Städte gegen Individualverkehr: Autofrei und Spaß dabei
In Addis Abeba wird auf autofreien Straßen getanzt, in Melbourne sind viele Tramlinien gratis. Was die Städte weltweit tun, um das Auto zu verdrängen.
Paris
In Paris gab die Bürgermeisterin Anne Hidalgo Anfang Mai bekannt, Personenkraftwagen bis zum Jahr 2022 aus einem kleinen Teil der Innenstadt zu entfernen. Wo die Grenzen gezogen werden sollen und welche Fahrzeuge ins Zentrum dürfen, sollen Bürger:innen mitbestimmen dürfen. Räder, Busse, Taxen und Lieferverkehr sollen weiterhin verkehren dürfen.
Barcelona
In der Hauptstadt Kataloniens wurde am 11. Mai flächendeckend eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 Stundenkilometern im Stadtgebiet eingeführt. Zudem existieren in Barcelona sogenannte „Superilles“ (Superblocks), die ehemals zweispurige Straßen in eine Auto- und eine Fuß-, Rad- und Vergnügungsstraße für Freizeitgestaltung trennen.
Beide Initiativen verfolgen das Ziel, durch den reduzierten Autoverkehr mehr Sicherheit für den Fuß- und Radverkehr zu ermöglichen. Verkehrsexperte Axel Friedrich plädiert allerdings für eine noch effektivere Geschwindigkeitsbegrenzung für Innenstädte: „Wir bräuchten Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen mit Menschen, das ist nämlich die Geschwindigkeit der Radfahrer. Dort, wo sich Rad, Fußgänger und Auto begegnen, benötigen wir aber Tempo 20. Wir müssen die Differenzgeschwindigkeit zwischen Auto und Rad verringern, sonst verringert sich auch nicht die Zahl von getöteten Fuß- und Radfahrern“, sagt der ehemalige Abteilungsleiter des deutschen Umweltbundesamtes, der heute für die Deutsche Umwelthilfe arbeitet.
Hongkong
Die Metropole in Ostasien mit ihren über 7,5 Millionen Einwohner:innen und 263 Inseln hat mehrere Orte, die frei von Autoverkehr sind. So ist beispielsweise Discovery Bay auf Lantau Island eine Zone, in der private PKWs und Taxen keinen Zutritt haben – dabei liegt hier auch der internationale Airport. Die Menschen, die am Flughafen ankommen, fahren anschließend mit der U-Bahn ins Stadtzentrum.
Die Bundestagswahl ist eine Klimawahl. Ab dem 28. Juni stellen wir deswegen eine Woche unsere Berichterstattung unter den Fokus Mobilitätswende: Straßenkampf – Warum es eine Frage der Gerechtigkeit ist, wie wir mobil sind. Alle Texte: taz.de/klima
Der Verkehr im Discovery Bay mit über 20.000 Bewohner:innen besteht aus mehreren Linienbussen, Fähren, Fahrrädern sowie Golfcarts. Die Shuttlebusse und Fähren sind 24h in Betrieb und fahren regelmäßig, womit sie die Mobilität auf den Inseln ermöglichen. Um die Mobilität von Tourist:innen sicherzustellen, gibt es Standorte, an denen Leihräder gemietet werden können.
Quito
Die am höchsten gelegene Hauptstadt der Welt hat ein riesiges Autoproblem – knapp 70 Prozent der über 2 Millionen Bewohner:innen nutzen aktuell das Auto als bevorzugtes Fortbewegungsmittel.
Deshalb gilt noch bis Ende Juni eine Fahrzeugbeschränkung zwischen 6 Uhr morgens und 20 Uhr abends namens Hoy no Circula. Der Plan sieht vor, dass nur Autos mit bestimmten Endziffern an festgelegten Wochentagen fahren dürfen. Vom Plan betroffen ist der Districto Metropolitano von Quito, ländliche Gemeinden sind ausgeschlossen.
In einem rotierenden System entlastet das angeblich die Stadt um mehr als die Hälfte des ursprünglichen Individualverkehrs, die Zahl der NutzerInnen der öffentlichen Verkehrsmittel ist um 50 Prozent gestiegen.
Melbourne
Die zweitgrößte Stadt Australiens mit ihren 5,53 Millionen Menschen entschied sich vor zwei Jahren, ihre Innenstadt fuß- und fahrradfreundlicher zu gestalten. Der ÖPNV ist gut vernetzt, die innerstädtische Straßenbahn kostenfrei. Den Anfang machte die Linie 35, die das Zentrum der Stadt umrundet. Inzwischen wurde die Gratisbeförderung auf weitere Tramlinien erweitert. Außerdem wurden in Melbourne mehr Fahrradwege gebaut und weite Teile der Innenstadt vom Autoverkehr befreit. Bei dem betroffenen Bereich rund um die Elizabeth Street handelt es sich allerdings ausschließlich um die Haupteinkaufsstraße.
Addis Abeba
Im Jahr 2015 wurde in Äthiopiens Hauptstadt eine vollelektrische Straßenbahn eingeweiht, die den Norden mit dem Süden verbindet und 17 Kilometer zurücklegt. Die Einführung der Bahn führte dazu, dass Bewohner:innen eine kostengünstige Alternative zu Minibus-Taxen hatten.
2019 beschloss die Regierung, den Autoverkehr monatlich an einem Sonntag zu reduzieren. Bis zu 15 Kilometer Straße werden an diesen Tagen für motorisierten Verkehr gesperrt. „Durch zu hohe Geschwindigkeit können wir Menschenleben verlieren. Wir müssen unsere Geschwindigkeit kontrollieren“, sagt die äthiopische Verkehrsministerin Dagmawit Moges. Die NGO Ethiopia Skate nutzt die Straße an diesen Tagen dafür, benachteiligten Kindern skaten beizubringen, die Tanzcrew Destino Dance führt eine Performance auf – viele mit Bewegungsbeeinträchtigung machen hier mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung