Strafrecht in Deutschland: Schlimm, schlimmer, hasskriminell?
Als Konsequenz aus den NSU-Morden will die Regierung Strafen bei bestimmten Motivlagen verschärfen. Die Ausgestaltung wird heftig diskutiert.
BERLIN taz | Ist Zuschlagen gleich zuschlagen? Nein, urteilt nun auch die Bundesregierung. Bisher meinten vor allem die Grünen, dass es einen Unterschied macht, ob jemand eine andere Person verprügelt, weil beide sich gestritten haben, oder ob er sie jagt, nur weil sie anders aussieht als die Mehrheit.
Ein Migrant kann dem Streit nicht einfach aus dem Weg gehen. Er wird dafür angegriffen, dass er so ist, wie er ist. Und mit ihm wird eine ganze Gruppe in Angst und Schrecken versetzt.
Das muss Konsequenzen im Strafrecht haben, fanden bisher vor allem die Grünen. Nach dem Vorbild der USA, in denen „Hate Crimes“ in vielen Staaten mit dem doppelten Strafmaß bewehrt sind, wollen sie seit Längerem das deutsche Strafrecht ändern.
Nach der Erfahrung des Staatsversagens bei der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds will nun auch die Regierung tätig werden. Wie man das am besten macht, diskutierten am Mittwoch ExpertInnen in einem Fachgespräch der Grünen-Fraktion im Bundestag.
Das Vorhaben gilt als zu vage
Das Justizministerium hatte einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem bei der Strafbemessung nach Paragraf 46 des Strafgesetzbuches zu berücksichtigen sei, ob der Täter „besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Ziele verfolgt habe.
Zudem werden die Fälle erweitert, in denen die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich ziehen kann. Den Grünen ist das bisher zu wenig. Sie wollen, dass Angriffe auf alle „verletzlichen“ Gruppen aufgenommen werden, die auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannt werden – also Angriffe auf Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft, Rasse, sexuellen Identität, ihres Geschlechts, ihrer Weltanschauung, einer Behinderung oder ihres Alters.
Auch in den Volksverhetzungsparagrafen 130 sollten diese Gruppen eingebaut werden. Zudem soll bei „vorurteilsmotivierten Straftaten“, wie die Grünen „Hate Crimes“ übersetzen, die Staatsanwaltschaft immer automatisch aus „öffentlichem Interesse“ ermitteln und nicht nur, wenn das Opfer dies beantragt.
Auch der Anwältin Kati Lang ist das Vorhaben der Bundesregierung zu vage. Sie hat lange in der Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen gearbeitet und festgestellt, dass der Paragraf 46, der schon jetzt gebietet, die „Ziele“ des Täters bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, in der Praxis irrelevant sei.
Nur jede zweite Tat wird verfolgt
In ihrer Dissertation untersuchte die Juristin die 122 Verfahren in Sachsen, die in den Jahren 2006 bis 2007 unter dem Stichwort politisch motivierte Straftaten von rechts abgeschlossen wurden. Nur in jeder zweiten Anklageschrift wurde die Motivation der Tat überhaupt erwähnt.
Und nur in 12 Prozent der Verurteilungen wurde diese Motivation bei der Strafzumessung berücksichtigt. Lang empfahl dringend, konkrete Merkmale zu nennen, wegen deren die Person angegriffen wurde. Wenn diese im Prozess relevant würden, werde die Polizei sie auch sorgfältiger ermitteln, hofft sie.
Skeptisch gegenüber dem ganzen Vorhaben zeigte sich der Kriminologe Dirk Baier. Der stellvertretende Chef des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen stellte das gesamte Vorhaben in Frage: eine Erhöhung des Strafmaßes wegen der Motivation der Tat bringe „nichts“, denn weder Täter noch Opfer interessierten sich für die Länge der Strafe, meinte er.
Struktureller Rassismus ignoriert
Die menschenfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung gingen ohnehin zurück. Zudem sei der Zusammenhang zwischen menschenfeindlichen Einstellungen und konkreten Taten „nicht sehr stark“. Das Versagen beim Thema NSU sei auf eine schlecht ausgebildete Polizei und Justiz zurückzuführen, nicht auf das Strafrecht.
Ohnehin werde die Zahl der „Hate Crimes“ überschätzt. Übertrage man den Anteil der Verurteilungen wegen Hate Crimes aus den USA auf Deutschland, so würde es hier etwa 250 Verurteilte pro Jahr geben. Er plädierte für eine bessere Ausbildung der Polizei.
Aus dem Publikum wurde ihm daraufhin vorgehalten, er ignoriere den strukturellen Rassismus in Deutschland. Ab wie viel verletzten Ausländern sich ein Gesetz denn lohne, wurde Baier polemisch gefragt. Ob die zehn Toten des NSU dafür ausreichten? Der Gesetzentwurf der Regierung wird gerade zwischen den Ministerien abgestimmt. Die Grünen bereiten einen eigenen Antrag vor.
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