■ Stille Hilfe aus Frankreich: Fernsehsender berichten, 30 Millionen Mark „Provisionen“ aus dem Leuna-Verkauf seien 1992 verdeckt in Helmut Kohls Wahlkampfkasse geflossen: Bimbès pour Helmut
Ist Rudolf Scharping (SPD) 1994 nicht Bundeskanzler geworden, weil der damalige sozialistische Staatspräsident Frankreichs, François Mitterrand, seinem Freund Helmut (Kohl) beim Wahlkampf für die Bundestagswahl 1994 finanziell kräftig unter die Arme gegriffen hat? Die Frage ist seit Samstag berechtigt. Denn die ARD berichtet gemeinsam mit dem staatlichen französischen Fernsehsender France 2, dass Mitterrand im Zusammenhang mit dem Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie an den französischen Mineralölkonzern Elf Aquitaine mit 30 Millionen Mark Kohls Bundestagswahlkampf 1994 unterstützt habe. Bislang war immer von Schmiergeldzahlungen oder Subventionsbetrug im Zusammenhang mit der Privatisierung von Leuna die Rede. Elf war damals noch ein reines Staatsunternehmen (siehe Text unten). Es ist seit langem bekannt, dass sowohl Mitterrand als auch Kohl ein sehr großes Interesse an dem deutsch-französischen Geschäft hatten. Seit 1994 ermitteln die französische und die Schweizer Staatsanwaltschaften. Mittlerweile weiß man, dass Elf im Zusammenhang mit dem Kauf von Leuna und der Minoltankstellenkette mindestens 85 Millionen Mark an Schmiergeldern oder „Provisionen“ auf Schweizer Konten überwiesen hat. Auch dass das Geld weiter nach Deutschland floss, ist so gut wie sicher. Nur: Wer in Deutschland hat es bekommen?
Beide Fernsehsender zitieren einen „hochrangigen Informanten aus dem unmittelbaren Umfeld von Mitterrand“, der sagt: „Das war kein Bestechungsgeld, das Geld war für die Wahlkampagne. Die Zahlung war im Staatsinteresse – für Europa.“ Kohl und Mitterrand treu ergebene Geheimdienstler hätten das Geld zu diesem Zweck im Ausland „geparkt“ und dann in kleinen Summen nach Deutschland geschleust. Diese Erklärung könnte die Frage nach dem Verbleib der 85 Millionen Mark zumindest zum Teil beantworten. Wobei ARD und France 2 nur die „Glaubwürdigkeit“ ihrer Zeugen, deren Identität sie schützen, als Beleg anführen können.
Kohl dementiert jetzt über einen Sprecher die Wahlkampfunterstützungsversion. Alles „frei erfunden und erlogen“. Kohls Sprecher redet von einer „Rufmordkampagne“. Sicher scheint aber, dass der französische Geschäftsmann André Guelfi am 24. Dezember 1992 über seine Briefkastenfirma Noblepac knapp 70 Millionen Mark von Elf auf ein Liechtensteiner Konto überwiesen hat, für das der deutsche Geschäftsmann und Ex-Geheimdienstler Dieter Holzer die Hauptvollmacht bessessen hat. Holzer war als Vermittler zwischen Kohl und Elf Aquitaine tätig. Gegen ihn ermittelt die Genfer Staatsanwaltschaft. Weitere elf Millionen sollen auf ein anderes Liechtensteiner Konto gegangen sein. Über dieses verfügte der französische Ex-Geheimdienstler Pierre Lethier, der in Sachen Leuna für Elf vermittelte und früher bei der Auslandsspionage für „deutsche Angelegenheiten“ zuständig war.
Offenbar gibt es an exponierter Stelle in Deutschland und Frankreich ein deutliches Interesse, Details zu vernichten: In Frankreich verschwanden Unterlagen zu der „piste allemande“, der „deutschen Richtung“, bei den Elf-Ermittlungen aus dem ständig bewachten Gebäude der Pariser Finanzpolizei. Der Verdacht liegt nahe, dass Geheimdienstler an der Operation beteiligt waren.
In Deutschland sind die entscheidenden Akten zu Leuna aus dem Kanzleramt und Bundesfinanzministerium verschwunden. Allerdings ist das Bundeskanzleramt bisher weder beim Bundesverkehrsministerium noch bei der Treuhandanstalt vorstellig geworden. Auch dort gibt es die Akten zur Leuna-Privatisierung.
Heißt einer von Kohls edlen Spendern also vielleicht doch Mitterrand? Zuzutrauen wäre es beiden. Es gab eine enge persönliche und politische Bindung zwischen ihnen. Wenn es so war, hat Kohl auch davon gewusst. Denn keiner in der CDU hätte sich getraut, eine solche Transaktion am „Alten“ vorbeizuführen.
Welches Interesse könnte Mitterrand gehabt haben, Kohl zu stützen? Im Herbst und Winter 1992 steckte der Prozess der europäischen Einigung und das deutsch-französische Verhältnis in einer tiefen Krise. Am 17. September waren das britische Pfund und die italienische Lira nach massiven spekulationsbedingten Abwertungen aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) geflogen. Daraufhin wurde befürchtet, der französische Franc könne den Weg der Währungen Großbritanniens und Italiens gehen – und dann wäre das europäische Einigungsprojekt tot.
Für François Mitterrand war der Schuldige ausgemacht: Die Bundesbank, die mit ihrer Hochzinspolitik Frankreich zur Stützung seiner Währung zu hohen Zinsen zwinge. Für die Bundesbank war es hingegen nicht akzeptabel, aus politischen Gründen zu stützenden Maßnahmen für den französischen Franc gezwungen zu werden.
Aus Sicht der französischen Regierung war Deutschland nunmehr ein Risikofaktor. Frankreich, schrieb die den Sozialisten nahestehende Le Monde, müsse dem deutschen Aufbau Ost massiv unter die Arme zu greifen und zugleich das Projekt Währungsunion vorantreiben, um die EG zu retten.
Aus dieser Sichtweise erklärt sich, warum zu diesem Zeitpunkt die jetzt in Teilen aufgedeckte Geheimdienstoperation gestartet wurde und zugleich der größte französische Staatskonzern Elf an die Spitze des Aufbaus Ost gestellt wurde. Dazu kam, dass Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident François Mitterrand die europäische Einigung als ihr gemeinsames Projekt betrachteten, während Bundesregierung und Bundesbank in der Öffentlichkeit erhebliche Differenzen zeigten; zum Beispiel war die Bundesbank gegen den von Kohl gewünschten Solidaritätspakt.
Anfang 1993, nach dem jetzt bekannt gewordenen Geldtransfer aus Frankreich also, änderte sich plötzlich die Politik der Bundesbank. Am 4. Februar wurden die deutschen Leitzinsen um 0,25 bzw. 0,5 Prozent gesenkt. Frankreichs Sozialisten jubelten. „Der Supertanker hat den Kurs gewechselt“, sagte ein Mitterrand-Berater.
Langfristig nützte es nicht viel. Frankreichs Sozialisten verloren im März 1993 die Parlamentswahlen. Im Sommer, nach erneuten Attacken auf den Franc, wurde das EWS in seiner bisherigen Form begraben. Die Entscheidung, die Wechselkurse innerhalb des Währungssysteme freizugeben, fiel am 1. August. Zwei Tage später wurde der Generaldirektor von Elf, der Mitterrand-Vertraute Loik Le Floch-Prigent, entlassen.Karin Nink, Dominic Johnson
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