piwik no script img

Stimmung in OstdeutschlandMein Vater und die Grünen

Kommentar von Andreas Knie

Vom ostdeutschen Zeitgeist scheinen die Grünen aktuell meilenweit entfernt zu sein. Unserem Autor kommt diese Situation bekannt vor.

Ziesar in Brandenburg 1992, die ersten Westautos sind angekommen Foto: Paul Glaser

D rei Landtagswahlen im Osten und zweimal sind die Grünen aus Parlamenten geflogen, in denen sie ohnehin eigentlich nie wirklich angekommen waren. Das hatte personelle Konsequenzen, aber das Problem bleibt ungelöst. Grüne Weltrettung und ostdeutsche Lebensrealitäten, das passt nicht. Obwohl die Grünen mit „Bündnis 90“ als einzige Partei eine Reminiszenz an die ostdeutsche Bürgerbewegung im eigenen Namen tragen, wird der Partei das nicht gedankt. Und das wird auch so bleiben. Es ist Zeit für eine radikale Neujustierung.

Der allgemeine Trend in den Analysen ist momentan eine Pauschalisierung: Demnach sind die Ostdeutschen mit einer Rakete aus dem sozialistischen Alltag in das materialistische Zeitalter geschossen worden. Seit 30 Jahren fleißig arbeitend, erkennt man sehr wohl an, es geht aufwärts: Die Einkommen steigen, die Ausstattung der Haushalte mit Konsumgütern ist statistisch sehr gut, Reisen und andere Annehmlichkeiten können nicht geleugnet werden und sind im Bericht des Ostbeauftragten genau erfasst und nachzulesen.

Bei genauerer Betrachtung stellte man aber auch fest: Im Westen wurde noch mehr verdient, und obwohl es auf der Karriereleiter im Osten aufwärts ging, an der Spitze sitzt immer einer aus dem Westen. Die Autos im Westen sind immer noch dicker und größer. Und wenn es mit der Wirtschaft mal eng wird, dann werden die Standorte im Osten eben als erste geschlossen.

Eine saturierte Gesetztheit wie im Westen konnte sich da im Osten bisher nicht wirklich ausbreiten. Der Wohlstand ist zwar da und erlebbar, er erscheint aber fragil. Man traut dem ökonomischen Frieden nicht so recht, es riecht noch zu sehr nach Almosen und einer immer noch zu erbringenden Dankbarkeit.

Andreas Knie

ist 1960 in Siegen geboren. Er ist Professor für Soziologie an der TU Berlin und seit 2020 Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Und dann kommen da die Grünen um die Ecke. Kaum hat man endlich das größere Auto, die Flugreise und das schönere Haus, dann soll das schon alles wieder verkehrt sein. Die Grünen in Ostdeutschland, das ist genauso absurd wie damals die Grünen im Westdeutschland der 1980er Jahre.

Kulturschock

Daher kurz zurückgespult an den Anfang der Grünen im Westen: Schon beim Besuch des Mehringhofs in Kreuzberg, einem Zentrum mit Betrieben in Selbstverwaltung, fuhr ihm der Schrecken in die Glieder, weil dort eine Veranstaltung zur Einführung einer sozialistischen Einheitsrente angekündigt wurde – für meinen Vater ein Graus! Die kulturellen Beigaben im ehemals besetzten Fabrikgebäude, wie das Frühstück bis 17 Uhr, schreckten da schon weniger.

Viel irritierter war er aber, als wir zu einer der ersten alternativen Bäckereien liefen und es dort erst ab 10 Uhr frische Brötchen gab. Als gelernter Müller und Bäcker war die Nacht für ihn früher um 3 Uhr zu Ende gewesen, dafür gab’s die Brötchen schon um 6 Uhr. Zudem musste er feststellen, dass an seinem um die Ecke abgestellten Mercedes der Stern abgerissen war. Das war damals in Berlin so üblich.

Mein Vater war am Ende seines Aufenthalts im wilden Berlin der 80er Jahre so etwas wie traumatisiert.

Mein Vater war am Ende seines ersten Berlin-Aufenthalts so etwas wie traumatisiert. Die konventionelle Welt des Westens und das wilde Berlin mit der AL, das passte in den 1980er Jahren überhaupt nicht zusammen.

Sicherheit erlaubt Versöhnung

Mein Vater besuchte mich dann aber doch jedes Jahr und am Ende seiner Tage hatte er gar so etwas wie Verständnis dafür, dass es neben seiner eigenen Welt auch noch eine andere gab.

Mein Vater lebte aber im Westen schon so etwas wie das postmaterialistische Zeitalter. Er hatte mit seinen Fahrzeugen beim kleinen Lloyd angefangen und war über Opel und BMW am Ende zu seinem Mercedes gekommen. Haus und Grundstück gehörten ihm, alles schuldenfrei, keine Hypothek mehr drauf. Er hatte nichts geschenkt bekommen, etwas Vorzeigbares und Anerkanntes geleistet und aus dieser Selbstsicherheit konnte er eine Souveränität entwickeln, die am Ende sogar die Grünen zuließ.

Diese Kultur der saturierten Sicherheit gibt es im Osten so nicht, sie entwickelt sich erst und braucht dazu noch sehr viele Jahre. Es gibt auch noch keine eigenen Referenzpunkte zur Justierung des Geleisteten. Es ist immer noch der Westen, der Maß und Richtung vorgibt. Und da kommen die Ideen der postmaterialistischen Grünen natürlich nicht wirklich gut an und stoßen auf dasselbe Unverständnis wie damals in Berlin.

Bottom-up statt Top-down!

Grüne sind immer eine Bedrohung materialistischer Werte wie Auto, Eigenheim mit Ölheizung. Denn wenn die großen Klimafragen aufgerissen werden und die vortragenden Menschen selbst wie von Zauberhand von materiellen Zwängen befreit erscheinen, wirkt das irritierend. Wie machen die das ohne Auto und ohne Ölheizung? Es ist so, dass die Menschen auch im Osten den Klimawandel nicht ignorieren. Aber man fragt sich bei den Grünen: Können die über Wasser laufen? Haben die keine Schwäche? Wo wohnen die eigentlich und fahren die wirklich alle mit dem Fahrrad?

Die Inhalte der Grünen werden und müssen auch von den anderen Parteien übernommen werden. Denn es wird schon bald ums nackte Überleben auf diesem Planeten gehen. Aber es bleibt beim Clash der Kulturen zwischen der vorherrschenden materialistischen und der postmaterialistischen Welt.

Die Grünen müssten sich vom Flächenwahlkampf und von der Idee einer Volkspartei im Osten auf Jahrzehnte verabschieden. Stattdessen sollten sie sich als Freie Wähler in der Nische neu fokussieren, dort, wo sie Resonanz finden, dort, wo die Lebensentwürfe auch gelebt und von anderen beobachtet werden können. Bottom-up statt Top-down!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ich bin ja immer wieder glücklich und - vor allem - dankbar, wenn mir irgendwelche Westdeutschen erklären, dass wir ja eigentlich ein bisschen plemplem sind, in diesem Falle ca. 40 Jahre zurückgeblieben. Und dann wundern sich die Bundis ernsthaft, warum die im übrigen Europa infolge des "allgemeinen und besonderen Durchblicks" keiner leiden kann? Naja.