Zulieferer für Atomkraft: Strahlende Zukunft
Zwei Firmen in Deutschland beliefern die Atomkraftwerke der Welt mit Brennstoff. Ein Einblick in eine stille Branche, die steigende Nachfrage erlebt.
Nur 34 Kilometer Luftlinie entfernt im niedersächsischen Lingen an der Ems liegt der zweite deutsche Hochtechnologie-Standort, ohne den bei vielen Kraftwerksbetreibern nichts geht. Hier stellt ANF Brennelemente für Reaktoren her. Die Branche ist notorisch verschwiegen, gewährt aber einen kleinen Einblick. Beide Firmen feiern dieses Jahr runde Geburtstage. Und beide Firmen investieren in großem Umfang in die Werke. Denn die Nachfrage steigt.
Die Technologie verspricht zuverlässige Stromproduktion, und es hält sich die Behauptung, dass sie kein Klimagas CO2 ausstößt – obwohl der gesamte Prozess vom Abbau des Urans über seine Verarbeitung und Anreicherung bis zu Rückbau der Anlagen und der Endlagerung enorme Emissionen erzeugt. Deshalb setzen einige Länder weltweit auf Atomenergie. Sie planen neue Reaktoren klassischen Typs oder wollen sogenannte Small Modular Reactors bauen lassen, kleine, in Massen hergestellte AKWs, die dadurch günstig sein sollen. Weltweit sind dem World Nuclear Energy Status Report zufolge 63 Reaktoren im Bau, teils allerdings schon seit Jahrzehnten, weil es technische Probleme gibt oder die Kosten komplett aus dem Ruder gelaufen sind. 408 sind in Betrieb. Und alle brauchen Brennstoff.
In einem Atomkraftwerk werden Uranatome gespalten, dabei entsteht Energie. Allerdings eignet sich nur ein bestimmtes Uran-Isotop dafür: U235. Natur-Uran enthält es nur zu etwa 1 Prozent, nötig sind meist 3 bis 5 Prozent. Um das zu erreichen, wird, sehr vereinfacht, ein uranhaltiges Gas in eine Art Salatschleuder gepackt. Bei der Rotation sammelt sich das etwas leichtere U235 eher in der Mitte, das schwerere, nicht spaltbare Uran-Isotop U238 am Rand. In der echten Produktion sind mehrere Zentrifugen in sogenannten Kaskaden hintereinandergeschaltet. Das angereicherte Uran wird in Urandioxid gewandelt und in graue Pellets gepresst, mit denen Brennelemente hergestellt werden.
Produktion streng kontrolliert
Weil angereichertes Uran auch für Atombomben nutzbar ist, ist die Produktion weltweit begrenzt und streng kontrolliert. Neue Anlagen zu bauen, erfordert nicht nur die Zentrifugen, sondern auch Fachpersonal und Zeit. Alles schwer zu bekommen. Nach Angaben des Weltnuklearverbands gibt es offiziell nur wenige Fabriken auf der Welt, in denen Uran angereichert wird. Urenco, kurz für Uran Enrichment Company (Urananreicherungsfirma), ist der zweitgrößte Produzent nach der staatlichen russischen Rosatom und vor der chinesischen CNNC – mit vier Standorten: im niederländischen Almelo, im britischen Capenhurst, in Eunice in den USA und eben Gronau.
Alles begann 1970, als Deutschland, die Niederlande und Großbritannien gemeinsam Urenco gründeten. Sitz ist die Kleinstadt Stoke Poges westlich von London. Der niederländische und der britische Staat halten jeweils ein Drittel der Anteile. Je ein Sechstel gehört den deutschen Konzernen Eon und RWE, die bis zum deutschen Atomausstieg 2023 zahlreiche AKWs betrieben. Vor 40 Jahren, im August 1985, begann die Produktion in Gronau. Heute liefert die Anlage jedes Jahr Brennstoff für mehr als 20 Kraftwerke.
Preise steigen seit Jahren
Die spezielle Anreicherungstechnologie wurde in Deutschland entwickelt. Und seit fünf Jahren sitzt in Gronau auch die zentrale Forschung und Entwicklung des Unternehmens, die sich um Innovation und neue Geschäftsfelder bemüht. Unter anderem liefert Urenco auch radioaktive Isotope für die Krebsbehandlung. Hauptgeschäftszweig ist allerdings AKW-Brennstoff.
Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen zuletzt Aufträge für mehr als 20,1 Milliarden Euro erhalten, ist bis 2040 ausgelastet. 2024 setzte Urenco mit 50 Kunden in 20 Ländern rund 1,9 Milliarden Euro um, schrieb schwarze Zahlen. Konzernchef Boris Schucht blickt optimistisch in die Zukunft. Die Preise für angereichertes Uran steigen seit Jahren. Derzeit steckt Urenco mehr als 1 Milliarde Euro in den deutschen Standort, an dem mehr als 400 Beschäftigte arbeiten.
Bisher keine Sanktionen
Das Uran liefern Urencos Kunden. Die Firma selbst kauft es nicht. Und so kann es sein, dass auch russisches Uran in den Zentrifugen angereichert wird, weil der Kunde es will. Der Brennstoff unterliegt bisher keinen Sanktionen, die die EU wegen des Angriffs auf die Ukraine gegen Russland verhängt hat. Die EU-Kommission denkt aber darüber nach.
Größter Uranlieferant weltweit ist Kasachstan. Das Land förderte dem Weltnuklearverband zufolge 2022 mit rund 21.000 Tonnen. Das entspricht rund 42 Prozent der gesamten Menge weltweit und ist etwa dreimal so viel wie die Förderung Kanadas, der Nummer zwei. Russland kommt mit 2.500 Tonnen auf Rang sechs.
Russische Maschinen nötig
Auch Brennelemente sind bisher in der EU nicht sanktioniert. Länder wie Bulgarien, Finnland, Slowakei, Tschechien und Ungarn betreiben AKWs russischen Typs, für die eine bestimmte Art sechseckiger Brennelemente nötig ist. Quadratische westeuropäische lassen sich nicht verwenden. Um nicht mehr abhängig von Russland zu sein, bevorzugen die Länder eine europäische Lösung und setzen auf ANF in Lingen, weshalb auch hier ordentlich investiert wird.
Das Unternehmen gehört vollständig zum französischen AKW-Konzern Framatome, hinter dem der staatlich kontrollierte französische Energiekonzern EDF steht. ANF baut wegen des Bedarfs gerade in Lingen aus. Um die sechseckigen Brennstäbe herstellen zu können, sind spezielle – russische – Maschinen nötig. Und das niedersächsische Umweltministerium als Aufsichtsbehörde muss die Produktion genehmigen. Der Antrag liegt seit März 2022 bei der Behörde. Noch werde geprüft, sagt ein Sprecher, ein Ergebnis sei nicht abzusehen. Besonders sicherheitspolitisch ist das Thema heikel. Beteiligt am Verfahren sind offenbar mehrere Bundesministerien, die Geheimdienste und der Verfassungsschutz.
Wissen sehr speziell
Loslegen könnten sie bei ANF wahrscheinlich. Die Maschinen sind inzwischen angeliefert. Damit keine russischen Staatsbürger in den Sicherheitsbereich von ANF kamen – sie hätten wohl auch nie eine Freigabe erhalten –, schulten die Experten die ANF-Ingenieure in einer Halle außerhalb der Fabrik.
Aber warum gerade Lingen? Brennelemente herzustellen, ist eine sehr spezielle Technologie. Das Werk sei gut für neue und alle Arten von unterschiedlichen Konstruktionen ausgerüstet, heißt es bei Framatome. ANF will auch etwas entwickeln, das sich in AKWs verschiedenen Typs verwenden lässt. Weil die Auflagen hoch und das Wissen sehr speziell ist, lässt sich eine Brennelementefabrik nicht einfach irgendwo auf der Welt bauen.
Und so profitiert Lingen von den Hightech-Jobs im ANF-Werk, das im September 50 Jahre alt wird. Rund 420 Beschäftigte arbeiten dort. Zu Finanzzahlen schweigt sich Framatome aus. Wie zu hören ist, wirft das Werk Gewinn ab.
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