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■ StandbildBlut und Bürokratie

„37° – Lebenslänglich Todesstrafe“, Dienstag, 22.25, ZDF

Die Geschichte ist lange her. Mehr als ein halbes Jahrhundert, als Deutschland zwar besiegt, aber noch nicht Bundesrepublik, zwar demokratisch orientiert, aber noch nicht demokratisch verfasst war. Es ist die Geschichte von Deutschlands letzter Todeskandidatin, einer jungen Kriegerwitwe, die 1945 ihre beiden Kinder erhängt hat und vier Jahre auf ihre Hinrichtung wartete. Die Guillotine, eine Empfehlung der französischen Besatzungsbehörden, musste erst noch gebaut werden. Und das dauerte.

Der Wettlauf zwischen Bürokratie und Demokratie, zwischen Vollstreckung und Grundgesetz (Artikel 102: „Die Todesstrafe ist abgeschafft“) war das eigentliche Thema dieser Reportage, visuell ehrgeizig umgesetzt von Friedrich Küppersbusch und Oliver Becker. So inszenierten sie Tatort, Psychiatrie oder Gefängnis als statische Tableaus, über die im Zeitraffer der Himmel dahinflog, zeitgenössische Dokumente wurden in den Gerichtssaal projiziert, in dem die Täterin abgeurteilt wurde. „Gemütlos“ nennt sie der Richter, der sie zum Tode verurteilt, eine „Bestie“ die Mutter, die sie verstößt. Archaischen Groll hegt heute noch der Schwager der Verurteilten, in dessen Stimme die Macher ein Nachbeben der damaligen Empörung einfingen: Ermorden hätte man sie sollen, die Mörderin.

Es ist dieser präzise Blick auf die Zeitzeugen, der „Lebenslänglich Todesstrafe“ seine beklemmende Relevanz verlieh. Sogar den Schlosserlehrling, der sich damals mit der verzwickten Wartung der Guillotine plagte, konnten Küppersbusch und Becker vor die Kamera bekommen. Wo er dann mit der Hand fast zärtlich über die Antiquität fuhr und schmunzeln durfte: „Wenn es nicht so gruselig wäre, könnte man sagen: Alles hervorragende Handarbeit.“

Die Verurteilte selbst blieb dagegen eine abgründige Leerstelle, das Gesicht der Greisin auf ihrem Totenbett eine unscharfe Maske. War der Apparat, der Menschen tötet, Thema dieses Films, so galt der letzte Blick dem Apparat, der sie am Leben hält. Arno Frank

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