Stadtplaner Mario Bloem über Glück: „??? im Gesicht“
Wie in Bhutan will Stadtplaner Mario Bloem die Bewohner der Stadt fragen, wie zufrieden sie sind, ob sie gut schlafen oder Streit mit Nachbarn haben.
taz: Herr Bloem, wenn Sie Stadtentwicklungspolitikern damit kommen, Methoden der Glücksforschung bei neuen Wohnungsbauvorhaben zu berücksichtigen, werden Sie belächelt?
Mario Bloem: Erstaunlicherweise nicht. Es wundert mich selber, aber gedanklich gehen die Türen auf. Die Idee, dass jeder Mensch glücklich sein möchte, wird mit einem Kopfnicken quittiert. Wenn es aber darum geht, wie das funktionieren soll, kommen die Bedenkenträger und sagen: Wir haben aber diese und jene Standards, sie können den Leuten doch nicht ihre Autos wegnehmen.
Welches Glück ist das?
Glücksforschung bedeutet Potenzialentfaltung, das heißt, dass man eben nicht vorgibt, was das Ergebnis sein soll. Deswegen kriegen manche Menschen Fragezeichen im Gesicht, weil sie dachten, wir kommen jetzt mit der fertigen Lösung, wie Glück sozusagen zusammengebaut wird. Das geht aber nicht. Glück muss sich entwickeln. Das passiert, wenn man Menschen die Möglichkeit gibt, zu gestalten und die Offenheit besitzt, auch ungewöhnliche Lösungen zuzulassen.
Heißt nicht die glückliche Entfaltung des einen, nehmen wir einen Autofahrer, die Beschränkung des Radfahrers?
Wenn man von einem Konkurrenzmodell ausgeht und sagt, des einen Unglück, ist des anderen Gewinn, dann könnte man zu diesem Schluss kommen. Aber in der Glücksforschung wird eigentlich deutlich, dass wir als Menschheit seit einigen tausend Jahren ein Kooperationsmodell haben. Es gibt ein Buch vom Wissenschaftsjournalisten Stefan Klein, der auch über die Glücksforschung geschrieben hat, und der sagt: Wenn der Altruist gegen den Egoisten antritt und der Egoismus das erfolgreichere Modell wäre, hätte die Evolution den Altruisten schon längst verschwinden lassen. Es gibt die Altruisten aber immer noch.
Aber wir leben doch in einer kompetitiven Gesellschaft, in der der Egoist den Altruisten tendenziell übers Ohr haut?
Dennoch haben die Altruisten das bessere Modell, weil sie kooperieren können und dadurch als Gruppe viel mehr erreichen als der Egoist, der sich zwar das größte Stück vom Kuchen geschnappt hat, aber niemanden mehr findet, der einen zweiten Kuchen mit ihm backt.
Eine optimistische Sichtweise...
Aus der Glücksforschung bekommen wir die Rückmeldung, dass die Altruisten die glücklicheren Menschen sind, auch wenn sie vielleicht ab und zu übers Ohr gehauen werden. Dabei wird geschaut, ob es Prinzipien gibt, die bei allen Menschen ähnliche Wirkungen haben. Zum Beispiel Angst, Furcht, Stress, das sind auch gesellschaftliche Phänomene, die durch Egoismus und Konkurrenzdenken verstärkt werden. Mit Bhutan hat sich ein ganzes Land ein anderes gesellschaftliches Entwicklungsziel, nämlich „Glück“ gesetzt – und nicht das Bruttoinlandsprodukt.
In Anlehnung daran sprechen Sie jetzt vom Brutto-Quartiers-Glück.
Daher kommt unsere Vorstellung, dass man so etwas wie Glück in Stadtquartieren messen sollte. In Bhutan werden die Bewohner auch mit einem Fragebogen gefragt, wie zufrieden sie sind, ob sie gut schlafen oder Streit mit ihren Nachbarn haben. Das sind simple Fragen, die aber für das Glück bedeutsam sind.
Was bedeutet das für die Stadtplanung?
Wir wollen jetzt in Hamburg schauen, ob es Stadtquartiere gibt, in denen die Menschen besonders zufrieden sind, weil sie miteinander gut umgehen. Das ist eine ganz andere Kategorie als nur zu fragen, wie viele Quadratmeter zur Verfügung stehen oder ob es eine Sammelheizung gibt.
Wie kann ein schwammiger Begriff Verwaltungshandeln beeinflussen?
Unser Vorschlag ist, dass ein Glücksfragebogen in Stadtteilen und Sanierungsgebieten angewandt wird. Dass man also nicht nur materielle, sondern auch emotionale Aspekte abfragt und berücksichtigt..
Wie steigert man das Brutto-Quartiers-Glück?
Am Anfang steht die Bestandsaufnahme, dann schaut man sich das Ergebnis der Analyse an und sucht nach dem richtigen Medikament: Das heißt, man pflanzt zum Beispiel 20 weitere Bäume oder stellt Bänke auf, damit sich die Nachbarn treffen können. Ein Jahr später testet man, ob sich etwas verbessert hat.
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