Stadtportrait Mainhatten: Frankfurt, deine Drogen

Die Geschichte der hessischen Metropole ist auch eine Drogengeschichte, die im Flughafen und mit amerikanischen GIs ihren Anfang nahm.

schwarz-weiß-Foto junge Menschen mit langen Haaren kiffen

Hasch-In in Frankfurt 1969 Foto: Abisag Tüllmann/ BPK

Hessen, das waren immer die anderen. Das lag nicht nur an meinen Eltern, die nicht von hier waren, sondern daran, dass unser Kaff einen S-Bahn-Anschluss nach Frankfurt hatte. Hessen ist geteilter als Berlin zu Mauerzeiten. Im südhessischen Rüsselsheim weiß man vom mittelhessischen Wetzlar oder nordhessischen Kassel bis heute immer noch weniger als der Prenzlauer Berg zu Honeckers Zeiten von Kreuzberg.

Zwar gilt der Weißwurstäquator Main als historische, konfessionelle und damit auch kulturelle Demarkationslinie, aber wahrer dürfte sein, dass die Hessen von dribbdebach (Südhessisch für: auf der anderen Seite des Mains) den Flussverlauf als praktische Barriere nutzen, um sich mit denen von hibbdebach (Südhessisch für: auf dieser Seite des Mains) nicht beschäftigen zu müssen. Frankfurt selbst bildet die eine Ausnahme: Der Main als Handelsstraße hatte immer verbindende Eigenschaft zwischen hibbde- und dribbdebach.

Auch wenn man wie ich in einem kleinen südhessischen Kaff aufgewachsen ist, hatte man im Rhein-Main-Gebiet eher das Gefühl, urban als dörflich zu sein, weil die Städte Wiesbaden, Darmstadt, Mainz genauso nah und eng beieinanderlagen wie die Apfel- und Zwetschgenäcker.

1980 aber wurden die Nummernschilder der Autos ausgetauscht. Wo früher FH für Frankfurt-Höchst stand, war jetzt MTK zu lesen. Was für eine Degradierung. Mit dem Kennzeichen Main-Taunus-Kreis wurde klargemacht, dass man Provinz war. Provinz mit Flughafenanschluss. Mit diesem hatte nicht nur Frankfurt, sondern die ganze Region einen privilegierten Zugang zu harten Drogen erhalten.

Zwischen Apfelacker und Autobahn war Heroin damals dauerpräsent. Da tauchte eine Cousine nicht mehr auf unseren Familienfesten auf, weil sie abhängig geworden war, da saß der Onkel einer Freundin in seiner Küche und bat uns 13-jährigen Schülerinnen eine Line Koks an. Da war der Skater aus der 10. Klasse, von dem es hieß, er sei in einer berüchtigten Grünanlage gefunden worden, tot. Da war der Mitbewohner in der Abi-WG, der eines Morgens mit den charakteristisch verengten Pupillen in die Küche kam. Da war der erste „feste“ Freund, der die S-Bahn nach Frankfurt nahm und mit einer Nadel im Arm in einer Bahnhofstoilette gefunden wurde, tot.

Haschwiese

Zu Hippiezeiten in den 1960er/70er Jahren war das Zentrum des Drogenkonsums in Frankfurt die „Haschwiese“ hinter der Alten Oper. Einen Anteil daran, dass Angebot und Nachfrage nach härteren Drogen schnell größer wurden, hatten die amerikanischen GIs, die in und um Frankfurt sta­tio­niert waren und die Heroin, das damals noch aus Südostasien kam, in Vietnam kennengelernt ­hatten.

Der damalige Oberbürgermeister Walter Wallmann ließ die Alte Oper renovieren und die Junkies vertreiben, was zwar das Ende der Haschwiese, nicht aber der Junkies war, die einfach ein paar Meter weiter in die Taunusanlage zogen, den einzigen Ort, den man als Jugendlicher in den 1980ern von Frankfurt kannte. Taunusanlage: ein Name, der immer fiel, wenn der Name Christiane F. fiel. Wer oder was Christiane F. war, wussten wir Kinder nicht; Terroristin oder Drogistin. Dass die F. nicht in Frankfurt, sondern in Berlin lebte, wurde mir erst später klar. Die Taunusanlage jedenfalls stand für absolut Böses, die Hölle auf Erden, die zu betreten den sicheren Tod bedeutete.

Fuhr ich mit der S-Bahn zum Shoppen, wurde mir eingebläut, bloß nicht an der Station Taunusanlage auszusteigen. Tatsächlich herrschte dort eine irre Mischung aus kaputten, dunklen und unangenehmen Gestalten: Banker, Broker und die Dealer- und Drogenszene.

Hofheim

Ich ging im Vordertaunus zur Schule, in Hofheim, einer südhessischen Kleinstadt, die in den 1980ern ebenfalls für eine reichhaltige Auswahl an Drogenverkaufsmöglichkeiten berühmt war. In der 7. Klasse plante ich mit meinen Schulfreundinnen, endlich an der Taunusanlage auszusteigen und da abzuhängen. Wochenlang waren wir aufgeregt, dass wir uns unter die Junkies mischen würden. Wir hielten die Szene für eine Art alternatives Open-Air-Festival. Damals waren täglich bis zu tausend Heroinjunkies dort. Niemand von uns hatte das Zeug bis dahin probiert, wir rauchten noch nicht mal Zigaretten. Als wir dann nach der Schule hinfuhren, waren wir total überwältigt von der Masse an Menschen. Es war richtig was los, die Sonne schien, und alles wirkte seltsam friedlich. Nach und nach erkannten wir Menschen, die sich völlig unaufgeregt ihre Droge zubereiteten und in die Arme spritzten. Aufregend war das nicht. Auch auf dem Weg zur Schule konnte man Leute in der Bahnhofsunterführung dabei zusehen.

Nach ein paar Stunden gingen wir wieder weg. Wir hatten nichts erlebt. Es war stink­öde. Die meisten Anwesenden schliefen im Stehen oder dösten während ultralangsamen Sprechens weg. Vielleicht war das der Grund, warum ich das Zeug nie angefasst habe, denn aufregend sah anders aus.

Die damaligen Diskussionen über den richtigen Weg zur Eindämmung des Dro­gen­pro­blems ähnelten der heutigen. Schon 1973 wurde das „Bundesmodellprojekt“ aufgelegt, eine Personal- und Sachmittelförderung für Therapie- und Hilfsprojekte. 1978 wurde der Paragraf 35 eingeführt, der zum ersten Mal das Konzept Therapie statt Strafe beinhaltete. Mit zu Hochzeiten täglich 150 Drogentoten und dem Aufkommen von HIV entwickelte sich aus diesen Modellen der Frankfurter Weg; immer noch ein Vorbild für den sogenannten „akzeptierenden“ drogenpolitischen Ansatz (frühe Präventionsmaßnahmen, Therapieangebote, repressive Maßnahmen nur gegen Händler).

Zombiezone

Vom Frankfurter Weg wurde allerdings in Frankfurt selbst abgewichen. In den 1990ern wurde die Szene aus der Taunusanlage vertrieben. Mit dem Ergebnis, dass sie nach einer Weile erneut zurückkam, diesmal ins Bahnhofsviertel. Dieses hat sich dank der rasanten Ausbreitung des Crackkonsums in den letzten Jahren in eine Zombiezone verwandelt, wo die Kaputtheit, die Aggressivität und der Konsum andere Kriminelle anziehen, die in dem unübersichtlichen Treiben zwischen Bordellbesuchern, Prostituierten und Abhängigen ihre Geschäfte machen.

Spricht man außerhalb von Frankfurt über Frankfurt, geht es selten um die Uni, die Linken, die Clubs oder Museen, sondern um die Crackjunkies am Bahnhof und darum, dass es dort schlimmer zugeht als in den Hochzeiten des Heroinkonsums. Inzwischen gilt der Frankfurter Weg als veraltet, der Züricher Weg als State of the Art. Er verfolgt eine repressivere Linie, was den Aufenthalt der Drogenszene auf der Straße betrifft.

Der kürzlich verstorbene Leiter des Frankfurter ­Präventionsrats, Klaus-Dieter Strittmatter, hatte insbesondere das Bahnhofsviertel unter seine Fittiche genommen und darauf gepocht, dass nicht die Junkies allein, sondern auch äußere Umstände das Bahnhofsviertel zu dem machen, was es heute ist. Alles habe Auswirkungen: Mit dem 9-Euro-Ticket kamen noch mehr Leute für wenig Geld in die Stadt, um sich Drogen zu besorgen.

Dazu die mediale Aufmerksamkeit und der Elendstourismus: Wie schon im Fall von Christiane F., wegen deren Geschichte busweise Schulklassen an den Berliner Bahnhof Zoo kamen, gilt das Frankfurter Bahnhofsviertel heute als instagrammable. Es gibt Stadtführungen durch die „Crack-City“, und es gibt Touristen, die, statt die Polizei zu rufen, lieber filmen, wie Obdachlose zusammengeschlagen und ausgeraubt wurden, um das dann im Internet zu posten.

Die Fitnesskette Kieser hat in diesem Jahr trotz hoher Kundenzahlen ihren Standort am Bahnhof aufgegeben, die Sparkasse 1822 letztes Jahr. Inzwischen gleicht das Bahnhofsviertel den Innenstädten von San Francisco oder Los Angeles. Tausende Quadratmeter Laden- und Büroflächen stehen leer. Darunter nur Elend.

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