Steffi Lemke über atomares Erbe: „Wir brauchen Sanktionen gegen russisches Uran“
Die Fabrik Lingen produziert weiterhin Brennstäbe – mit Uran aus Russland. Umweltministerin Steffi Lemke sieht die Erweiterung des Werks kritisch.
![Protestierende hinter einem Banner mit der Aufschrift: „Wer Atomausstieg sagt, muss auch die Brennelementefabrik stillegen“ Protestierende hinter einem Banner mit der Aufschrift: „Wer Atomausstieg sagt, muss auch die Brennelementefabrik stillegen“](https://taz.de/picture/7522786/14/Proteste-gegen-Brennelemente-1.jpeg)
taz: Der Atomausstieg ist geschafft, trotzdem wird uns die Atomkraft noch lange beschäftigen. Da ist beispielsweise die Brennelemente-Fabrik in Lingen. Wie kann es sein, dass Deutschland Brennstäbe für AKWs produziert, obwohl wir gar keine mehr brauchen?
Steffi Lemke: Diese Fabrik steht im Eigentum eines französischen Staatsunternehmens und ist also keine ausschließlich deutsche Angelegenheit. Sie wurde 2011 vom parteiübergreifenden Atomausstieg ausgenommen, und für ein Gesetz zur Stilllegung fand sich bislang keine Mehrheit im Bundestag. Jetzt soll die Anlage sogar erweitert werden, und ich verstehe alle, die den Eindruck haben, dass die Produktion von Brennelementen bei uns im Land den deutschen Atomausstieg konterkariert. Für die Genehmigung ist das niedersächsische Umweltministerium zuständig. Die Kollegen in Hannover und das Bundesumweltministerium als Bundesaufsicht sehen die beantragte Erweiterung kritisch. Wir sind uns einig, dass der Antrag mit größter Sorgfalt geprüft werden muss.
taz: Die Menge an russischem Uran, die im vergangenen Jahr nach Lingen eingeführt wurde, ist um 66 Prozent gestiegen. Ihr Parteikollege, der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer, sagt, angesichts der Sanktionen gegen Russland sei das ein Skandal. Brauchen wir nicht auch Sanktionen gegen russisches Uran?
Lemke: Das sehe ich genauso: Wir brauchen auch Sanktionen gegen russische Uranimporte. Deshalb haben wir uns auch auf europäischer Ebene dafür eingesetzt. Aber wir haben dafür keine europäische Mehrheit gefunden. Es ist doch absurd, dass Europa durch den Import von russischem Uran dazu beiträgt, Putins Angriffskrieg mitzufinanzieren. Das finde ich sehr problematisch. Im Übrigen genauso wie die russische Schattenflotte. Auch das ist nicht akzeptabel, dass bestehende Sanktionen unterlaufen werden.
57, ist Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Sie ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.
taz: Die Friedens- und Umweltbewegung, aus der Sie ja selbst stammen, wirft Europa Zynismus und Doppelmoral vor: Warum gelingt beim Uran nicht, was bei russischem Erdgas gelang?
Lemke: Im Kreis der EU-Mitgliedstaaten war im Atombereich bisher keine Einigung auf Sanktionen möglich. Grund hierfür sind die sehr unterschiedlichen Positionen zur Atomenergie und damit zusammenhängend die energiewirtschaftlichen Interessen und Abhängigkeiten. Es zeigt, dass es auch bei der Atomkraft viel weitergehende Abhängigkeiten von Russland gibt, als man denkt. Ich würde mir hier analog zu fossilen Energieträgern eine konsequentere Haltung der EU wünschen.
taz: Betreiber der Fabrik ist eine Tochter des französischen Atomkonzerns Framatome, der eine Zusammenarbeit mit dem russischen Konzern Rosatom vereinbart hat. Rosatom will jetzt in Lingen einsteigen. Haben Sie keine Handhabe, dagegen vorzugehen?
Lemke: Das Bundesumweltministerium hat diese Frage vor allem aus Sicherheitsaspekten zu beurteilen. Wir hatten dazu ein Rechtsgutachten beauftragt, ob über technische Sicherheitsaspekte auch grundsätzliche Fragen zur Sicherheit genehmigungsrechtlich zu berücksichtigen sind, und das hat ergeben, dass ein Einstieg von Rosatom für die Sicherheit Deutschlands tatsächlich Fragen aufwirft, die nun im Genehmigungsverfahren behandelt werden müssen. Das Genehmigungsverfahren für dieses Vorhaben obliegt dem Land Niedersachsen und ist noch nicht abgeschlossen.
taz: Ein anderes Gutachten kam zu dem Schluss, dass ein Endlager für den deutschen Atommüll frühestens 2074 gefunden werden wird. Was wird aus den 16 Zwischenlager-Standorten bis dahin?
Lemke: Dieses Gutachten berücksichtigte nicht bereits zwischenzeitlich erfolgte Fortschritte des Endlagersuchverfahrens– weitere Verbesserungsmaßnahmen müssen und werden folgen. Dann wird und muss es gelingen, bis Mitte des Jahrhunderts den bestmöglichen Standort für ein Endlager auszuwählen. Das sind wir nicht zuletzt den Menschen schuldig, die in der Nähe der Zwischenlager leben. Bis dahin müssen die Zwischenlager selbstverständlich die jeweils aktuellen Sicherheitsanforderungen erfüllen. Aber dies alles zeigt, wie problematisch die Hinterlassenschaften der Atomenergie sind: Wir haben mit ihr für wenige Jahrzehnte Energie produziert, aber sie wird uns Hunderttausende Jahre belasten.
taz: Die Atomkonzerne haben 24 Milliarden in den Fonds eingezahlt, um diese Ewigkeitskosten abzudecken. Wir sehen heute etwa beim Bau eines Endlagers für schwach radioaktiven Müll – dem Schacht Konrad –, dass die Kosten als zu gering eingeschätzt wurden. Werden die 24 Milliarden ausreichen oder muss der Steuerzahler doch wieder einspringen?
Lemke: Dass die Mittel in dem Fonds ausreichen, steht derzeit trotz der mit Kostenprognosen verbundenen Unsicherheiten nicht infrage. Die Finanzmittel des Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung liegen gegenwärtig deutlich über dem Einzahlungsbetrag. Trotzdem bleibt natürlich das Gebot der Stunde, mit der Endlagersuche schneller voranzukommen und diese atomare und strahlende Last endlich sicher einzuschließen.
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