Stadtumbau in Berlin: Angst vor der Altstadt
Erst der Molkenmarkt, dann das Rathausforum? In Berlin tobt ein neuer Architekturkampf. Auch eine Retro-Stiftung will nun mitmischen.
Die Stiftung war gegründet worden, nachdem sich die Jury für den Wettbewerb am Molkenmarkt auf keinen der beiden vorliegenden Entwürfe einigen konnte. „Der Molkenmarkt hat es verdient, ein lebenswertes, klimaresilientes und zukunftsweisendes Wohn- und Kulturquartier zu werden“, hatte die Berliner Architektenkammer das Nichtergebnis kritisiert. Zuvor hatten Kritiker moniert, dass Berlins Senatsbaudirektorin Petra Kahfeldt eben jenen zukunftsweisenden Entwurf zugunsten eines Retro-Entwurfs verhindern wollte, dafür aber keine Mehrheit bekam.
Der Stiftung Mitte Berlin geht es aber um mehr. Sie will auch am Rathausforum zwischen Fernsehturm und Spree eine historische Bebauung erzwingen. „Wir haben nichts Geringeres als die Wiedergewinnung der städtischen Mitte der Bundeshauptstadt vor“, heißt es selbstbewusst im Gründungsaufruf.
Senat bleibt bei Beschluss
Tatsächlich aber ist die Entscheidung über die Gestaltung der Freifläche längst gefallen. Im Jahr 2016 hatte das Abgeordnetenhaus nach einem mehrjährigen Beteiligungsprozess sogenannte Bürgerleitlinien verabschiedet. Im vergangenen Jahr hatte das Büro RMP Stephan Lenzen einen Freiraumwettbewerb gewonnen, der die vorhandenen Grünflächen aufwertet. Oder wird die Beschlusslage auch in der Koalition infrage gestellt? Zumindest die Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ist eindeutig. „Sowohl die Bürgerleitlinien als auch die Entscheidung des Wettbewerbs gelten“, sagte die Sprecherin von Bausenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag der taz.
Auch Matthias Grünzig hat sich in die Debatte eingemischt. Bei dem Wettbewerb zum Molkenmarkt saß der Architekturkritiker und Buchautor in der Jury. Nach der Nichtentscheidung sagte er: „Diese Entscheidung war keine Entscheidung des Preisgerichts.“ Grünzig deutete damit an, dass sich die Senatsbaudirektorin über die Jury hinweggesetzt hat. Zur Aussage von Petra Kahlfeldt, dass im Preisgericht gar keine Entscheidung stattfinden sollte, sagte er: „Diese Aussage ist falsch.“
Zusammen mit der Präsidentin der Architektenkammer, Theresa Keilhacker, hat Grünzig inzwischen einen Aufruf gestartet. „Wir halten es für unumgänglich, dass das Preisgericht nochmals zusammentritt und – wie in der Auslobung vorgesehen – einen Siegerentwurf auswählt“, sagt Grünzig der taz. Den Aufruf haben mittlerweile über 220 Initiativen, Verbände und Einzelpersonen unterzeichnet, darunter der Bund Deutscher Architekten und Architektinnen Berlin, der BUND und der Mieterverein.
Das Misstrauen ist also groß – und auch die Sorge, dass der Molkenmarkt nur der Anfang ist. Die Gründung der Retro-Stiftung Mitte Berlin hat bei vielen die Alarmglocken läuten lassen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm