Steffen Reiche über Christmetten-Predigt: „Kein Rabatt auf Menschenrechte“
Provozieren wollte Reiche mit seiner von Ulf Poschard kritisierten Predigt nicht. Politisch stehen sich der Welt-Chef und der Pfarrer gar nicht so fern.
taz: Herr Reiche, offenbar waren Sie und Ihre Predigt an Heiligabend der Auslöser für den Tweet von Welt-Chef Ulf Poschardt. Haben Sie ihn denn in der Kirche in Berlin-Nikolassee unter den Gottesdienstbesuchern erkannt?
Steffen Reiche: Ich habe jemanden erkannt, dessen Gesicht mir bekannt vorkam. Aber ich konnte es nicht zuordnen. An Heiligabend waren rund 200 Menschen bei uns in den Gottesdiensten.
Eine Predigt erregt Aufsehen? Das hat man als Pfarrer auch nicht alle Tage. Hat Sie die Reaktion von Poschardt überrascht?
Ich hab das mit dem Tweet nicht sofort mitbekommen. Ein Gemeindemitglied hat mir den Tweet geschickt. Ich war aber überrascht, weil ich dem Chefredakteur der Welt mehr Offenheit zugetraut hätte. Aber offenbar hat er nur am Anfang zugehört…und war dann zu erregt, um bis zum Ende zu folgen…
…wo Sie von der AfD-Krippe gesprochen haben. Also einer Krippe, garantiert ohne Araber, ohne Afrikaner oder Flüchtlinge – einer Krippe, in der nur noch Ochs und Esel drin sind.
Das habe ich auch schon in der Predigt zu Weihnachten vor einem Jahr erwähnt.
Hat da niemand protestiert? Es wird doch auch unter den Kirchenbesuchern im bürgerlichen Nikolassee auch Wählerinnen und Wähler der AfD geben?
Das #PoschardtEvangelium
Der Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt, hatte am späten Heiligabend getwittert: „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den #Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?“ Mit dem Tweet hatte er vielfachen Widerspruch provoziert. Als satirische Reaktion wurden unter dem Hashtag #PoschardtEvangelium Bibelstellen in neoliberaler Diktion umgeschrieben.
Am Donnerstag veröffentlichte bento, das Jugendportal von Spiegel Online, die Predigt von Steffen Reiche, die er in der Christmette der Nikolasseer Kirche in Berlin gehalten hatte. Poschardt hatte an Heiligabend ein Foto der Kirche auf Facebook mit der Bemerkung „Christmette“ gepostet.
Fragen auf Twitter, in welcher Christmette er tatsächlich war, hatte Poschardt unbeantwortet gelassen.
Ich kenne welche, aber die hatten damit kein Problem. Allerdings ist an Heiligabend ein anderer aufgestanden und gegangen – wohl aus Solidarität mit AfD-Wählern im Freundeskreis, die aber blieben.
Wenn Ulf Poschardt nicht nur den Anfang Ihrer Predigt gehört hätte, hätte er vielleicht einen ganz anderen Tweet abgesetzt. Denn da spricht aus Ihnen auch ein bekennender Islamkritiker.
Ich würde eher sagen, ein Islamismus-Kritiker. Aber deswegen staune ich ja, weil ich in dem Punkt der Welt sicher näher stehe als der taz. Und so gab es auch andere Fragen, auf die das zutrifft. Aber als er seine Meinung gefasste hat....da war er festgelegt und hatte den Tweet vermutlich schon längst abgesetzt im Kopf.....
Sie kritisieren, dass der Prophet Mohammed eine Minderjährige zur Frau genommen hat und anders als Jesus auch Kriege geführt hat.
Ich lehne nicht den Islam als Ganzes ab. Er hat hier zu Recht wie andere auch Religionsfreiheit, die Muslime selber aber dort, wo sie in politischer Verantwortung stehen, wo der Islam herrscht, gerade nicht gewähren. Aber es kann und darf nicht sein, dass bei der Gedenkfeier zu Ehren der Opfer am Breitscheidplatz ein Imam auftritt, der in einer Moschee arbeitet, die wie er selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der erzählt dann öffentlich das eine, kreuzt hinter dem Rücken die Finger und erzählt beim Freitagsgebet das Gegenteil.
Ist der Islam für sie eine kriegerische Religion?
Nicht der mekkanische Islam. Der hat meinen Respekt. Aber der spätere Islam, der von Mohammed nach der Hidschra nach Medina ist durchaus kriegerisch. Mohammed war dort eben nicht nur Prophet, sondern auch Regierungschef und General. Und hat als solcher schon 8 Jahre nach seiner Flucht nach Medina im Jahre 630 Mekka kriegerisch erobert. Mich widert es an, dass wir uns als Christen immer für die Kreuzzüge verantworten sollen, die nur nach christlichen Werten zu verurteilen sind, ansonsten war und ist es das Übliche in der Welt. Hingegen spricht niemand darüber, dass die Türken Anfang 1517 und 1683 vor Wien gewesen sind. Und obwohl sie den Wienern damals das Mokka trinken beibrachten, war das doch keine Kaffeefahrt, sondern hätte, wenn die Schlacht am Kahlen Berge nicht durch eine abendländische Armee gewonnen worden wäre, eine weltgeschichtliche und zivilisatorische Zäsur ohnegleichen bedeutet.
Steffen Reiche, geboren am 27. Juni 1960 in Potsdam, ist ein evangelischer Geistlicher und war ein deutscher Politiker (SPD). Er war von 1994 bis 1999 Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur und von 1999 bis 2004 Minister für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. Von 2005 bis 2009 war er Mitglied des Deutschen Bundestages.
Das mit Mohammed ist lange her.
Das stimmt. Aber dennoch berufen sich heute viele darauf, auch wenn es um die Zulässigkeit von Kinderehen geht. Aber die Menschenrechte sind universell und unteilbar. Und müssen von allen, die den Vereinten Nationen beigetreten sind, akzeptiert werden. Das haben sie für den Beitrittsstaat beim Beitritt erklärt. Man kann da nicht einfach sagen, das sei halt eine andere Kultur. Da darf man keinen Rabatt geben. Denn wenn man das macht, haben wir doppelte Standards. Und dann drückt man auch beim Antisemitismus ein Auge zu und wenn Homosexuelle verfolgt werden, und und und…
Sie waren lange Zeit für die SPD Bildungsminister in Brandenburg und später auch im Bundestag. Ist es das, was Ulf Poschardt stört, wenn er sagt, er habe in der Christmette das Gefühl bei Jusos oder der Grünen Jugend zu sein?
Ich wollte mit dieser Predigt keine Politik machen. Das ist nicht die Aufgabe eines Pfarrers. Vor allem nicht an Heiligabend. Aber so wie bei Jesus ist es auch heute – wer authentisch predigen will im Namen des Kindes in der Krippe, der muss an der Seite der Armen, an der Seite der Unterdrückten stehen, der muss ganz klar für die Schöpfung Gottes und für die Menschenrechte eintreten. Die haben alle nun Ende des Jahres über 7, 5 Mrd. Menschen in gleicher Weise, Donald Trump wie ein Armer Mensch in Benin. Wer denen, die unterdrücken, nicht widerspricht, kann nicht an der Seite Jesu sein, nicht auf der Seite des Kindes in der Krippe. Und das ist die Aufgabe eines Pastors am heiligen Abend. Meine Aufgabe ist es, im Namen Jesu, unzumutbaren Zuständen in der Welt zu widersprechen. Und das in aller gebotenen Klarheit. In die „Welt“ verändernder Klarheit. Die Zumutung war an diesem Abend Gott Lob nur für einen zu groß.
Die Fragen stellte Uwe Rada
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