Stichwahl in Nordrhein-Westfalen: Das Testlabor
In Wuppertal kandidiert der Grüne Uwe Schneidewind für das Amt des Oberbürgermeisters – gegen die SPD und mit Hilfe der CDU.
D ie Bundesstraße 7 ist so etwas wie die Lebensader Wuppertals. Vier-, sechs- und manchmal achtspurig zieht sie sich über 13 Kilometer vom Stadtteil Langerfeld im Osten bis Sonnborn im Westen durch das Tal, das zu beiden Seiten schnell ansteigt. Das „San Francisco Deutschlands“ hat Regisseur Tom Tykwer seine Heimatstadt wegen ihrer vielen Treppen und steilen Straßen einmal genannt – der tiefste Punkte der Stadt liegt 101, der höchste 350 Meter über dem Meeresspiegel. Die B7 aber folgt im Tal dem Lauf des Flusses Wupper und zerschneidet die Stadt: 40.000 Autos rollen täglich durch die Zentren von Elberfeld und Barmen, die 1930 mit den Gemeinden Vohwinkel und Ronsdorf zu Wuppertal zusammengeschlossen wurden.
Doch die Straße sorgt nicht nur für Lärm, Dreck und schlechte Luft – sie könnte auch Uwe Schneidewind gefährlich werden. Mit Unterstützung der CDU will der Grüne Oberbürgermeister Wuppertals werden – und die B 7 steht symbolisch für den inhaltlichen Spagat, den der 54-Jährige im Wahlkampf überzeugend verkörpern und verkaufen muss.
Immerhin: Im ersten Wahlgang hat sich das Bündnis der beiden Parteien ausgezahlt. Am 13. September lag der Grüne Schneidewind mit 40,8 Prozent auf Anhieb 3,8 Punkte vor dem SPD-Amtsinhaber Andreas Mucke. Welcher von beiden in den nächsten fünf Jahren im Rathaus sitzt, entscheiden die Bürger*innen wie in vielen anderen Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens am kommenden Sonntag (siehe Kasten) in einer Stichwahl.
Die allerdings dürfte in der Geburtsstadt des langjährigen nordrhein-westfälischen SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau ein sehr, sehr knappes Rennen werden – denn der Herausforderer von Sozialdemokrat Mucke ist nicht irgendwer: Schneidewind war zehn Jahre Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Für seine Oberbürgermeister-Kandidatur hat er das Institut verlassen, ist aber weiter Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Bergischen Universität, die in Elberfeld über der Stadt thront.
Immer wieder taucht der studierte Betriebswirt in Rankings der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands auf, ist Mitglied im wachstumskritischen Club of Rome. Im wissenschaftlichen Beirat des Umweltverbands BUND sitzt Schneidewind auch. Mit der Versöhnung von Technik, Ökonomie und Ökologie beschäftigt sich der gebürtige Kölner seit Jahrzehnten. Sein 2018 erschienenes Buch „Die große Transformation“ gilt vielen als Blaupause für den Umbau der Gesellschaft hin zur Zukunftsfähigkeit.
Im kommunalen Wahlkampf aber könnte genau diese Biografie zum Ballast werden. „Ich werde Sie nicht wählen“, sagt eine Mitvierzigerin zu Schneidewind, der in grauer Anzughose, dunkelblauem Hemd und das Jackett über dem Arm am vergangenen Samstag am Ende der Elberfelder Fußgängerzone Straßenwahlkampf macht. Er fordere ja nicht nur eine Umweltspur auf der B 7, sondern außerdem eine „autofreie Innenstadt“, erklärt die Frau, die sich eine „langjährige CDU-Wählerin“ nennt. Damit gefährde er den von Corona sowieso schon gebeutelten Einzelhandel.
Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen vom 13. September hat die CDU mit landesweit 34,3 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. Auch die SPD landete in ihrem einstigen Stammland mit 24,3 Prozent gerade noch auf Platz zwei – vor den Grünen, die satte 20,0 Prozent einfuhren. FDP, Linke und auch die AfD blieben mit 5,6 Prozent, 3,8 Prozent und 5,0 Prozent landesweit einstellig.
Bei den Direktwahlen für das Amt der Oberbürgermeisterin oder des Oberbürgermeisters erreichten viele Kandidat*innen nicht die erforderliche absolute Mehrheit von 50 Prozent. In Nordrhein-Westfalens größter Stadt Köln muss die parteilose, von CDU und Grünen unterstützte Amtsinhaberin Henriette Reker am 27. September deshalb noch einmal gegen den zweitplatzierten SPD-Herausforderer Andreas Kossiski ran. In Düsseldorf muss der Sozialdemokrat Thomas Geisel das Rathaus gegen den vorn liegenden CDU-Mann Stephan Keller verteidigen. Und in Mülheim an der Ruhr tritt die einstige niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn, Mitgründerin von Greenpeace Deutschland, gegen den CDU-Mann Marc Buchholz an.
Stichwahlen zwischen Grünen und Christdemokraten gibt es dagegen in Münster, Bonn – und in Aachen. In der Heimatstadt von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) lag im ersten Wahlgang die Grüne Sibylle Keupen mit mehr als 39 Prozent weit vorn. Spannend wird die Stichwahl auch im seit 1946 SPD-regierten Dortmund: Dort hat sich die grüne Basis für eine Wahlempfehlung für den Christdemokraten Andreas Hollstein ausgesprochen – gegen den Sozialdemokraten Thomas Westphal. (wyp)
Vor den Sonnenschirmen von Christdemokraten und Grünen lächelt Schneidewind gequält. Eine Umweltspur, also Platz für Busse, Taxis und Fahrräder auf der Hauptverkehrsachse, sei erst einmal kein Thema, und eine autofreie Innenstadt erst recht nicht, versichert er. „Dann müssen Sie das klarstellen“, fordert die CDU-Wählerin. „Wie oft denn noch“, stöhnt der Oberbürgermeister-Kandidat.
Doch Schneidewind, der überhaupt nicht abgehoben wirken will und sehr oft lächelt, lässt sich nicht lange ärgern: In einer Gruppe Frauen auf Jungesellinnen-Abschiedstour erkennt er ein schönes Fotomotiv für seine Kampagne. „Halt halt, wollt ihr ein Bild mit dem zukünftigen Oberbürgermeister“, fragt der Hochschullehrer, dessen Eltern 1959 als Teenager aus der DDR geflohen sind und der als Erster in seiner Familie Abitur gemacht hat – und wird von dem zunächst etwas irritiert wirkenden Haufen prompt in die Mitte genommen.
Tatsächlich findet sich im Wahlprogramm des Grünen kein Wort von Umweltspur oder autofreier Innenstadt. „Es geht nicht um Auto vs. Fahrrad, Parkplatz gegen Fußweg“, heißt es stattdessen darin. „Ich will mein Programm nicht auf eine verkürzte Wahlkampflogik reduzieren lassen, sondern die Stadtgesellschaft überzeugen – und verhindern, dass die Leute schnell in ihren ideologischen Schützengräben verschwinden“, sagt Schneidewind später im Gespräch. Natürlich seien Projekte wie eine nachhaltige Mobilität in der schwarz-grünen Konstellation nicht einfach umsetzbar. Gerade Wähler*innen der Grünen bitte er deshalb „um einen Vertrauensvorschuss“.
Die grüne Klientel verprellen will er auf keinen Fall. „Wenn die B 7 in zehn Jahren noch vier Spuren für Autos bietet, hat Wuppertal die Verkehrswende verschlafen. Ins Zentrum einer Stadt mit hoher Lebensqualität gehört keine vierspurige Bundesstraße“, sagt er deshalb auch. Umgesetzt werden könne der Rückbau allerdings erst, wenn weniger Leute das Auto und mehr Menschen das Rad nutzen würden. „Ich will keine verärgerten Autofahrer, die wie in Düsseldorf auf eine leere Umweltspur schauen.“
Schneidewind folgt damit genau der Blaupause, die er in seinem Buch „Die große Transformation“ beschrieben hat. „Moralische Revolutionen“ folgten einem fünfphasigen Schema, schreibt er unter Verweis auf die Theorie des in New York lehrenden Philosophen Kwame Anthony Appiah. Probleme würden zunächst ignoriert, dann erkannt. Erst wenn zusätzlich ein persönlicher Bezug hergestellt, ein persönlicher Nutzen deutlich worden sei, werde gehandelt. In der fünften Phase herrsche dann „Unverständnis, dass die alte Praxis je bestehen konnte“.
Übertragen auf die Wuppertaler Verkehrspolitik heißt das: Große Teile der Stadtgesellschaft stecken irgendwo zwischen Ignoranz und Problemerkennung fest. Mit einem besseren öffentlichen Nahverkehr, mit mehr Fuß- und Radwegen will Schneidewind deshalb mehr Leute zum Verzicht aufs Auto bewegen. Erst danach, wenn Lärm und Schadstoffbelastung sinken, könnten auch bislang überzeugte Autofahrer*innen verstehen, dass auch sie von einer Mobilitätswende profitieren.
In der keine 40 Kilometer entfernten Landeshauptstadt seien die Umweltspuren einfach unüberlegt und überhastet eingeführt worden, glaubt Schneidewind – und gefährdeten so die Wiederwahl des amtierenden SPD-Oberbürgermeisters Thomas Geisel. „In Düsseldorf wird sich in den nächsten zehn Jahren niemand mehr an das Thema Umweltspur herantrauen.“
Lange eine lokale GroKo
Allerdings: Um seine Strategie umsetzen und die Stadt in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität umbauen zu können, muss Schneidewind die Stichwahl am 27. September erst einmal gewinnen.
Denn vor Ort zeigt nicht nur der Auftritt der aufgebrachten CDU-Anhängerin, wie groß die Vorbehalte gegen den Grünen in Teilen des Bürgertums sind. Auch bei nicht wenigen Christdemokraten galt Schneidewind lange nur als Notlösung. Im Stadtrat bildete die CDU 14 Jahre lang einträchtig eine Große Koalition mit der SPD. Wechselstimmung kam erst auf, als der seit 2004 regierende christdemokratische Oberbürgermeister Peter Jung vom SPD-Mann Andreas Mucke vernichtend geschlagen wurde: 2015 holte der Sozialdemokrat 59,7 Prozent der Stimmen – ebenfalls in einer Stichwahl.
Danach mussten die Christdemokraten erkennen, dass die GroKo im Stadtrat nicht mehr auf ihr Konto, sondern auf das der SPD einzahlte. Nachdem Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition mit der FDP gescheitert waren, schmiedete die CDU im November 2018 ein „Kernbündnis“ mit den Grünen. Die wollten nach jahrelanger Opposition mit gestalten – und entschieden sich gegen Muckes Sozialdemokraten: „Politik ist gerade auf kommunaler Ebene immer stark abhängig von Personen – und der langjährige SPD-Stadtratsfraktionsvorsitzende Klaus Jürgen Reese hat uns Grüne immer wieder wissen lassen, dass er nichts von uns hält“, erklärt Marc Schulz, ehemals grüner Fraktionschef, seit Dezember 2019 dritter Bürgermeister und früher selbst einmal Sozialdemokrat.
Machtkampf in der CDU
Die CDU stürzte die Suche nach einem geeigneten Oberbürgermeister-Kandidaten in einen schmutzigen Machtkampf. Während der Stadtratsfraktionsvorsitzende Michael Müller über Schneidewind nachdachte und angeblich nichts von dessen grüner Parteimitgliedschaft wusste, wollte dies Kultur- und Sicherheitsdezernent Matthias Nocke unbedingt verhindern.
Am 10. Mai 2019 schlug er Müllers Verbündeten, den damaligen Wuppertaler CDU-Chef Rainer Spiecker, im Kampf um den Kreisvorsitz in einer Kampfabstimmung. Müller, der mit einer Wutrede noch versucht hatte, Nocke zu schaden, trat drei Tage später zurück. Die CDU-Stadtratsfraktion wird seitdem von einer Doppelspitze geführt, in der Hans-Jörg Herhausen als konservativ und Ludger Kineke als Vertreter einer modernisierten Großstadt CDU gilt.
Doch das Intermezzo Nocke währte nicht lang. Nachdem der Wuppertaler Parteichef seine Ehefrau Barbara Reul-Nocke, Schwester des NRW-Innenministers Herbert Reul (CDU), als Oberbürgermeister-Kandidatin ins Gespräch gebracht hatte, machten sich nicht nur die Junge Union, sondern auch christdemokratische Alt-Bürgermeister wie Peter Jung für Schneidewind stark.
Der Grüne überzeugte am 9. Dezember bei einer CDU-Mitgliederversammlung in der historischen Wuppertaler Stadthalle: Mehr als 75 Prozent der Parteibasis votierte für die Unterstützung des Grünen. Nocke dagegen trat im Januar zurück. Jetzt wird die Wuppertaler CDU kommissarisch von dem einstigen FDP-Mann Rolf Köster geführt. „Reines Chaos“ habe in der Partei geherrscht, sagt ein CDU-Ratsherr, der „in der Öffentlichkeit mit dieser Aussage nicht in Verbindung gebracht werden“ will.
Wuppertal: „unter Wert verkauft“
Das Motto „Schneidewind verbindet“, mit dem der Grüne für das Bündnis mit der zerstrittenen CDU wirbt, wirkt deshalb merkwürdig. Warum tut er sich die Oberbürgermeister-Kandidatur überhaupt an? „Wuppertal ist eine faszinierende Stadt“, lautet die Antwort. Einst erstes Zentrum der industriellen Revolution in Deutschland, müsse sich die Heimatstadt des Textilunternehmers, Marx-Sponsors und Revolutionärs Friedrich Engels heute „mit wenig Geld und vielen Herausforderungen in Wirtschaft, Stadtentwicklung und Mobilität neu erfinden“.
Außerdem glaubt Schneidewind, dass es eben nicht reicht, über die Zukunftsfähigkeit allein nachzudenken und für sie zu werben. Als Rathauschef will er gestalten, die Stadt zu einem Zentrum der regenerativen Energien und der Kreiskaufwirtschaft machen. Seine Kandidatur sei ein „Angebot an die Wuppertaler Stadtgesellschaft“, sagt er – aktuell werde die Stadt im Schatten Düsseldorfs und des Ruhrgebiets „weit unter Wert verkauft“.
Für Christdemokraten und Grüne in Land und Bund bedeutet seine Kandidatur aber noch mehr. Mit Schneidewind als Oberbürgermeister würde Wuppertal zu einem weiteren Testlabor, in dem geprüft werden kann, ob Parteimitglieder und Wähler*innen bereit für Schwarz-Grün sind. Nicht umsonst bekommt der Kandidat prominente Unterstützung: Für Schneidewind warben in Wuppertal nicht nur Grünen-Parteichef Robert Habeck und dessen Vorgänger Cem Özdemir – auch der christdemokratische Bundesgesundheitsminister Jens Spahn macht sich für den Grünen stark.
Schwarz-Grün als Testmodell
In der grünen Landeszentrale in Düsseldorf gilt Schwarz-Grün sowieso als Zukunftsmodell: Das Bündnis aus CDU und FDP, mit dem NRW-Ministerpräsident Armin Laschet regiert, hat seine Mehrheit laut Umfragen längst verloren. Und dass sich die SPD ausgerechnet in ihrem einstigen Stammland erneut in eine Große Koalition zwängen lässt, gilt am Rhein als absolut undenkbar.
Allerdings ist da noch der amtierende Oberbürgermeister Andreas Mucke. Wer den Rathauschef im Wahlkampf beobachtet, merkt schnell, dass der Sozialdemokrat nicht zu unterschätzen ist. Der im Wuppertaler Stadtteil Arrenberg geborene Ingenieur ist ein Kumpeltyp, spricht die Sprache der einfachen Leute. Optisch ist er seinem Herausforderer dabei überraschend ähnlich: Wie Schneidewind ist der Sozialdemokrat 54 Jahre alt, schlank, trägt eine braune Hornbrille.
„In Wuppertal sind leider viele Leute arm“, sagt Mucke zu einem Rentner am Wahlkampfstand, den seine Genoss*innen vor einem Discounter im Stadtteil Steinbeck aufgebaut haben. „Viele kriegen nur eine kleine Rente, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben.“ Manche Konzerne machten sich dagegen „die Taschen voll“ – und wollten danach verschwinden. „Schauen Sie sich nur an, wie Schaeffler uns hier im Regen stehen lassen will“, sagt Mucke: Der milliardenschwere Automobilzulieferer hat Anfang September verkündet, sein Werk in Wuppertal komplett schließen zu wollen – die 900 Mitarbeiter*innen protestieren zusammen mit der IG Metall.
Mucke weiß, dass er gegen Schneidewind nur bestehen kann, wenn er die soziale Frage zum Topthema macht. Offiziell gelten 18 Prozent der 355.000 Menschen in der Stadt als arm – wie das Ruhrgebiet wird die größte Stadt des Bergischen Lands seit Jahrzehnten von einem wirtschaftlichen Strukturwandel gebeutelt. Die einst dominierende Textilindustrie ist fast komplett verschwunden. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 10,7 Prozent. Jedes dritte Kind wächst in Armut auf. Der Oberbürgermeister verspricht für die kommenden fünf Jahre deshalb nicht nur 10.000 neue Jobs, sondern auch tausend neue Sozialwohnungen.
Viele haben Migrationshintergrund
Vor dem Netto-Markt kommt das gut an. „Ich habe sie schon gewählt – per Briefwahl“, sagt nicht nur der Rentner, der aus Geldmangel das Auto abgeschafft und das Zeitungsabo gekündigt hat. Der Fahrer eines vorbeifahrenden Wagens lässt die Scheibe herunter: „Alles Gute! Viel Glück!“, ruft er Mucke zu. „Das war Özkan Köse, Weltmeister im Kickboxen“, sagt der Oberbürgermeister. Der mache ehrenamtlich Jugendarbeit, lobt er.
Der Kickboxer steht dabei stellvertretend für eine Wählergruppe, die ebenfalls entscheidend sein könnte. 40 Prozent der Wuppertaler*innen haben einen Migrationshintergrund, und für die Grünen mobilisiert deren Ko-Ratsfraktionschefin Yazgülü Zeybek. Deswegen fährt Mucke nach seinem Termin vor dem Discounter zu einem Futsal-Hallenfußball-Turnier, das der Wuppertaler SV als Zeichen gegen Rassismus organisiert hat. In Jeans, schwarzem Polo-Hemd und Adidas-Sneakern spricht er dann auf der Tribüne von 1.000 Ganztagsschul- und 2.500 Kitaplätze, die er schaffen will.
Zur Finanzierung dringt er auf einen „Altschuldenfonds für die Folgen des Strukturwandels“. Ja, Wuppertal habe „Schulden von insgesamt 1,8 Milliarden“ Euro. „Allerdings haben wir auch schon rund 300 Millionen Euro der Kassenkredite getilgt – und hatten 2017 erstmals seit Jahrzehnten wieder einen ausgeglichenen Haushalt“, wirbt der Oberbürgermeister. Die Stadt müsse endlich wieder investieren können. Um bis 2035 klimaneutral zu werden, müsse auch die Friseurin unterstützt werden, damit sie sich mit „ihrem kleinen Gehalt einen neuen, energiesparenden Kühlschrank leisten“ kann.
Kulturszene unterstützt grün
Der Streit um die Umweltspur auf der B 7 ist für Mucke dagegen nur „ein Symbolthema“ – auch wenn die SPD immer wieder versucht, Schneidewind in die Rolle des Autohassers zu drängen. „In Wuppertal gibt es 200.000 Autos – und wenn Platz auf der Hauptverkehrsachse fehlt, fahren die Leute durch die Wohnquartiere“, sagt der Amtsinhaber dazu nur.
Mit seinem Schwerpunkt Sozialpolitik überzeugen kann der Rathauschef allerdings längst nicht alle. „Von Mucke haben wir viel mehr erwartet“, sagt Harald Thomé, Mitgründer des Erwerbslosenzentrums Tacheles. „Die 10.000 neuen Arbeitsplätze, die Mucke in den ersten fünf Jahren geschaffen haben will, sehe ich nicht“, sagt Thomé. „Das sind höchstens Ein-Euro-Jobs.“ Allerdings: Zur Wahl empfehlen will er auch Muckes grünen Konkurrenten nicht: „Schneidewinds Profil“, sagt Thomé, „ist klassisch neoliberal. Das Soziale spielt in seinem Programm kaum eine Rolle.“
Schneidewind dagegen kann sich auf die Unterstützung der Kulturszene verlassen – in einer Umfrage des Landesbüros Freie Darstellende Künste vor der Wahl am 13. September schnitt er in Wuppertal besser ab als jeder seiner Konkurrenten. Dass bei der Stichwahl am Sonntag aber wenige tausend Stimmen wahlentscheidend sein könnten, weiß der Herausforderer ebenso wie der Amtsinhaber. „Die Entscheidung zwischen mir und meinem SPD-Konkurrenten Andreas Mucke wird sehr, sehr knapp ausfallen“, sagt Schneidewind. „Einer von uns beiden wird vielleicht 51 oder 52 Prozent holen – und der andere verliert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr