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Stahlgipfel im KanzleramtMerz will Stahlindustrie vor Konkurrenz schützen

Der Kanzler sieht die Branche in einer existenzbedrohenden Krise, auch wegen des schwierigen Umbauprozesses. Schutzzölle und billigere Energie sollen sie stützen.

Noch ist der Hochofen in Duisburg in Betrieb Foto: Leon Kuegeler/reuters

Die Bundesregierung will sich für mehr Schutz vor Billigimporten und die Bevorzugung heimischen Stahls bei der Auftragsvergabe einsetzen, um die angeschlagene Branche zu stützen. Das kündigte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Anschluss an den „Stahlgipfel“ am Donnerstag an. „Die Unternehmen sind in einer existenzbedrohenden Krise“, sagte er. Die Zeiten offener Märkte und fairen Handels seien vorbei. „Deswegen müssen wir unsere Hersteller schützen“, sagte er.

Bei dem Treffen sprachen Politiker:innen, Ma­na­ge­r:in­nen und Ge­werk­schaf­te­r:in­nen über Maßnahmen, mit denen der angeschlagenen Branche geholfen werden könnte. Die Stahlhersteller leiden unter einer schwachen Nachfrage, weil Großabnehmer wie die Autoindustrie und das Baugewerbe in der Krise sind. Ihnen machen außerdem hohe Energiepreise zu schaffen. „Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um die Preise zu senken“, sagte Merz.

Die Bundesregierung hat schon länger vor, ab 2026 für drei Jahre einen Industriestrompreis einzuführen, um die Belastung der Unternehmen zu senken. Das muss die EU genehmigen. Die Aussichten seien gut, dass das geschehe, so Merz.

Ein weiteres Problem für die Stahlbranche ist die Zollpolitik des US-Präsidenten Donald Trump. Die hohen Einfuhrzölle für die Vereinigten Staaten sind für deutsche Stahlhersteller auch deshalb ein Problem, weil dadurch mehr Stahl nach Europa kommt. Dabei leiden sie bereits unter Billigkonkurrenz aus China. Die EU will die hiesige Stahlindustrie mit höheren Zöllen und geringeren Importquoten schützen. „Ich werde diesen Vorschlag nach Kräften unterstützen“, sagte Merz.

Klimaschädliche Produktion

Zu diesen Problemen kommt, dass die Branche am Anfang eines schwierigen Umbauprozesses steht. In den kommenden 20 Jahren müssen sie ihre Produktion umstellen, die das Klima schwer belastet. Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Doch die Herstellung von grünem Stahl beginnt erst und wird zunächst sehr teuer. Beim Stahlgipfel wurde zwar über Anreizsysteme für grünen Stahl gesprochen, von konkreten Maßnahmen war im Anschluss aber nicht die Rede.

Heute gehen etwa 7 Prozent der gesamten CO₂-Emissionen in Deutschland auf die Stahlproduktion zurück, vor allem durch die Roheisenproduktion mithilfe von Koks. Eigentlich müssen Unternehmen für den CO₂-Ausstoß einen Preis zahlen. Doch die Stahlhersteller erhalten kostenlose Emissionszertifikate. Das soll sich aber ändern und durch das neue System der CO₂-Grenzabgabe (CBAM) ersetzt werden. Die Grenzabgabe soll gewährleisten, dass europäische Unternehmen durch Klimaschutzmaßnahmen keine Wettbewerbsnachteile haben. „Das System soll nachgebessert werden“, sagte Merz. Wie genau, ist unklar.

Kritik von Grünen und Linken

Die Grünen üben harsche Kritik an der Bundesregierung. Friedrich Merz und Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche seien dabei, die Stahlbranche in Deutschland zu ruinieren, sagte der Fraktionsvize der grünen Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, der taz. „Sie tragen Verantwortung für den schlechten Deal mit Donald Trump.“ Die USA erheben nach wie vor 50 Prozent Zoll auf Stahleinfuhren. Die Industrie warte noch immer auf verlässlich günstigen Strom und auf klare verlässliche Leitplanken, sagte er.

„Die Stahlindustrie braucht jetzt einen Kanzler, der sich klar hinter sie stellt und handelt“, betonte Audretsch. Er fordert die Einführung eines Industriestrompreises von 5 Cent pro Kilowattstunde, der bis Mitte der 2030er Jahre gilt. Außerdem müsse die Bundesregierung mit Abnahmegarantien für eine verlässliche Nachfrage nach grünem Stahl sorgen.

Aus Sicht der Linkspartei ist der Stahlgipfel gescheitert. „Das heutige Treffen zur Zukunft der deutschen Stahlindustrie im Kanzleramt ist ein Reinfall“, so die Vorsitzende der Linkspartei, Ines Schwerdtner. Die Bundesregierung müsse „endlich vom Reden ins Handeln kommen und einen tragfähigen Plan vorlegen, wie die Branche zukunftsfest gemacht werden kann“. Schwerdtner fordert, dass der Bund dabei eine zentrale Rolle übernimmt. „Dazu gehören Bundesbeteiligungen oder Vergesellschaftungen, um Sicherheit beim notwendigen Umbau der Stahlindustrie zu schaffen“, sagte sie.

Würde die deutsche Stahlindustrie die derzeitige Krise nicht überstehen, wären die Folgen nicht nur angesichts der 80.000 Arbeitsplätze in der Branche fatal. Stahl ist für viele Industrieprodukte wichtig. Die Abhängigkeit von Importen kann zu großen Problemen führen, wenn aufgrund geopolitischer Konflikte oder Lieferkettenproblemen die Einfuhren zum Beispiel aus China in kurzer Zeit stark gedrosselt oder eingestellt würden. Laut einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie würde ein derartiger „Stahlschock“ die deutsche Wirtschaft bis zu 50 Milliarden Euro jährlich kosten. „Wirtschaftliche Resilienz für Deutschland und Europa setzt eine starke deutsche Stahlindustrie voraus, die zeitnah und breit auf klimafreundliche Produktion umstellt“, stellen die Autoren Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk fest.

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