Stadionsprecher über 50 Jahre im Job: „Ich habe kein Spiel verpasst“

Jubilar Robert Moonen, Stadionsprecher bei Alemannia Aachen, spricht über die Eventisierung im Fußball, die Magie eines Pokalfinales und Katar.

Fans im Stadion in gelbem Rauch.

Schwachmaten, die glauben Pyros abbrennen zu müssen, Fans vom Alemannia Aachen in der Regionalliga 2022 Foto: Manfred Heyne/imago

Stadionsprecher haben bisweilen einige Prominenz: Arnd Zeigler redet in Bremen, Norbert Dickel in Dortmund. Matthias Opdenhövel war Sprecher in Mönchengladbach, Werner Hansch auf Schalke, Reiner Calmund quatschte mal LeserkusenerInnen zu. Und bei Olympia 1972 am Mikrofon: Joachim Fuchsberger.

wochentaz: Herr Moonen, Sie sind seit 1972/73, da war Willy Brandt noch deutscher Bundeskanzler, Stadionsprecher bei Alemannia Aachen, also seit 50 Jahren. Welches war denn das erste Spiel?

Robert Moonen: Tja, kann ich gar nicht mehr sagen. Im Herbst 1972 habe ich vertretungsweise ein, zwei Spiele gemacht, stringent war das dann ab Anfang 1973. Aber genaues Datum und Gegner weiß ich nicht mehr.

76, war Verwaltungsamtsinspektor, Geschäftsführer in der Spielcasino-Gastronomie, hatte 32 Jahre ein Modegeschäft und war zeitweilig DJ. Beim Ex-Bundesligisten Alemannia Aachen, jetzt Regionalliga West, ist er seit 50 Jahren Stadionsprecher.

Wie schade – also ein Jubiläumsspiel kriegen Sie nicht definiert?

Leider nicht.

Aber Sie haben seit 1973 kein Spiel verpasst?

Totalaufnahme vom Stadion von Alemannia Aachen vor einer Partie im Jahr 2006

Intensive Fußballatmosphäre: Alemannia Aachen im alten Stadion 2006 beim Spiel gegen 1860 München Foto: Ulmer/imago

Nein, keines. Auch vorher nicht, höchstens bei meiner Kommunion. Ich gehe seit 1956 zum Tivoli, da war ich zehn.

War es irgendwann knapp? Haben Sie sich mal krank zum Mikro geschleppt?

Nee, einmal war ich heiser und konnte kaum sprechen. Als ich danach die Pressekonferenz moderieren wollte, war die Stimme komplett weg.

Ist 50 eigentlich Weltrekord, oder kennen Sie langjährigere Kollegen, vielleicht einen John Abercrombie beim englischen Drittligisten FC Alltime United London?

Weiß ich nicht, keine Ahnung.

Über 50 Cheftrainer haben Sie seit 1972/73 ansagen dürfen in sieben verschiedenen Ligen. Dazu 2004/2005 vier Spiele Uefa-Cup in Köln – war das das Highlight?

Ja, war es. Allein schon weil es die ersten internationalen Spiele waren und dann als Zweitligist im Stadion des verhassten 1. FC Köln. Das Spiel gegen den französischen Vizemeister Lille (1:0, d. Red.) hat sich bei mir besonders eingefressen, weil es das wahrscheinlich beste Spiel war, das je eine Alemannia-Mannschaft gemacht hat. Und da war das Pokalendspiel 2004 in Berlin. Da sind ja immer die Stadionsprecher beider Mannschaften, damals Arnd Zeigler von Werder Bremen und ich halt. Ich war schon sechs Tage vorher in Berlin, hab für den Verein ein paar administrative Sachen miterledigt und Tag für Tag mehr erlebt, welch großes Ereignis so ein Pokalendspiel ist. Diese unvorstellbare Friedlichkeit der Fanmassen. Als Fußballfan läuft dir da das Herz über. Ich glaube, es liegt an der riesigen Tradition und dass beide Fanlager die gleiche lange und emotionale Strecke bis zu diesem Tag gegangen sind. Das verbindet.

Früher waren Sprecher in der Kabine unsichtbar, heute moderieren sie am Spielfeldrand. Besser?

Definitiv. Du kriegst die Emotionen besser mit, kannst auch mal einen Trainer runterholen, wenn es zu aggressiv wird. Ich kann da schon was bewirken. Neulich hatten wir einen Becherwurf, Linienrichter getroffen, Spielabbruch. Wenn das schon passiert ist, kann ich mir sparen durchzusagen: Bitte unterlassen Sie … Dann kommt nur der Nächste auf die Idee. Vor Jahren hatten sich nach einer Niederlage mal ein paar hundert Fans sehr aggressiv vor der Tribüne versammelt, weil sie, na ja: den Vorstand sprechen wollten. Der leitende Polizeibeamte hat mich gebeten: Auf dich hören die! Ich sollte aus dem sicheren Polizeiauto sprechen. Hab ich gesagt: Mach ich nicht, sondern bin mit Megafon direkt da hin und hab erst mal gesagt: Nehmt mal bitte die Vermummung runter, sonst rede ich nicht. Hat sofort geklappt, und wir haben uns gut unterhalten.

Ein Stadionsprecher ist also auch Sozialarbeiter?

Kann man so sagen. Und DJ. Anfangs hatten wir zehn Jahre die gleiche Kassette. Heute stellen meine Lebensgefährtin und ich die Stücke jedes Mal zusammen. Musik ist sehr wichtig geworden. Mich kann auch jeder mit Vorschlägen ansprechen. Ich muss ja die Ultras bedienen, die Sponsoren, die normalen Besucher. Wenn Musik im Hintergrund läuft, etwa „You ’ll never walk alone“, funktioniert das Singen besser als ohne. Andererseits war die spontane Kreativität der Fans früher deutlich höher.

Sie sprechen Ultras schon mal als Schwachmaten an, einer Ihrer Lieblingsbegriffe.

Sag ich auch mal durch, wenn ich richtig am Dampfen bin. Aber nur indirekt. Nicht: Ihr Schwachmaten, hört auf. Sondern: Es gibt immer noch Schwachmaten, die glauben Pyros abbrennen zu müssen. So was. Und: Schwachmaten greift jemanden nicht total an, klingt doch eher flapsig.

Alemannia ist auch in der Regionalliga ein hochemotional aufgeladener Traditionsverein mit oft 10.000 ZuschauerInnen bei Regionalligaspielen. Aber der Stadionsprecher Moonen ist ’ne coole zurückhaltende Socke, ohne mehrfaches Gebrülle des Torschützen wie woanders. Vielfach ist das Ansagertum selbst zur Show geworden?

Ja, furchtbar. Sprecher machen sich selbst zum Event. Neulich war ich München, sechs Tore, jeder Torschützenname wird dreimal gebrüllt, immer lauter. Oder der Sprecher brüllt nach einer Torwartparade herum: Unsere Nummer 1 … schrecklich. Es gibt ja sogar Sprecher, wie in Leipzig, die sich extra verkleiden, rotes Sakko und so. Und dann Tanzeinlagen machen. Ich bleibe lieber sachlich. Die Show entfernt von der Basis, die die Vereine ja überall erreichen wollen. Der DFB reist bei Länderspielen überall mit eigenem Team an, mit eigenem Event-Stadionsprecher. Die vor Ort bleiben außen vor. So ist alles immer gleich, und dann kommt die Bitte, so, jetzt mal die Fähnchen rauszuholen. Solche Versuche von Stimmungsmache. Als hier in Aachen mal ein Länderspiel war, wurde ich gebeten, als Reserve zu kommen, falls was passiert. Dafür gab es sogar einen Obolus. Ansonsten 50 Jahre nur Ehrenamt.

Heute müssen Sie auch Werbeansagen machen, da werden Auswechslungen präsentiert oder ein Torerfolg: „Und wieder liegt der Gegner hinten …

… ein tolles Tor dank Nobis Printen.“

Ist der Reim von der Bäckerei vorgegeben? Oder haben Sie poetisch mitgewirkt?

Ich wandle den Spruch schon mal ab: Ein super Tor, ein toller Schuss – wie Nobis Printen ein Genuss. Das ist von mir.

Ihr Markenzeichen: Nach der Durchsage des Torschützen, und neuem Spielstand sagen Sie „danke, danke“ und die Tribünen antworten „bitte, bitte“ statt „danke“, „bitte“ wie woanders.

Die Idee hatte morgens ein Kunde in meinem Geschäft. Nachmittags direkt probiert. Und es kam sofort „bitte, bitte“ zurück.

Haben Sie beim ersten deutschen Geisterspiel, 2004 Alemannia – Nürnberg, auch wie immer in der zweiten Halbzeit die Zuschauerzahl durchgegeben?

Hab ich. Sinngemäß: Und hier die Zuschauerzahl – die Alemannia bedankt sich bei 21 Pressevertretern und etwa 60 Sicherheitskräften. Und hab mich wie immer fürs Kommen bedankt.

Ihr schönster Fehler?

Als Gegner habe ich mal Wismut Aue begrüßt, kurz nach der Wende. Da hießen die längst Erzgebirge Aue.

Es gibt Schlimmeres. Der Sprecher von Waldhof Mannheim ist nach 29 Jahren gerade zurückgetreten, weil er, wohl unbeabsichtigt, einem gestorbenen Neonazi eine Ansage gewidmet hat.

Ach, der wusste doch um die Hintergründe. Da musst du immer sehr vorsichtig sein, wen du da erwähnst.

Auch bei Union Berlin werden Nachrufe verlesen, bei Alemannia auch Fan-Geburtstage. Ist das alles spielrelevant?

Ach, Geburtstage sind doch okay. Einmal hatte ich eine Frau neben mir stehen, die wollte ihren Freund aus dem S-Block rufen lassen. Der kam auch. Sie fragte: Willst du mich heiraten? Sagt der: Nee, ähh …, nicht hier öffentlich, so plötzlich. Das muss ich mir überlegen … Der arme Kerl. So was haben wir dann gelassen.

Abschlussfrage, Herr Moonen: Was machen wir mit Katar? Gucken, ignorieren, boykottieren? Oder 5 Euro pro gegucktem WM-Spiel an Amnesty spenden?

Fünf Euro an Amnesty? Super, bin ich sofort dabei, versprochen. Aber Boykott? Das macht die Menschenrechtslage nicht besser. Ich kann ja nicht ein ganzes Land an die Wand nageln. Ich müsste an den Grund des Übels gehen – und das ist die Abgehobenheit des Fußballs: Infantino, die Fifa. Vielleicht gucke ich die deutschen Spiele. Es wird auch unheimlich viele Menschen in den arabischen Ländern geben, die stolz wie Bolle sind. Aber durch die Debatten ist ja bei Abermillionen Erdenbewohnern angekommen, was in diesem Land los ist. Und ansonsten: Regionalliga läuft ja weiter.

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