Starkbieranstich in München: Herr Söder hält sich ein Dusel
Das Politiker-Derblecken ist Bayerns wichtigste Kabarett-Veranstaltung. Dieses Jahr steht erstmals der neue Ministerpräsident im Mittelpunkt.
München taz | Zeitenwende am Münchner Nockherberg: Am Dienstag Abend stand dort wieder das Politiker-Derblecken an, das wichtigste Kabarett-Ereignis Bayerns. Auf der Bühne stand zuletzt acht Jahre lang die Kabarettistin Luise Kinseher alias Mama Bavaria und tadelte in der Fastenpredigt ihre Kinder, die bayerischen Politiker. In der ersten Reihe stets: Ministerpräsident Horst Seehofer.
Vor einem Jahr nun befand Kinseher, es sei genug, und trat ab – freiwillig. Und Seehofer tat es ihr gleich – weniger freiwillig. So ist es an diesem Abend Kinsehers erst 33 Jahre alter Kollege Maxi Schafroth, der auf der Bühne steht – und Markus Söder als Ministerpräsidenten vor sich im Publikum sitzen hat.
Ein bisschen Kinseher hat Schafroth dann doch hinübergerettet in die neue Ära. Die Vorgängerin war stets bedacht, ihre missratenen Kinder bei aller Schelte doch immer noch liebevoll an den mütterlichen Busen zu drücken. Auch Schafroth tritt nicht wirklich auf als Levitenleser, als Nörgler oder Grantler. Man müsse die Politiker freundlich umarmen, um sie dann hinten ein bisschen abzuwatschen, hatte der Kabarettist vor seinem Auftritt angekündigt. Von ihm sei jetzt „keine aufgesetzte Schauspielerei“ zu erwarten, sagt er dann auf der Bühne. „Das ist dein Kompetenzbereich, lieber Markus Söder, da grätsch’ ich dir nicht rein.“ Das ist so eine Watschn.
Schafroths Rede ist witzig, sympathisch und meist treffend – wenn auch alles in allem eher freundlich. Die Gefahr, dass dem einen oder anderen das Lachen so richtig im Hals stecken bleiben könnte, ist gering. Die Wahrheiten kommen mitunter in Wattebäuschen – oder so allgemein formuliert, dass sich niemand persönlich angesprochen fühlen muss: „Wenn die CSU behauptet, sie wär’ eine christliche Partei, dann kann ich als Allgäuer Ex-Ministrant auch behaupten, dass ich ein Schweigemönch bin.“
„No Passport, no Nächstenliebe“
Am ärgsten knöpft sich der Kabarettist Innenminister Joachim Herrmann vor, der stellvertretend für die Migrationspolitik der CSU geradestehen muss. „He believes in Nächstenliebe. But to receive Nächstenliebe, you need a German Passport“, erklärt Schafroth den Asylbewerbern im Land. „No Passport, no Nächstenliebe.“
Schafroth spickt seine Rede mit Bildern und Metaphern aus seiner Allgäuer Heimat. Die CSU, sagt er etwa, sei jetzt grün, sozial, dynamisch, urban, da sei alles drin. „Das erinnert mich so a bissl an unsere alte Dorfwirtschaft, die haben auch kurz vor der Insolvenz noch einmal eine ganz dicke Speisekarte gedruckt.“
Jetzt hat die CSU in der Staatsregierung ja auch noch die Freien Wähler an ihrer Seite. Deren Chef Hubert Aiwanger hat es Schafroth besonders angetan: „Ganz glücklich sitzt er da, mit seinem Freibier. Du nimmst mit, was geht. Du bist so einer, der am Ende von der Raiffeisenvollversammlung noch die übrigen Schnitzelsemmeln zammfrisst.“
Söder ist jetzt Bienenfreund
Szenenwechsel: Auf die Fastenpredigt folgt in der zweiten Hälfte der Veranstaltung traditionell das Singspiel, ein Bühnenstück mit verteilten Rollen und Musik. Schauplatz ist dieses Mal ein heruntergekommener Wellness-Bereich unterhalb der Staatskanzlei. Thema ist das größte politische Mysterium des vergangenen Jahres in Bayern – die Metamorphose des Markus Söder.
„Markus Söder ist jetzt auch wieder Europäer. Er ist offener geworden, lockerer, jünger, schöner, weiblicher. Und er ist ein Bienenfreund.“ Sagt kein geringerer als der von Stephan Zinner großartig verkörperte Markus Söder selbst.
Und seinem verdutzten Vize Aiwanger erklärt der Ministerpräsident im violetten Trainingsanzug, dass er sich das Ego operativ habe verkleinern lassen: „Das war schon ein größerer Eingriff. Das hat ja schon gewuchert, teilweise sogar bösartig.“ Nebenwirkung habe die OP keine, er könne bloß dieses eine Wort nicht mehr sagen: „Ich.“ Passt ja, Söder spricht ohnehin fast nur noch von der „geschlossenen Mannschaftsleistung“. Mit dem „W-w-w-ir“ hakt es jedoch noch etwas.
Söders Privatdusel
Die Zweifel an der Authentizität des neuen Söders sind im Stück freilich ähnlich groß wie in der politischen Realität. Im Singspiel allerdings bekennt Söder zuletzt: „Das mit dem Wir-Sagen ist doch ein billiger Trick. Das is’ mir fast selber schon peinlich.“
Doch der Trick kann noch nicht die einzige Erklärung sein. Denn alle – von Aiwanger bis Andrea Nahles – fragen sich: Wie macht er das bloß? Warum sitzt Markus Söder so unverschämt fest im Sattel – nach einer denkbar herben Wahlniederlage im letzten Jahr?
Im Singspiel erfahren wir die Antwort: Es ist das Dusel, „das kleine Glück“, wie auch der Titel des Stücks lautet. Das Dusel ist ein kleines felliges Etwas, das Söder im Wellness-Keller in einen Spind gesperrt hat, wo es ihm stets zu Diensten sein muss – auch wenn es sich empört, es sei kein „Privatdusel für karrieregeile Streber, sondern das Bayern-Dusel“.
Nicht ganz so gut wie letztes Jahr
Es folgen nette Szenen, viel Dialogwitz, doch letztlich plätschert das Geschehen im Badekeller so vor sich hin, an die Leistung vom letzten Jahr kommen die Autoren Richard Oehmann und Stefan Betz nicht mehr heran. Die Latte hängt aber auch denkbar hoch.
Eine Überraschung aus der Abteilung Folklore gelingt ihnen jedoch wieder. War es im vergangenen Jahr noch die originale Uschi Glas, die als Halbblut Apanatschi einen Immobilienhai mimte, tritt diesmal die leibhaftige Marianne mit dem leibhaftigen Michael als Marianne und Michael auf – singend, versteht sich: „Es war ein Glückstag ganz gewiss, wia's Dusel bayerisch geworden is'.“
Am Ende ist das Dusel tot und alle Fragen offen. Und wie immer bei Satire, Kabarett oder überhaupt Kunst stellt sich die Frage: Ob's wohl hilft? „Kritisches Theater“, hat Schafroth zuvor gesagt, „das ist wie die Homöopathie: Die Linken glauben dran, wir wissen – es ist wirkungslos.“ Die Politiker, die echten, loben schließlich ihre Derblecker, versuchen noch einmal zu beweisen, dass sie Humor haben, und machen sich auf den Heimweg in die Wirklichkeit. Am Mittwoch trifft man sich wieder – bei der Plenarsitzung im Landtag.
Leser*innenkommentare
91672 (Profil gelöscht)
Gast
Wir in Oberbayern sagen: 'Der ... hat EINEN Dusel gehabt'.
Aber darum geht es nicht. Mit dem sehr knorrigen Bauernlobbyisten Aiwanger in seiner Regierung und dem europaweit bekannten Dieselnachrüstungsexperten Scheuer hat Söder leider keinen Dusel gehabt ('Kein Glück'). Beide werden ihm bald noch viele Probleme bereiten. Der Erstere, weil er das ganze Bienen- und Schmetterlingsungeziefer nicht leiden kann und der Andere, weil der die Nullnummer Dobrindt noch meilenweit schlägt.
Aber man kann nicht immer Dusel haben.
Zwieblinger
@91672 (Profil gelöscht) „Wir in Oberbayern sagen: 'Der ... hat EINEN Dusel gehabt'.“
Sie haben offenbar nur die Überschrift gelesen, sonst würden Sie die seltsam klingende Formulierung verstehen. „Das Dusel“ ist im Singspiel eine Art Haustier Söders.
91672 (Profil gelöscht)
Gast
@Zwieblinger Vielleicht hab' ich mich vom DUDEN täuschen lassen:
Du|sel, der; -s [aus dem Niederd., zu dösen] (ugs.): a) unverdientes Glück, wobei jmdm. etw. Gutes widerfährt od. etw. Unangenehmes, Gefährliches an jmdm. [gerade noch] vorübergeht: mit ihrem Geschäft hat sie [großen] D. gehabt; b) (landsch.) Benommenheit, Schwindelgefühl; c) (landsch.) leichter Rausch: er war ständig im D.
91672 (Profil gelöscht)
Gast
@Zwieblinger Nein, ich habe wieder versehentlich nur den den Beitrag gelesen:
Zitate: 'Im Singspiel erfahren wir die Antwort: Es ist das Dusel, „das kleine Glück“' und '„Es war ein Glückstag ganz gewiss, wia's Dusel bayerisch geworden is'.“'.
Ich werde in Zukunft auch noch die Überschriften lesen.
Sofia Dütsch
Na ja wenn Mann/Frau/Gender aus Kölle oder noch schlimmer aus Berlin kommt übersteigt das das intellektuelle Niveau.
Humor ist halt nicht jedermanns Sache, besonders wenn er auch noch eine intellektuelle Herausforderung ist.
fvaderno
Im führenden Absatz steht: 'Bayerns wichtigste Kabarett-Veranstaltung' In diesem Jahr hat der 'Redner' etwas dagegen getan!
mowgli
Zitat: „Und wie immer bei Satire, Kabarett oder überhaupt Kunst stellt sich die Frage: Ob's wohl hilft?“
In der Form sicher nicht. Wir leben schließlich nicht im Mittelalter. Den Job des Hofnarren machen jetzt „die Medien“, die es so im Mittelalter noch nicht gab. Die Medien werden bald nur noch von den Herrschenden konsumiert. Die Beherrschten zieh'n sich zurück. Den Narren haben sie schließlich auch nicht erlebt.
Satire, Kabarett oder überhaupt Kunst haben in der modernen Demokratie eine ganz andere Aufgabe als in der Monarchie. Sie müssen den Herrschenden nicht die Leviten lesen. Sie müssen vielmehr versuchen, dem Volk die ererbte Angst vor deren Macht auszureden. Nur für den Fall, dass die Moralpredigt der Medien nicht hilft.
Satire, Kabarett oder überhaupt Kunst müssen die Könige und Fürsten von heute auf ihr Realmaß schrumpfen. Sie sind quasi natürliche Gegenspieler der medialen Hofnarren. Die, schließlich, müssen ihre Arbeitgeber bei aller Kritik doch eher ernst nehmen. An einer Ehre, die der König nicht mehr hat, ist er ja schließlich nicht zu packen. Im Übrigen können Medien von Skandalen, die mangels Masse keine sind, auch nicht gut leben.
Das beste am „wichtigste[n] Kabarett-Ereignis Bayerns“ ist also womöglich sein skurriler Name. Der, scheint mir, ist dann doch ziemlich treffend. „Leck‘ mich!“, mag der Gerügte jeweils denken. „Von mir aus auch so derb du kannst. Ich kann das ab.“
Der sozio-psychologische Effekt des Events dürfte deswegen eher negativ ausfallen. Aus Sicht des Kabaretts gesehen, meine ich. Aus Sicht des Herrschers ist er recht positiv.
Nein, das ist nicht Homöopathie. Das ist eine Schutzimpfung mit abgeschwächten Lebend-Erregern. Wer das Ego eines Ministerpräsidenten dermaßen stärkt, braucht sich nicht wundern, wenn der bald gar keine Moral mehr erkennen lässt. Vor allem dann nicht, wenn das Volk, der eigentliche Adressat der Ansage, gar nicht im Saal sitzt, sondern nur taz lesen darf.
Zwieblinger
@mowgli Naa. Etymologisch hat das Derblecken noch nie nix mit derb + lecken zu tuen gehabt.
Pfanni
Leider war ich bei dem Event nicht mit dabei. Aber ich hatte Maximilian Schafroth’s gestriges TAZ-Interview www.taz.de/Kabaret...kherberg/!5576518/ gelesen und war gespannt, wie das dann praktisch aussieht.
Aber wahrscheinlich hat er sich gerade noch rechtzeitig an AKK’s misslungene Satire vom Aschermittwoch erinnert und wollte nicht Ähnliches erleben. Indem er nämlich einer anderen Minderheit (d. h. den Politikern) zu nahe und auf die Füße tritt. Und weil Satire neuerdings eben doch nicht mehr alles darf.
Möglich, dass künftig auch andere Kabarettisten lieber ihre Zunge im Zaum halten, um keinen nachträglichen Shitstorm zu erleben. Ich werde wohl künftig seltener ins Kabarett gehen.
Khaled Chaabouté
Hofnarrentum...