Stadträtin zur Verkehrswende: „Vieles geht nicht schnell genug“
Die Grüne Annika Gerold ist neue Stadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg. Zur Verkehrswende zählt für sie, Parken kostenpflichtig zu machen.
taz: Frau Gerold, Sie sind jetzt als Stadträtin verantwortlich für die Umsetzung der Mobilitätswende in Friedrichshain-Kreuzberg. Wie sehen Sie sich dafür gewappnet?
Annika Gerold: Gut. Ich setze mich seit Jahren für die Mobilitätswende im Bezirk und in der Stadt ein. Zusammen mit vielen engagierten Menschen vor Ort und aus zahlreichen Initiativen habe ich als Bezirksverordnete und Fraktionssprecherin für die Verkehrswende gekämpft. Ich freue mich jetzt auf die Aufgabe, als Stadträtin die praktische Umsetzung voranzutreiben. Und ich weiß ein gut aufgestelltes Amt an meiner Seite, das in den letzten Jahren gezeigt hat, wie die Verkehrswende umgesetzt werden kann. Ich bin froh, dass es in der Vergangenheit bereits gelungen ist, Personal aufzustocken und Strukturen leistungsfähiger zu machen. Zum Beispiel wurde im Fachbereich Straße eine neue Gruppe gegründet, die sich gezielt mit dem Thema Mobilitätswende befasst. Das ist ein großartiger Ausgangspunkt, auch wenn es noch lange nicht reicht.
1986 geboren, hat Volkswirtschaftslehre studiert. Bevor die Grüne im Dezember 2021 in Friedrichshain-Kreuzberg als Stadträtin für Verkehr, Grünflächen, Ordnung und Umwelt gewählt wurde, war sie auch als Referentin bei der Senatsverwaltung für Finanzen tätig.
Unter der Zuständigkeit von Florian Schmidt und Monika Herrmann, beide wie Sie von den Grünen, und mit Felix Weisbrich als Leiter des Straßen- und Grünflächenamts ist ja schon eine Menge bewegt worden in den letzten Jahren.
Ja, in den letzten zwei Jahren ist viel passiert. Es wurden ja nicht nur Pop-up-Radspuren eingerichtet, sondern auch Fahrradstraßen, Spielstraßen und Fußgänger*innenzonen. Für den Bergmannkiez gibt es ein umfangreiches Konzept zur Verkehrsberuhigung und für mehr Flächengerechtigkeit. In der künftigen Fußgänger*innenzone Bergmannstraße wird es eine ganz neue blau-grüne Infrastruktur geben – das geht viel weiter, als jetzt in der vorläufigen Gestaltung sichtbar ist. Auf all das kann ich aufbauen. Hinzu kommt, dass mit den Pop-up-Streifen im Bezirk eine neue Methodik entwickelt wurde: Infrastruktur wird vorläufig eingerichtet und dabei getestet. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen kann sie dann verstetigt werden. Den Großteil der temporären Anlagen haben wir 2021 in dauerhafte Infrastruktur umgewandelt.
Und das bringt einen zeitlichen Vorteil.
Genau, Infrastrukturplanung dauert in Deutschland insbesondere angesichts der notwendigen Transformationen und der Klimanotlage einfach zu lange. Wir müssen da unbedingt schneller vorankommen und den klimagerechten Umbau der Stadt vorantreiben. Und auch wenn die Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung in der vergangenen Legislaturperiode sehr gut funktioniert hat, ist es mir wichtig zu betonen: Das Bezirksamt braucht mehr Ressourcen, um seine Aufgaben erfüllen zu können. Um den künftigen klimatischen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen wir die Flächengerechtigkeit weiter vorantreiben, Flächen entsiegeln und im Zuge der Schwammstadt dafür sorgen, dass das Wasser bei Starkregenereignissen vor Ort versickern kann.
Was sind für Sie in den kommenden Jahren die vordringlichsten Projekte?
Ganz wichtig ist mir die Einrichtung von Radverkehrsanlagen an allen Hauptverkehrsstraßen, wie sie das Mobilitätsgesetz vorgibt. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg ist das ja noch längst nicht überall umgesetzt. Die Zuständigkeit dafür soll laut Koalitionsvertrag an die Senatsverwaltung übergehen, aber wir haben als Bezirk den politischen Auftrag sicherzustellen, dass es auch umgesetzt wird. Ein weiterer Schwerpunkt ist mehr Verkehrssicherheit für die schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen, also Radfahrer*innen und Fußgänger*innen, ganz besonders natürlich Kinder. Genauso wie Verkehrsberuhigung in den Wohnkiezen. Hier gibt es ja bereits viel Engagement aus der Bürger*innenschaft vor Ort, die sich für Kiezblocks einsetzen und entsprechend Anträge in der BVV eingebracht haben. Auch die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung auf den gesamten Bezirk muss in den nächsten Jahren umgesetzt werden.
Die sollte ja berlinweit längst viel weiter sein.
Richtig, schon im Koalitionsvertrag von 2016 stand die flächendeckende Parkraumbewirtschaftung innerhalb des S-Bahn-Rings. Mein Ziel ist, dass Parken bis zum Ende dieser Wahlperiode im ganzen Bezirk kostenpflichtig ist – es ist einfach eine sehr wirkungsvolle Maßnahme. Wenn Parkplätze im öffentlichen Straßenland nicht kostenlos zur Verfügung stehen, überlegen Menschen eher, wie sie ihre Wege zurücklegen. Ich finde auch, dass die Anhebung der Gebühren, die nach der neuen Koalitionsvereinbarung vorgesehen ist, in die richtige Richtung geht. Allerdings könnten die Gebühren aus meiner Sicht noch höher sein. Verglichen mit anderen europäischen Metropolen ist das Anwohnerparken in Berlin auch nach der Erhöhung recht günstig.
Noch mal fünf Jahre ist aber ganz schön lange.
Das ist schon die Beschleunigungsvariante, bei der wir die Effekte der Digitalisierung nutzen werden. Wir werden die Kontrolle der Zonen digitalisieren – und das erfordert andere Schritte, kommt aber anders als die analogen Ansätze, bei der sehr viel Personal zu gewinnen wäre, überhaupt in akzeptablen Zeiträumen zum Ziel. Es fängt damit an, dass ganz andere Automaten zum Einsatz kommen. Da stellt sich aktuell also die Frage, ob wir diese herkömmlichen Geräte überhaupt noch beschaffen sollten.
Digital kontrollieren heißt, dass Kameras die Autokennzeichen regelmäßig scannen und dabei abgeglichen wird, ob die FahrerInnen bezahlt haben. Wozu braucht man das?
Ohne eine hohe Kontrolldichte erfüllt eine Parkraumbewirtschaftung nicht ihren Zweck, weil es sonst schnell zu Verstößen kommt. Und weil es uns auch im Ordnungsamt an Personal fehlt, wird eine Ausweitung der Parkzonen nach dem heutigen Prinzip immer schwieriger. Die digitale Kontrolle von Verstößen ist dagegen nicht so personalintensiv. Ein Modellprojekt soll 2023 starten, vorher brauchen wir noch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung, damit Halter*innen verpflichtet werden können, ihr Kennzeichen anzugeben. Die sollte allerdings bald kommen, denn die digitale Parkraumkontrolle steht auch im Koalitionsvertrag auf Bundesebene.
Sie sagten, auch das Ordnungsamt ist unterbesetzt. Aber immerhin ist es jetzt auch unter Ihrer Zuständigkeit, vorher war es lange SPD-Domäne. Ist das eine Chance?
Ja, weil sich dadurch viele Synergien und Schnittstellen ergeben – und die möchte ich nutzen. Aber auch in der Vergangenheit sind Straßen- und Grünflächenamt und das Ordnungsamt zum Beispiel bei der Verstetigung der Pop-up-Spuren auf dem Kottbusser Damm konzertiert vorgegangen.
Täuscht denn der Eindruck, dass der Bezirk bislang viel zu wenig Druck etwa auf FalschparkerInnen ausübt? Wie auf der Oranienstraße, da schert sich oft niemand um das Parkverbot.
Leider erlebe ich das Problem von rücksichtslosen Falschparker*innen, die mit ihrem Verhalten häufig andere Verkehrsteilnehmer*innen gefährden, in der ganzen Stadt. Hier brauchen wir einen stärkeren Fokus und mehr Kontrollen, um zu mehr Verkehrssicherheit zu kommen. Das Ordnungsamt kann mit seinen Personalkapazitäten im Allgemeinen Ordnungsdienst, also den Kolleg*innen, die Falschparken ahnden, leider nicht überall gleichzeitig sein. Aktuell sind im Bezirk im Allgemeinen Ordnungsdienst 34 Personen im Schichtdienst beschäftigt, die neben Falschparken auch die Infektionsschutzverordnung, das Grünanlagengesetz, illegales Müllabladen und viele andere Ordnungswidrigkeiten überprüfen sollen.
Aber es wird doch hier und da abgeschleppt …
Die Kolleg*innen führen regelmäßig sogenannte Schwerpunkteinsätze mit einem Abschleppunternehmen durch, das die falsch abgestellten Fahrzeuge umsetzt – gerade auch im Bereich der Oranienstraße. Aber leider sind solche Einsätze nicht nachhaltig. Sobald die Kolleg*innen weg sind, wird schnell wieder falsch geparkt. Ich habe erfreut zur Kenntnis genommen, dass die Koalition auf Landesebene den Ordnungsämtern den Rücken stärken wird. Die konkreten Maßnahmen müssen jetzt schnell benannt und umgesetzt werden. Auch die im Koalitionsvertrag angekündigte Prüfung einer digitalen Lösung zur Ahndung von Verkehrsdelikten im ruhenden Verkehr sowie die Ankündigung, die Schwerpunkteinsätze der Polizei im Sinne der Verkehrssicherheit zu verstärken, begrüße ich ausdrücklich.
Als Verkehrspolitikerin laufen Sie in Berlin Gefahr, dass die Mobilitätsverbände und -aktivistInnen Sie vor sich hertreiben. Keine sehr angenehme Position.
Natürlich ist es so, dass es eine hohe Erwartungshaltung gibt. Vieles geht ja auch nicht schnell genug, das empfinden wir in der Verwaltung doch genauso. Aber wir haben angefangen, wir werden schneller und wollen unser Bestes geben. Trotzdem wird der Druck nicht ausbleiben, das ist mir schon klar. Den gilt es auszuhalten. In gewisser Weise ist dieser Druck ja auch Motivation und Ansporn für uns. Denn er macht klar, dass es in der Zivilgesellschaft einen starken Willen zur Veränderung gibt – hin zu einer flächengerechteren Stadt.
Teilweise kommt er auch noch von der anderen Seite: Im Bergmannkiez und am Lausitzer Platz, wo Parkplätze weggefallen sind, protestieren etliche AnwohnerInnen.
Das ist richtig, es sind ja auch eingewöhnte Alltagsroutinen der Menschen, die durch das Verwaltungshandeln verändert werden. Aber für uns spricht, dass wir nicht nur durch unser Wahlergebnis legitimiert sind, sondern auch durch Umfrage- und Beteiligungsergebnisse. Da gibt es Zuspruch auf vielen Ebenen. Und die Erfahrung aus Städten, die schon weiter sind bei der Verkehrswende, zeigt, dass auch die Skeptiker*innen nach einer Übergangszeit die Vorteile stärker sehen als gegebenenfalls vorhandene Nachteile.
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