Stadtautobahn-Ausbau in Hannover: Neues Schnellwegdrama, erster Akt
Beim Ausbau des Westschnellwegs will man schlauer sein als beim Südschnellweg-Drama und hat Bürger:innen beteiligt. Die wollen lieber Verkehrswende.

J etzt liegen sie also auf dem Tisch, die Empfehlungen des Bürgerrates zum Westschnellweg. Nach dem endlosen Drama um den katastrophalen Ausbau des Südschnellweges will man dieses Mal schlauer sein.
35 Bürger und Bürgerinnen, per Los bestimmt, sollten für eine kluge, sachorientierte Auseinandersetzung sorgen und Lösungsvorschläge entwickeln, die am Ende nicht zu Dauerprotesten und Baumbesetzungen führen. Und zu einer gigantischen Stadtautobahn, die eigentlich keiner will.
Und siehe da: Offenbar finden solche Bürger Klimaschutz tatsächlich wichtig und das Abholzen von Naherholungsgebieten nicht so gut. Sie wollen nicht, dass hier zehn Jahre an einer doppelt so breiten Straße gearbeitet wird, die am Ende nicht einmal einen Fahrstreifen mehr hat, sondern bloß einen Standstreifen. Sie möchten, dass auch der öffentliche Nahverkehr und der Rad- und Fußverkehr Berücksichtigung finden. Verrückt, wie grün die klingen, diese Bürger.
Jetzt warten wir mal, wer als Erstes anfängt, den Auswahlprozess zu bekritteln. Denn normalerweise ist es ja so: „Der Bürger“ oder „die Leute“, (in Redaktionskonferenzen früher gern auch „unsere Leser“) ist eigentlich mehr so eine wabernde Figur im Kopf des Sprechers, die herangezogen wird, um die eigene Position zu stärken und Ansprüche abzuwehren. Diese Figur setzt sich zusammen aus irgendwelchen Leuten, mit denen man in der vergangenen Zeit gesprochen hat. Oder von denen man Social-Media-Kommentare gelesen hat.
Daraus formt sich dann ein Eindruck von „die Bürger wollen das so“, „das verstehen die Leute nicht“ oder „das interessiert unsere Leser nicht“. Wobei Zeitungen natürlich mittlerweile Klickzahlen auswerten können, was aber auch noch nichts besser gemacht hat. Wenn jedenfalls diese ominösen Bürger/Leute/Leser plötzlich keine amorphe Masse mehr sind, in die man alles mögliche hineininterpretieren kann, wird das meistens schwierig. Das kratzt auch oft sehr unangenehm an eigenen Gewissheiten.
Das Charmante an Bürgerräten ist, dass sie zumindest ansatzweise die Bubble durchstechen und die üblichen Verdächtigen außen vor lassen. Hier sitzen eben nicht die, die sich schon seit x Jahren mit dem Thema befassen und eine klare Agenda haben.
Die Wirtschaft fühlt sich nicht repräsentiert
Eine Schlagseite haben sie aber natürlich trotzdem: 2.000 zufällig gezogene Personen aus den betroffenen Stadtteilen und der Umgebung wurden angeschrieben. 95 bekundeten Interesse. Aus denen wurden wiederum 35 ausgelost. Man versucht dabei, eine Ausgewogenheit und Repräsentativität nach Geschlecht, Alter, Bildungsgrad, Wohnort und Migrationshintergrund herzustellen. Aber natürlich ist das oft nicht so leicht, weil manche Gruppen dazu tendieren, sich lieber nicht zu Wort zu melden.
Nicht repräsentiert fühlte sich übrigens die Wirtschaft. Kaum lagen die Empfehlungen auf dem Tisch, äußerte die IHK Kritik über die lokale Presse und forderte einen eigenen Wirtschaftsrat. Und der ADAC hat Sicherheitsbedenken: So eine Standspur erhöhe eben auch die Sicherheit für Einsatzkräfte am Unfallort, heißt es.
Die Debatte ist also noch lange nicht am Ende. Und auch die zuständige Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr übt sich im Erwartungsmanagement. Man werde die Empfehlungen sorgsam prüfen und umsetzen, soweit es möglich ist. Das könnte am Ende auch heißen: Man schreibt sehr ausführliche Begründungen, warum das so leider alles nicht geht. Das ist ja neben der wabernden Bürgerfigur die zweite Lieblingsfigur im politischen Diskurs: Wir würden ja gern, aber wir können ja nicht. Vielleicht muss der Bürgerrat dann doch noch auf den Baum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!