Stipendiat in Rom: „Wie in einem Science-Fiction-Film“
Die Leipziger Künstlergruppe Famed arbeitet derzeit in Rom in der Villa Massimo. Eingeschränkt bewegungsfähig wegen des Coronavirus.
Seit September 2019 arbeitet das Leipziger Künstlerduo Famed in Rom als Stipendiaten der renommierten Villa Massimo. Noch im Februar eröffneten sie eine Ausstellung in der Galerie der Villa, nun dürfen sie das Gelände nur noch zum Einkaufen verlassen und denken darüber nach, wie Kunst dennoch gezeigt werden kann. Per E-Mail beantworten beide Fragen zur Situation.
taz: Wie sieht derzeit der Alltag in der Villa Massimo aus?
Famed: Seit mehr als einer Woche befinden wir uns in kollektiver Quarantäne. Alle Veranstaltungen wurden abgesagt, die Villa ist für Gäste nicht mehr zugänglich und fast alle Mitarbeiter befinden sich im Homeoffice. Lediglich die Direktorin, Julia Draganović, und zwei Mitarbeiter, die ebenfalls auf dem Gelände wohnen, arbeiten vor Ort und treffen sich täglich mit uns, um die aktuelle Lage zu besprechen.
Ein kompletter Shutdown, auch das Gelände darf nicht mehr verlassen werden, nur noch, um das Notwendigste einzukaufen. Dafür muss man ein Schreiben in Form einer Selbstauskunft bei sich tragen, damit bei Polizeikontrollen festgestellt werden kann, dass man sich in unmittelbarer häuslicher Umgebung bewegt. Seit Freitag vor einer Woche fliegen auch keine Flugzeuge mehr und um die Villa herum herrscht eine gespenstische Stille.
Menschen mit Masken und Handschuhen, leere Busse auf fast leeren Straßen, es fühlt sich an wie in einem Science-Fiction-Film. Aber es ist Frühling und Quarantäne hier in der Villa lässt sich dann doch ziemlich gut aushalten! Schwierig ist es dagegen für jene, die wenig Platz zur Verfügung haben oder die sich in einer problematischen sozialen Lage befinden.
Sind Mitarbeiter*innen oder andere Stipendiat*innen am Coronavirus erkrankt oder müssen in Quarantäne, weil sie Kontakt zu Erkrankten hatten?
Nein, bisher ist zum Glück noch niemand erkrankt. Lediglich ein Stipendiat ist zusammen mit seiner Familie in eine freiwillige Quarantäne gegangen, da sie zuvor in einer Region in Italien unterwegs waren, in der vermehrt Coronafälle aufgetreten sind. Aber die Quarantäne ist inzwischen beendet, keiner hatte sich infiziert.
Wie reagieren die Stipendiat*innen auf die Situation? Gibt es Reaktionen, Aktionen?
Das Künstlerduo Famed sind Sebastian M. Kretzschmar und Jan Thomaneck. Ihre medial vielfältigen Werke verhandeln Themenkomplexe wie Identität und Produktivität sowie Präsenz im Kontext von Raum und Gesellschaft. Einzelausstellungen hatten sie unter anderem im Kunstverein Braunschweig, im Kunstmuseum St. Gallen und im Museum der bildenden Künste Leipzig. Gastprofessuren führten sie an die Kunsthochschule Kassel und die Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Noch bis Juni sind sie Stipendiaten der Villa Massimo in Rom.
Auf die Situation haben wir uns als Stipendiat*innen mittlerweile eingestellt. Da das Angebot an öffentlichen Veranstaltungen ausgesetzt werden musste, wird nun über Alternativen auf verschiedenen Social-Media-Kanälen nachgedacht. Darüber hinaus wird es ein Screening mit Beiträgen der Stipendiat*innen vom Gelände der Villa Massimo geben. Dafür wurde extra eine Leinwand aufgestellt, die man von der Straße und aus den Wohnblocks gegenüber sehen kann.
Wir wollen sichtbar machen, dass Kunst trotz dieser Einschränkungen weiterhin gezeigt und durchaus auch neu gesehen werden kann. Weitere Aktionen und Reaktionen werden sicherlich noch folgen, da davon ausgegangen werden kann, dass die Quarantäne über den 3. April 2020 hinausgehen wird.
Werden Sie die Situation künstlerisch verarbeiten?
Wir versuchen unseren Arbeitsalltag so gut es geht aufrechtzuhalten, was für einige von uns allerdings schwierig ist, da zum Beispiel der Zugriff auf notwendige Materialien kaum möglich ist. Künstlerbedarfsläden und Baumärkte, aber auch Bibliotheken und Museen sind geschlossen. Nichtsdestotrotz werden wir die Situation künstlerisch verarbeiten. Eine derartige Ausnahmesituation kann nicht spurlos an einem vorbeigehen. Wir planen gerade eine größere Textarbeit sowie eine mobile Skulptur im Außenraum, auf die dieser Zustand bereits Einfluss nimmt.
Auch in Deutschland wird das öffentliche Leben immer weiter eingeschränkt. Was raten Sie in dieser Situation?
In Rom fällt uns sehr positiv auf, dass die Menschen sehr rücksichtsvoll miteinander umgehen. Auch beim Einkaufen im Supermarkt wirkt der Umgang mit der Situation unaufgeregt und vernünftig. Auch wenn die Regale manchmal etwas leerer sind als gewohnt, entsteht keine Panik. Von den wenigen Menschen auf der Straße tragen die meisten eine Atemmaske.
Das ist immer noch befremdlich und wirkt sich auch auf die eigene Psyche aus. Aber es zeigt auch, dass die Lage ernst ist und Schutzmaßnahmen notwendig sind. Das italienische Lebensgefühl, das auch wir in den letzten Monaten genießen durften, ist de facto zum Erliegen gekommen. Das ist traurig zu beobachten und sehr einschränkend. Dennoch ist die Akzeptanz für die Maßnahmen bemerkenswert. Vielleicht kann man sich daran ein Beispiel nehmen.
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