Sterbehilfe: Deutscher Arzt gibt Beihilfe zu
Der Dignitas-Vizechef bestätigt, in Deutschland Suizid-Beihilfe geleistet zu haben. Sterbehilfe versteht er als Teil seines Arzt-Berufes.
Erstmals hat ein Vertreter der Schweizer Sterbehilfe-Organisation Dignitas bestätigt, auch in Deutschland Beihilfe zum Suizid geleistet zu haben. Uwe-Christian Arnold, Berliner Arzt und Zweiter Vorsitzender des Vereins in Deutschland, sagte gegenüber der taz: "Mein erster Sterbefall war eine Frau um die 50. Sie hatte Krebs." Die schwerstkranke Patientin habe ihn gefragt, was sie machen solle, wenn es nicht mehr gehe, sagte Arnold. "Sie hatte eine Morphiumpumpe. Der habe ich dann einen Tipp gegeben, wie sie es schafft."
Bisher war bekannt, dass Dignitas todkranke Menschen, die sterben wollen, in die Schweiz schickt. Dort prüft ein Arzt den Sterbewunsch des Patienten. In einer Dignitas-Wohnung trinkt der Kranke später einen Becher mit einem speziellen, in der Schweiz zugelassenen tödlichen Medikament. Er verliert das Bewusstsein und stirbt. 120 Deutsche gingen 2006 diesen Weg.
In der Bundesrepublik ist das Schweizer Medikament verboten. Doch Arnold sagt: "Man kann auch hier was machen. Das sagt nur niemand öffentlich. Aber ich habe die Nase voll von dieser Heuchelei." Kranke müssten nicht unbedingt in die Schweiz reisen. Arnold verweist darauf, dass auch in Deutschland Medikamente verschrieben werden können, die in einer bestimmten Kombination zum Tod führen.
Von Seiten der Justiz drohen Uwe-Christian Arnold voraussichtlich keine Konsequenzen. Aktive Sterbehilfe ist zwar verboten. Doch Beihilfe zur Selbsttötung ist auch in Deutschland straffrei. Allerdings gibt es Einschränkungen. Sobald der Kranke das Bewusstsein verliert, hat der Arzt die Pflicht, ihn zu retten. Ansonsten macht er sich wegen Tötung durch Unterlassen schuldig. Ärzte können also Tipps geben oder einzelne Mittel verschreiben, dürfen aber bei der Durchführung einer Selbsttötung nicht dabei sein.
Standesrechtlich ist Arnolds Vorgehen höchst umstritten. Ein Arzt gelobt bei der Erteilung der Approbation, dass die Erhaltung der Gesundheit eines Menschen das oberste Gebot seines Handelns ist. Wer dagegen verstößt, riskiert möglicherweise ein Berufsverbot. Arnold, der selbst lange Jahre eine urologische Praxis hatte, kritisiert diese Regelung scharf. "Sterbehilfe ist ein Teil unseres Berufes", sagt der Mediziner. "Der ärztlich assistierte Suizid ist mein Ziel. Im Klartext: Ich will, dass es Sterbehelfer gibt, genauso wie es Geburtshelfer gibt. Ärzte, die sich damit beschäftigen wollen, die sollen das verdammt noch mal auch tun können." Schon heute komme ein niedergelassener Arzt immer mal in die Situation, dass er "ein bisschen nachhelfen" müsse. "Das passiert nicht ständig. Das sind Einzelfälle, aber die gibt es", sagt Arnold.
Mit seinem Bekenntnis zum ärztlich assistierten Suizid geht der Dignitas-Vertreter in der Debatte um Sterbehilfe in Deutschland einen Schritt weiter. Schon die Eröffnung der Dignitas-Niederlassung in Hannover vor knapp zwei Jahren hatte für Furore gesorgt. Kritiker werfen dem Verein vor, mit der Sterbebegleitung Geschäfte machen zu wollen. Die Schnellabfertigung der Kranken sei unwürdig. Schweizer und deutsche Medien hatten auch berichtet, eine 43-jährige Deutsche sei nicht binnen Minuten gestorben, sondern habe nach Einnahme des von der Organisation besorgten Giftes einen langen Todeskampf erlitten. Dignitas wies diese Berichte als falsch zurück.
Trotz der wiederkehrenden Kritik an der Sterbehilfe-Organisation befürwortet eine große Mehrheit der Deutschen offenbar deren Anliegen. In einer Umfrage des Stern aus dem Jahr 2005 waren 74 Prozent der Meinung, es solle Ärzten erlaubt sein, Schwerstkranken auf deren persönlichen Wunsch hin ein tödliches Mittel zu verabreichen. Lediglich 20 Prozent der Befragten lehnten das ab.
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