Sternmarsch in Argentinien: Strom, Wasser, Gas – alles zu teuer
Die Preise steigen, aber der Protest wächst ebenfalls an: In Buenos Aires demonstrieren 300.000 Menschen gegen die Politik des Präsidenten Mauricio Macri.
Der „Marsch für Brot und Arbeit“ war bereits am Montag in fünf Provinzen gestartet. Aufgerufen hatten soziale Organisationen aus dem informellen Sektor. Der macht je nach Schätzung zwischen 40 und 50 Prozent der Wirtschaftsleitung des Landes aus und zeigte sich gut organisiert.
Zudem trug die Regierung kräftig zur Mobilisierung bei. In der Nacht zum Donnerstag beschloss der Kongress ein Gesetz, mit dem die Tarife für Gas, Wasser und Strom auf den Stand von November 2017 gesenkt und zukünftige Steigerungen an Inflation und Lohnerhöhungen gekoppelt werden sollten. Doch noch bevor der Kongress mit der Stimmenmehrheit der Opposition das Gesetz verabschiedete, hatte Macri sein Präsident-Veto unterschrieben.
Für die Regierung steht die Haushaltsanierung über allem. Gebetsmühlenhaft wird darauf verwiesen, dass in den zwölf Jahren der Vorgängerregierung die Tarife mit Hilfe staatlicher Subventionen eingefroren waren und ein immer größeres Loch in der Kasse verursacht hatten.
Stimmen der Betroffenen
„Das Veto zeigt die absolute Unfähigkeit dieser Regierung zum Dialog und ihre mangelnde Sensibilität für das Leiden von denen, die diese Tarife nicht mehr bezahlen können,“ kommentierte Juan Grabois, von der Confederación de Trabajadores de la Economía Popular, einer Vereinigung, die in den Armensiedlungen aktiv ist.
In zwei Jahren Macri-Regierung stiegen in der Hauptstadt Buenos Aires die Tarife für Strom um rund 560 Prozent, für Wasser um rund 340 Prozent und für Gas um rund 220 Prozent. Zugleich verteuerte sich das Busticket von 3,25 Peso auf 9 Peso. „Alles wird teurer, nicht nur Strom, Wasser und Gas,“ sagt Graciela Fernández, die zusammen mit anderen Frauen einen kleinen Comedor in dem Ort Otamendi in der Provinz Buenos Aires organisiert. Kinder aus armen Familien bekommen dort täglich ein kostenloses Mittagessen. Das Brot backen sie selbst. „Ein Kilo Mehl kostet heute 25 Peso, vor einem Jahr waren es noch zwölf,“ sagt die 60-Jährige.
Rubén Guzman, Gelegenheitsarbeiter
Nach offiziellen Angaben sank der Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung von September 2016 bis Ende 2017 landesweit von 32 Prozent auf 25,7 Prozent. Der Durchschnittswert verschleiert, dass gerade in den kleinen Provinzen viele nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Das bestätigt Rubén Guzman, der aus der nördlichen Grenzprovinz Formosa nach Buenos Aires gekommen ist. Noch könne er mit Changas, wie die informelle Gelegenheitsarbeiten heißen, seine Familie gerade so über Wasser halten. „Seit Monaten gibt es kaum noch Changas, bei vielen geht die Angst vorm Hunger um,“ sagt der 43-Jährige.
Weitere Einsparungen geplant
Florencia Tejerina ist aus der südlichen Provinz Río Negro ist gekommen. Im bäuerlichen Familienbetrieb werden auf 35 gepachteten Hektar Zwiebeln gezogen. Die 22-Jährige ist für Ein- und Verkauf zuständig. Zwar hätten sie letztes Jahr nur acht Peso für den Sack Zwiebeln gekommen, dieses Jahr dagegen 80 Peso. Doch im Gegenzug seien die Preise für Saatgut und Düngemittel explodiert, und die ständig steigende Pacht drücke ihnen die Gurgel zu. „Wenn die Regierung keine Kredite für den Kauf von Ackerflächen in Aussicht stellt, geht der kleinbäuerlichen Landwirtschaft bald die Luft aus.“
All dies fließt ein in die Forderungen an die Regierung, für die der „Marsch für Brot und Arbeit“ in die Hauptstadt gezogen ist. Mehr Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den sozial schwachen Siedlungen, sofortige Nahrungshilfen für notleidende Kinder und Jugendliche, Hilfe für Abhängige und Drogengefährdete und die Einrichtung eines Kreditfonds für die familiären Landwirtschaftsbetriebe zum Kauf von Ackerflächen. Ob die Regierung den Forderungen nachkommt, ist mehr als fraglich. Noch am Freitag kündigte Haushaltsminister Nicolás Dujovne weitere Einsparungen in Höhe von 800 Millionen Dollar an.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten