Strafmaßnahmen gegen Iran: EU sanktioniert IT-Firma ArvanCloud

Brüssel wirft dem Unternehmen vor, Teheran beim Aufbau eines nationalen Internets zu helfen. Die taz hatte Verbindungen nach NRW offengelegt.

Menschen im Iran halten ein Smartphone und machen ein Video

Menschen machen ein Video bei der Eröffnung eines IT-Shops in Teheran Foto: Moreteza Nikoubazi/picture alliance

BERLIN taz | Die EU-Staaten sanktionieren das iranische IT-Unternehmen ArvanCloud. Das geht aus einer Liste neuer Strafmaßnahmen hervor, die am Montag veröffentlicht wurde. Über ArvanCloud hatte die taz gemeinsam mit Correctiv, und netzpolitik.org vor rund drei Wochen eine Recherche veröffentlicht.

ArvanCloud ist laut deutsch-iranischer Handelskammer der größte Cloud-Service-Anbieter im Iran und sehr aktiv in der iranischen Start-up-Szene. Die EU wirft dem Unternehmen vor, der iranischen Regierung beim Aufbau eines nationalen Internets zu helfen. Ein solches nationales Intranet mit Verbindungspunkten zum globalen Internet trage laut EU dazu bei, „den Informationsfluss zwischen dem iranischen Intranet und dem globalen Internet zu kontrollieren“.

ArvanCloud sei „an der Zensur und den Bemühungen der iranischen Regierung beteiligt, das Internet als Reaktion auf die jüngsten Proteste im Iran abzuschalten“, heißt es in der Begründung der Sanktion. Die Firma werde auch mit Personen in Verbindung gebracht, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Iran verantwortlich seien. Dazu zählt die EU den iranischen Minister für Informations- und Kommunikationstechnologie, der ebenfalls selbst auf der EU-Sanktionsliste steht. Verbindungen bestünden auch zu den iranischen Revolutionsgarden.

Bauke Baumann, Nahost-Referent der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, erklärte: "Ich begrüße die neuen EU-Sanktionen gegen ArvanCloud. Gezielte Sanktionen gegen Personen und Unternehmen, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, halte ich für richtig und wichtig. Und die staatlich angeordnete Internetzensur des iranischen Regimes ist eine Menschenrechtsverletzung."

Correctiv, netzpolitik.org und die taz hatten berichtet, dass Arvan Cloud eng mit der Firma Softqloud in Meerbusch in Nordrhein-Westfalen zusammenhängt, die als Brückenkopf nach Europa fungiert. Teilweise wurden Zahlungen über internationale Zahldienstleister über die deutsche Firma abgewickelt. Auf Servern der deutschen Firma wurden Webseiten des iranischen Regimes gehostet, darunter die des iranischen Agrarministeriums und mehrerer iranischer Botschaften, etwa der in Tunesien.

Verbindungen zum iranischen Regime

In den Recherchen hatten wir Verbindungen von ArvanCloud und dem Regime offengelegt. Unter anderem hatte die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna darüber berichtet, dass ArvanCloud an einer nationalen Cloud-Struktur mitarbeitet, der sogenannten IranCloud. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna nennt dies ein „nationales Projekt“, das „im Einklang mit der Entwicklung des nationalen Informationsnetzwerks“ betrieben werde.

Aus einem Vertrag zwischen ArvanCloud und dem iranischen Kommunikationsministerium aus dem Jahr 2020 geht hervor, dass ArvanCloud für das Projekt der iranischen Cloud-Infrastruktur dem Regime weitreichende Kontrollbefugnisse einräumt. Die tatsächliche Herkunft des Dokuments lässt sich nicht endgültig verifizieren, es soll aus einer iranischen Informationsfreiheitsanfrage stammen. Auch die BBC bezieht sich in einem Bericht auf diesen Vertrag.

Ein Investor bei ArvanCloud ist zudem die iranische Firma Fanap, die mit der iranischen Pasargad Bank assoziiert ist. Das iranische Finanzinstitut wurde wegen Verbindungen zu den Revolutionsgarden im Oktober 2020 von den USA mit Sanktionen belegt.

Firma weist Vorwürfe zurück

ArvanCloud hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Weder sie selbst noch die deutsche Firma Softqloud seien an Internetfiltern, Zensur oder dem Aufbau oder Ausbau von nationalen Netzen beteiligt. Die Verträge mit der deutschen Firma Softqloud seien zudem gekündigt worden. ArvanCloud sprach davon, seit Jahren einem „Cyberbullying“ ausgesetzt zu sein.

Dieses Argument wiederholte die IT-Firma in einer Reaktion auf die jüngste Sanktionsentscheidung der EU. Man habe sich in einem „Medienkrieg gegen Gerüchte und Realitätsverfälschungen“ nicht verteidigen können, erklärte die Firma am Montag in einer Stellungnahme auf ihrer Webseite.

Seit mehreren Monaten habe ArvanCloud falsche Anschuldigungen und haltlose Behauptungen zurückgewiesen, an der Einschränkung oder Abschaltung des Internets beteiligt zu sein. Die Entscheidung der EU sei „ungerecht“ und „enttäuschend“. Die Firma kündigte an, gegen die Strafmaßnahme rechtlich vorzugehen.

Re­gime­geg­ne­r*in­nen begrüßen Sanktionen

Geg­ne­r*in­nen des iranischen Regimes begrüßten die Entscheidung der EU. Amin Sabeti, exiliranischer Experte für IT-Sicherheit, erklärte gegenüber der taz: „Die EU-Sanktion zeigt endlich, dass die EU-Staaten wirklich an ein freies und faires Internet glauben.“

Sabeti verspricht sich von der Sanktion eine deutliche Wirkung. Sie werde großen Einfluss auf die Fähigkeit des iranischen Regimes haben, das Internet abzuschalten. „ArvanCloud ist einer der Vermittler der Internetabschaltung im Iran und diese neue Sanktion wird ihren Betrieb stören.“

Für Ulrike Becker, Sprecherin der deutschen NGO „Stop the Bomb“, gehen die Sanktionen nicht weit genug. "Bundesbehörden dürfen nicht weiter alle Augen zudrücken, wenn von Deutschland aus mit der Unterdrückung der Iraner*innen gute Geschäfte gemacht werden. Firmen der Revolutionsgarden, die den iranischen Markt kontrollieren, haben in Deutschland ein Netz an Tarnfirmen aufgebaut."

Das sei bekannt, aber von den Kontrollbehörden lange ignoriert worden. "All diese Firmen müssen nun endlich auf die Sanktionslisten", sagte Becker. Die Organisation "Stop the Bomb" war wegen ihres politischen Engagements vom iranischen Regime ihrerseits Ende Oktober auf eine Sanktionsliste gesetzt worden.

Hintergrund der EU-Sanktionen gegen iranische Organisationen und Einzelpersonen ist die Unterdrückung von Protesten nach dem Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie ihr Kopftuch angeblich nicht richtig trug. In Gewahrsam wurde sie laut Zeugen geschlagen und misshandelt. Sie starb am 16. September. Im ganzen Land kommt es seitdem zu Demonstrationen gegen das islamistische Regime. Sicherheitskräfte gehen brutal gegen Kri­ti­ke­r*in­nen vor. Es gibt zahlreiche Tote.

Bundeskanzler Scholz hatte am Wochenende von „mehr als 300 Toten – reihenweise Todesurteilen, mehr als 14.000 Festnahmen“ gesprochen. Unter anderem befindet sich der bekannte Menschenrechtler und Blogger Hossein Ronaghi in Gewahrsam. Der 37-Jährige befindet sich seit mehr als einem Monat im Hungerstreik und wurde deshalb nun in ein Krankenhaus eingeliefert. Sein Bruder erklärte am Wochenende, dass sein Leben in Gefahr sei.

Ronaghi hatte als einer der Ersten kritisch über ArvanCloud berichtet. Der deutsche Journalist Bamdad Ismaili schrieb am Montag dazu auf Twitter, man solle ihm ausrichten, dass ArvanCloud nun auf der EU-Liste steht: „Damit es ihm bald besser geht.“

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