Star-Campaigner über den Wahlkampf: „Timing ist alles“
Die SPD plakatiert zur Altersarmut, schweigt aber zu Steinbrück, kritisiert Frank Stauss. Doch auch die Merkel-Show könnte für die CDU zum Bumerang werden.
taz: Herr Stauss, wann gab es eine günstige Gelegenheit für eine Wahlkampfoffensive?
Frank Stauss: Der Wahlkampf 2005 mit Herrn Kirchhof fällt mir sofort ein …
… als Kanzler Schröder nicht wie erwartet haushoch, sondern nur knapp seiner Kontrahentin Angela Merkel unterlag.
In der Tat. Damals errechnete der Finanzexperte im Team von Merkel, Paul Kirchhof, die angebliche Steuerentlastung einer Sekretärin, die „zu einem gewissen Prozentsatz verheiratet“ sei und 1,3 Kinder habe. Eine Steilvorlage.
Schröder sprach fast verächtlich nur noch von dem „Professor aus Heidelberg“.
Da brauchten Sie schon die Abgebrühtheit von Gerhard Schröder, der frontal draufging und dranblieb.
Jahrgang 1965, ist Werbetexter, Politikberater und Autor. Er managte mehr als zwanzig Wahlkämpfe, war bei 1992 bei der Clinton-Gore-Kampagne in den USA dabei und arbeitete 2005 für Gerhard Schröder, 2011 für Olaf Scholz.
Aktuell betreut er in Österreich mit seiner Agentur die Wahlkampagne der ÖVP und ihres Kanzlerkandidaten Michael Spindelegger zur Nationalratswahl Ende September.
Sie brauchen keine Angriffe auf das Privatleben des Gegners?
In Deutschland geht das nicht. Das ist seit den Zeiten von Willy Brandt, der als SPD-Spitzenkandidat noch persönlich als „Vaterlandsverräter“ und unehelicher Sohn diffamiert wurde, nicht mehr vorstellbar.
Angela Merkel ignoriert ihre Gegner einfach, sie nennt noch nicht mal Peer Steinbrücks Namen – eine gute Strategie?
Wenn man diese hohen Sympathiewerte hat wie sie, dann sagt man: „Ich habe im Prinzip keine Herausforderer.“ Für mich sind das läppische Spielchen, die in irgendwelchen Wahlkampfhandbüchern drinstehen. Ich halte das aber nicht für spielentscheidend.
In Hessen gewann CDU-Mann Roland Koch 1999 dank einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die Landtagswahl – war das richtiger Schmutz?
Ich sag mal so: Für jeden, der politisch links steht, war das Schmutz. Es war natürlich Kalkül, auf dem Rücken vom Minderheiten Wahlkampf zu machen. Aber Koch hat offensichtlich den Nerv einer Mehrheit in Hessen getroffen. Und das ist sein gutes Recht im Wahlkampf.
Das hätte eine Kampagne von Ihnen sein können?
Nein, ich mach so etwas nicht.
Können Sie sich vorstellen, für Angela Merkel eine Kampagne zu machen?
Theoretisch ja, praktisch nein, ich bin schon ziemlich lange Sozialdemokrat. Das bringe ich nicht übers Herz.
Trotzdem: Was würden Sie Merkel empfehlen?
Sie läuft gerade Gefahr, dass der Wahlkampf einschläft, was natürlich ihre Grundstrategie ist. Aber diesmal könnte er so weit einschlafen, dass selbst ihre eigenen Leute nicht mehr in ausreichendem Maße wählen gehen.
Muss ein idealer Spitzenkandidat Rampensau sein – wie Gerhard Schröder?
Nun, man kann sie sich nicht backen. Man arbeitet mit denen, die sich im Auswahlprozess durchgesetzt haben. Das sind meistens Leute, die aus gutem Grund dort stehen.
Kandidaten können auch solche des Parteiapparats sein, wie Rudolf Scharping 1994. Schröder hätte sich damals vielleicht schon als die bessere Alternative erwiesen.
Hätte, hätte, Fahrradkette. Kann sein, Scharping war aber auch nicht der Mega-Apparatschik. Er hatte gerade in einem relativ zähen Wahlkampf das konservative Bundesland Rheinland-Pfalz geholt. Und was gerne vergessen wird: Er hat die Bundestagswahl mit dreieinhalb Prozent mehr abgeschlossen als Oskar Lafontaine vier Jahre zuvor.
Sie texteten 1994 für den SPD-Fernsehspot „Ein starkes Team“. Zu sehen waren Schröder, Lafontaine und Scharping, die sich nicht wirklich als „starkes Team“ bewiesen. Ist das im Nachhinein peinlich?
Gar nicht. Das war damals der Kanzlerkandidat mit seinen mächtigen Parteifreunden. Wenn die kein Team bilden, dann ist das nicht mein Problem.
Was war ein Flop von Ihnen?
Eines unserer schönsten Plakate kommt aus dem Europawahlkampf 2009. „Finanzhaie würden FDP wählen“. Nur hatte es keinen Nährboden. Die FDP hatte schon lange nicht mehr regiert, die Leute brachten sie damit nicht in Verbindung. Ein Jahr später, nachdem die FDP die Hoteliersteuer verabschiedet hatte, hätte das wunderbar gepasst. Timing ist alles.
Wie bei SPD-Mann Olaf Scholz? Er war immer ein, wie es hieß, „Scholzomat“, eine floskelnde Sprechmaschine, aber 2011 passte er plötzlich als Bürgermeister für Hamburg.
Scholz ist ein ganz anderer Mensch als Schröder – das gilt es eben für alle zu akzeptieren. Für die Journalisten und für ihn. Die Frage ist: Ruhe ich darin oder versuche ich ständig, ein anderer zu sein? In Hamburg hatte es eine längere Zeit unhanseatische Verhältnisse gegeben, es ging um Verrat und Intrigen, um einen Innensenator namens Ronald Schill, der Ole von Beust outete. Da war Tohuwabohu – und so eine stabile, verlässliche Person wie Olaf Scholz passte wie voll auf die Zwölf. Er hat ins bürgerliche Lager reingestrahlt.
Wie stark nimmt ein Werber auf den Kandidaten Einfluss – auf Sprache, auf Gestik oder auch auf die Frisur?
Viel weniger, als uns immer angedichtet wird. Eher gar nicht. Mein Job ist es, um einen Menschen herum eine Kampagne zu stricken, in der er sich geborgen fühlt. Er darf nicht ständig das Gefühl haben, an irgendwas arbeiten, korrigieren und Schwächen ausgleichen zu müssen.
Was läuft dann bei Steinbrück schief?
Wir haben zwei Kampagnen, eine für die SPD, eine für Peer Steinbrück. Die beiden Kampagnen harmonieren aber nicht. Draußen hängen Plakate zu Altersarmut, Mindestlohn, Kitaplatz. Aber es hängt keines zur absoluten Kernkompetenz des Kanzlerkandidaten – Wirtschaft und Finanzen.
Angenommen, Sie leiten so eine Kampagne und der Kandidat fühlt sich wohl, dann aber lesen Sie morgens in der Zeitung: „Spitzenkandidat bekennt: Eine Flasche Pinot Grigio unter fünf Euro kaufe ich nicht.“ Deprimiert das einen Wahlkampfregisseur wie Sie?
Nein, dann macht man doch sofort eine Pinot-Grigio-Kampagne. Gegenhalten! Der Kandidat macht einen Lapsus, und ich mache da einen Witz draus. Dann verschicke ich eine Kiste Pinot Grigio, an wen auch immer. Man muss der Öffentlichkeit vor Augen halten: Okay, so isser. Und ganz im Ernst: Wer glaubt, dass Steinbrück einen Wein für fünf Euro trinkt? Niemand. Auch keiner der Journalisten, die darüber geschrieben haben.
Ist die SPD noch zu retten?
Sie hat nur noch wenige Anlässe, wie sie das Ding noch drehen kann: Das Fernsehduell ist für Peer Steinbrück zum Beispiel viel wichtiger als für die Kanzlerin. Er hat die Möglichkeit, den Leuten in Erinnerung zu rufen: Hallo, ich bin der Herr Steinbrück, von dem ihr millionenfach Bücher gekauft habt und den ihr als Finanzminister super fandet. Das, was zwischendrin war, wollen wir jetzt vergessen machen.
Klingt schwierig …
… ist es auch! Wir haben eine große Zufriedenheit im Land. Die Bürger hören seit drei Jahren jeden Abend in den Nachrichten, wie schlecht es Griechen, Italienern, Spaniern geht.
Wie kann Wahlkampf dann noch funktionieren – stündlich twittern?
Auf keinen Fall. Das ist ein Medium, das man wirklich beherrschen muss. Ich empfehle das niemandem, der sich nicht zu hundert Prozent unter Kontrolle hat. Und wer kann das schon?
Plakate kleben?
Das Kuriose ist ja, dass wir eine Renaissance der klassischen Kampagne erleben. Obama hatte mehr Geld als je zuvor in ganz banale TV-Spots gesteckt. Hierzulande wird das Plakat gefahren. Wir können aus rechtlichen Gründen nicht so viel Sendezeit kaufen. Zumal auch die Zersplitterung der Kanäle dazu führt, dass es immer weniger Dachmedien gibt, wo ich viele Menschen gleichzeitig erreiche.
Was bringen Hausbesuche, bei denen Eierlikör getrunken wird?
Die Hausbesuche haben sich Wahlkämpfer in den USA abgeguckt. Dort haben sie eine lange Tradition. Da hat sich eine gewisse Offenheit entwickelt, die bei uns begrenzt ist. Es ist also bestimmt nicht die Geheimwaffe in diesem Wahlkampf.
Was ist in den Vereinigten Staaten denn anders?
Als Wahlkämpfer klingeln Sie nicht vor irgendeiner Haustür, sondern Sie haben auf Ihrem I-Pad einen Datenschatz darüber, wer hinter dieser Tür lebt: Lieblingseinkäufe, Wahlgewohnheiten, Durchschnittseinkommen. Das ist aus Datenschutzgründen in Deutschland unmöglich. Die Chance, dass mir die Nase vor der Tür zugeschlagen wird, ist viel größer.
Angesichts der Entwicklung in Syrien – soll die SPD jetzt auch die Friedenskarte spielen? Oder lohnt das nicht, weil faktisch alle Parteien gegen den Militäreinsatz sind?
Das sehe ich nicht als Winner-Thema. Die Linke wird jetzt wieder ihre verlogene Friedenstaube aus dem Keller holen, während in Syrien Kinder geschlachtet werden. Aber für die SPD ist das nichts.
Die SPD leide unter Uncoolness, sagen Intellektuelle wie Juli Zeh. Welche Sozialdemokraten können die altgediente Generation ablösen?
Ach, ich finde das so eine intellektuelle Überheblichkeit und Wurstigkeit, einer Partei einen Coolnessfaktor zu geben.
Sie mögen Intellektuelle wohl nicht?
Die sind sich zu fein für die Demokratie. Vor ein paar Jahren gab es den Spruch: Wir benehmen uns, als ob wir eine zweite Welt im Kofferraum hätten. Ich sage: Wir benehmen uns, als ob wir eine zweite Demokratie im Kofferraum hätten, wenn wir so verächtlich über sie sprechen. Man muss aufpassen, dass der Egoismus nicht die Demokratie erschlägt.
Egoismus?
Demokratie heißt am Ende Kompromiss. Demokratie bedeutet, dass Sie sich nicht zu hundert Prozent reflektiert sehen in einer Partei, sondern womöglich nur zu vierzig Prozent. Aber man sagt: Okay, mit dieser Partei stimme ich mehr überein als mit der anderen. Wir haben in Deutschland von ganz links bis ganz rechts, mit allem was dazwischen ist, ein Riesenangebot von Parteien. Wer da nichts findet, soll zum Psychiater gehen.
Das Gegenargument lautet: Die Parteien sind sich zu ähnlich geworden.
Was für ein Unfug. Wir haben sogar eine Anti-Europa-Partei. Wählen Sie die, wenn Sie gegen Europa sind. Es gibt doch alles. Die Ähnlichkeit besteht allenfalls auf dem Papier. Schauen Sie sich an, was für gesellschaftliche Projekte in rot-grünen Zeiten angeschoben worden sind: Agrarwende, Atomausstieg und so weiter. Es ist intellektuelle Faulheit zu sagen, die sind alle gleich geworden.
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