Strahlenbelastung in Fukushima: Zwischen Lüge und Selbstbetrug
Fast zehn Jahre nach der Reaktorkatastophe ist klar: Betreiber und Staat können ihr Aufräumversprechen nicht halten.
S chon wenige Monate nach den Kernschmelzen im Jahr 2011 in drei der sechs Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi trafen der Betreiber The Tokyo Electric Power Co., im Ausland bekannt unter dem Kürzel Tepco, und die japanische Regierung, damals schon der De-facto-Eigentümer des Stromkonzerns, eine Vereinbarung: den geschmolzenen Kernbrennstoff wolle man binnen eines Jahrzehnts aus den zerstörten Meilern bergen.
Schon damals schüttelten Kenner angesichts des ehrgeizigen Zeitplans den Kopf. Man vermutete bereits kurz nach der Katastrophe, dass die geschmolzenen Reaktorkerne zumindest teilweise aus ihren Druckbehältern ausgetreten und in die Sicherheitsbehälter geflossen waren. Sollte dieses Szenario stimmen, gäbe es keine bestehende technische Lösung, um das strahlende Material, Corium genannt, aus den Meilern herauszuholen.
An dieser Einschätzung hat sich bis heute, rund zwei Monate vor dem zehnten Jahrestag der Katastrophe, wenig geändert. Doch japanische Institutionen geben keine Fehler zu, sondern weichen ihnen aus. Psychologisch formuliert: Man steckt den Kopf in den Sand und betrügt sich selbst. Negativ formuliert: Man lügt auf Deubel komm raus, weil niemand die Verantwortung für die Folgen eines Geständnisses übernehmen will.
Nun holt die Wirklichkeit die Selbstbetrüger oder Lügner von Tepco und Regierung ein, wie immer man sie sehen will. Die Hoffnung auf eine erfolgreiche Corium-Bergung, indem man die Meiler mit Wasser flutet und die Betondeckel der Sicherheitsbehälter öffnet, hat sich zerschlagen. Der Grund: Bei zwei der drei Reaktoren strahlt dieser 1,80 Meter dicke Schutzschild so stark, dass man den dreischichtigen Deckel besser nicht hochheben sollte.
Allein die Tatsache, dass Tepco und die neue Atomaufsichtsbehörde zehn Jahre für diese Erkenntnis gebraucht haben, verrät das unglaubliche Ausmaß von Lüge und Selbstbetrug. Doch wirklich überraschend ist dieses Verhalten nicht. Die unendlich teuren Folgen finanzieren japanische Steuerzahler und Stromkonsumenten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen