Stimmungslage in Brandenburg: Rechtsruck im Aufschwungsland
Brandenburg ist das erfolgreichste Bundesland im Osten. Dennoch liegt die AfD in Umfragen vor der Wahl vorne. Warum das so ist? Eine Spurensuche.
Schon lange vor der heißen Phase des Wahlkampfs versuchte Dietmar Woidke Zuversicht zu verbreiten. „Wir sind die attraktivste Wirtschaftsregion in ganz Deutschland“, sagte Brandenburgs SPD-Ministerpräsident im Februar und verwies auch auf den demografischen Aufwärtstrend. „Wir haben als Flächenland wieder so viele Einwohnerinnen und Einwohner wie 1990, das ist nicht selbstverständlich.“
Brandenburg wächst. Brandenburg boomt. Tesla hat weitere Neuansiedlungen nach sich gezogen. In der Lausitz wird der mit Milliarden geförderte Strukturwandel langsam sichtbar. Warum liegt dann noch immer die AfD in den Umfragen für die Landtagswahl am 22. September vorne? Warum wird der Aufschwung in der Mark von den Wählerinnen und Wählern nicht honoriert.
Eine richtige Antwort hat auch der 62-jährige Dietmar Woidke auf diese Frage nicht. „Warum es diese Unzufriedenheit gibt, ist für mich schwer zu fassen“, sagt er zehn Tage vor der Wahl. „Es enttäuscht und nervt mich, dass hier permanent versucht wird, den Menschen schlechte Laune zu machen.“
Wachstum im Osten
Im mit Türmchen verzierten Landratsamt in Beeskow hat Frank Steffen seinen Sitz. Nur knapp hatte der SPD-Politiker im Mai 2023 die Stichwahl gegen einen weitgehend unbekannten Bewerber der AfD gewonnen. Dabei ist der Landkreis Oder-Spree im Osten Brandenburgs Tesla-Kreis. „Tesla war für uns ein ganz wichtiger Impuls“, sagt Landrat Frank Steffen im Gespräch mit der taz und erzählt die Geschichte der jüngsten Einbürgerungsveranstaltung. „Von zehn Einzubürgernden arbeiteten fünf für Tesla.“
Der 180.000 Einwohner zählende Landkreis und seine Kreisstadt Beeskow stehen gut da. Schon 2020 hat das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos den Landkreis Oder-Spree in die Top Ten der deutschen Landkreise mit den besten Wachstumsaussichten bis 2030 befördert. Nicht nur die Wirtschaft boomt zwischen Erkner und Eisenhüttenstadt, auch die Bevölkerung wächst. 2023 hatte LOS einen positiven Wanderungssaldo von 2.446 Personen.
Sind wachsende Regionen immuner gegen Rechtspopulismus als schrumpfende, Herr Steffen? Der Landrat zögert, sagt dann, dass die AfD bei der Stichwahl zur Landratswahl in den berlinnahen Gemeinden schlechter abgeschnitten habe als weiter im Osten. „Dort sind die Leute eher bereit, populistischen Parteien ihre Stimme zu geben, weil sie das Gefühl haben, dass sie nicht so im Blick sind oder manchmal vergessen werden“, sagt Steffen.
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Der SPD-Politiker setzt deshalb verstärkt auf eine Bürgerbeteiligung, die zu konkreten Ergebnissen führe. „Wir machen das jetzt beim Fahrplan für die Busverkehrsgesellschaft, wo wir rausgehen und mit Schülerinnen und Schülern ganz konkrete Probleme besprechen“, sagt er. „Warum fährt der Bus nicht drei Minuten früher, damit ich den Regionalexpress erreiche?“
Frank Steffen weiß aber auch, dass frischer Wind guttut: „Es braucht Impulse, also Leute, die moderne Themen hineintragen, aus einem anderen Umfeld kommen und auch mal eine Dorfgemeinschaft im positiven Sinne aufbrechen. Warum soll man die Dinge nicht auch anders machen?“, fragt er. Solche Impulsgeber können Berlinerinnen und Berliner sein, die aufs Land ziehen. „Aber auch Rückkehrer sind wichtig.“
Gründe für den Rechtsruck
Wird die AfD bei den Landtagswahlen am 22. September in Brandenburg weniger erfolgreich sein als in Sachsen oder Thüringen? Folgt man der Sozialwissenschaftlerin Katja Salomo vom Wissenschaftszentrum Berlin, müsste die Antwort Ja lauten. Demokratieskeptische und fremdenfeindliche Einstellungen, hat sie herausgefunden, sind nicht nur in wirtschaftlich abgehängten Regionen besonders häufig anzutreffen, sondern auch in solchen mit einer „prekären demografischen Entwicklung“.
„Menschen in Regionen, die geprägt sind von hoher Abwanderung und einer starken Alterung“, sagt Salomo, „fühlen sich benachteiligt und haben Angst, auf die Verliererseite des Lebens zu geraten – unabhängig von der konkreten wirtschaftlichen Lage.“ Nicht nur eine gefühlte Abwärtsspirale sei das, sondern auch eine ganze reale. „Bevölkerungsschwund senkt die Kaufkraft vor Ort, Angebote für Einkauf und Freizeit verschwinden, Infrastruktur und Verkehrsanbindungen zu größeren Zentren dünnen sich aus.“
Tatsächlich hat Brandenburg weniger mit Abwanderung zu kämpfen als Sachsen oder Thüringen. Seit 2015 wurde in den meisten der 14 Landkreise und vier kreisfreien Städte die negative Bevölkerungsentwicklung gestoppt, Brandenburg wächst seitdem. Der Landkreis Dahme-Spreewald könnte Bevölkerungsprognosen zufolge bis 2030 sogar an der Spitze der deutschen Landkreise stehen. Zwar haben Sachsen und Thüringen mehr Großstädte, aber Brandenburg hat Berlin.
Anders sieht es im Süden des Landes aus. In den an Sachsen grenzenden Landkreisen Spree-Neiße, Oberspreewald-Lausitz und Elbe-Elster wird die Bevölkerung noch zurückgehen. Wachstum gibt es dort nur beim Wohnungsleerstand. Im Kreis Spree-Neiße, der rund um die Boomtown Cottbus liegt, beträgt er bei kommunalen Wohnungsunternehmen 20,1 Prozent.
Die Währung der Demokratie
Auch Welzow verzeichnet seit zwei Jahren wieder einen leichten Bevölkerungsrückgang. 3.250 Menschen leben in der kleinen Stadt am Rande des noch aktiven Tagebaus Welzow-Süd im Kreis Spree-Neiße. Für die bereits stillgelegten Flächen hat die Stadt vor Jahren ein Beteiligungsverfahren gestartet. Eine „Neue Landschaft Welzow“ soll entstehen. „Doch der Elan ist längst verpufft“, hat Bürgermeisterin Birgit Zuchold beobachtet. „Wir wissen auch noch gar nicht, ob wir das als Stadt überhaupt betreiben können.“
Welzow ist klamm. Von den Milliarden, die nach Cottbus fließen, kommt nur wenig im ländlichen Raum an. Eine Zukunft nach der Kohle zu schaffen, muss die Stadt nahezu alleine stemmen, zum Beispiel eine Genossenschaft unterstützen, die Wohnraum für Zuzügler schaffen will. „Einen Bürgerhaushalt kann sich die Stadt nicht leisten“, sagt Zuchold. Zu viel Verwaltungsaufwand. Also fragt die Bürgermeisterin selbst bei den Welzowerinnen und Welzowern, was sie sich wünschen. Vertrauen in die Politik ist die Währung der Demokratie.
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Und wenn die Mehrheit der Brandenburger am Sonntag die AfD wählt, Frau Zuchold? „Wenn die Menschen eine Partei wählen, die nicht für etwas, sondern nur gegen alles ist“, überlegt Birgit Zuchold, „muss man den Wählerwillen dann nicht ernst nehmen?“ Warum soll sich eine Minderheitsregierung der AfD nicht Mehrheiten suchen müssen? Zeigen, ob sie überhaupt in der Lage ist, die politischen Aufgaben zu lösen? „Und wenn nicht, dann muss es Neuwahlen geben.“
Andrea Wieloch sitzt im Garten des Museums Utopie und Alltag und nippt am Kaffee. Auch Eisenhüttenstadt hat mit dem Strukturwandel zu kämpfen. Weil es aber vom Stahl lebt und nicht von der Kohle, gibt es dafür keine Mittel vom Bund oder vom Land.
Seit zwei Jahren leitet Wieloch das Museum. Zuvor hat die Medienwissenschaftlerin am Brandenburg Museum in Potsdam die Ausstellung „Morgen in Brandenburg“ kuratiert. 30 Zukunftsprojekte hat die Schau gezeigt, von der Akademie der Dorfhelden in Trebnitz im Landkreis Märkisch-Oderland bis zur Villa Marx in Herzberg in Elbe-Elster, wo ein „Ort der Partizipation und Begegnung“ entstehen soll.
Andrea Wieloch stammt aus der Nähe von Görlitz und fragt sich schon deshalb, was den Unterschied zwischen Sachsen und Brandenburg ausmacht. „Anders als Sachsen“, sagt sie dann, „hat Brandenburg das Thema Rechtsextremismus in der Vergangenheit nicht verharmlost.“ Die Polizei habe Nazikonzerte aufgelöst, das Bündnis Tolerantes Brandenburg wichtige Aufklärungsarbeit und Vernetzung geleistet.
Ein gutes Drittel der Zukunftsprojekte, die Wieloch gezeigt hat, war im Berliner Speckgürtel beheimatet. Für Wieloch ist das nicht unbedingt ein Makel, sondern eher das Abbild eines Flächenlandes, in dem 40 Prozent der Menschen am Berliner Stadtrand leben. „Der Unterschied zu Sachsen und Thüringen“, sagt sie, „liegt unter anderem in den Austauschbeziehungen zwischen der wachsenden Metropolregion und dem ländlichen Raum.“
Berlin, das ist nicht nur ein Magnet, der junge Leute aus der Prignitz, der Uckermark oder der Lausitz anlockt. Berlin versorgt umgekehrt auch Brandenburg mit neuen Ideen. „Wichtig ist, dass es einen Austausch ganz verschiedener Menschen und Ansichten gibt“, sagt Wieloch. „Dass es Leute gibt, die sagen, dieses und jenes könnte man auch mal anders machen.“
Zuwanderung ist also ein entscheidender Faktor für Brandenburg, auch die aus dem Ausland. Die allerdings ist kein Selbstläufer, das weiß nicht nur Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, wenn er über den Strukturwandel in der Lausitz spricht und die Willkommenskultur, die es brauche, damit die Fachkräfte aus Deutschland und dem Ausland auch kommen.
Auch Landrat Frank Steffen weiß um das Thema. „Die zunehmend ablehnende Haltung Fremden gegenüber ist sehr gefährlich“, sagt er. „Jemand, der aus dem Ausland kommt und Arbeit sucht, guckt genau, wie das Mikroklima vor Ort ist. Bin ich da willkommen? Werde ich da womöglich schräg angeguckt.“
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