und bezahlbares Essen. Auch wenn damals niemand in Syrien mit Bewusstsein, weder für die Gesellschaft noch für die Umwelt, auf den Markt gegangen ist, bin ich doch stolz auf diesen Teil meines früheren Lebens in Syrien. Ich wünsche mir mehr von dieser Art Suq in Hamburg.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen