Stadionsicherheit im deutschen Fußball: „Der Rechtsstaat wird umgangen“
Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hat ein Sicherheitskonzept für den Stadionbesuch erarbeitet. Die Fanbeauftragten erklären, warum sie dagegen protestieren.
taz: Herr Markhardt, Sie sind Sprecher der bundesweiten Fanvereinigung „ProFans“. Frau Schwedler, Sie sind im Fanclubsprecherrat des FC St. Pauli. Erklären Sie doch mal: Was will die DFL mit diesem Konzept?
Philipp Markhardt: Auf den 33 Seiten wird von „Fans“ geredet – aber es ist klar: Bei Stehplätzen oder Zaunfahnen geht es um Ultras.
Sandra Schwedler: Betroffen sind alle Fans.
Warum nimmt die DFL nun die Ultras in den Fokus?
Markhardt: Ultras sind für Verbände nicht berechenbar. Sie sind geschlossen, solidarisch – wenn es um so etwas wie das DFL-Konzept geht, ruht jede Rivalität. Die Verbände verstehen die Ultras nicht, sie kommen ihnen nicht bei. Alle Repressionen, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, alle Einschränkungen, haben nur dazu geführt, dass die Ultras noch solidarischer untereinander werden und das Verhältnis zu den Verbänden sich verschlechtert.
Wer in der DFL hat sich „Sicheres Stadionerlebnis“ eigentlich ausgedacht?
Schwedler: Wir nicht, kein Vertreter der Fans.
Markhardt: Und keiner, der in den Stadien mit Sicherheit zu tun hat.
Schwedler: Das Konzept wurde sicher nicht in den zwei Sitzungen erarbeitet, die da mit Vereinsvertretern von Bochum, Bayern, VfB Stuttgart, Dortmund, Eintracht Frankfurt und dem FC St. Pauli sowie Vertretern der DFL stattgefunden haben. Das hat die „Task Force Sicherheit“ der DFL vorbereitet.
Wie kam das Konzept an die Öffentlichkeit?
Schwedler: Das sollte es nicht. Der Auftrag an die Vereinsvertreter lautete, herauszufinden, was die Fans davon halten. Bei uns hat das Präsidium unter anderem das Fanprojekt zu seiner Meinung gefragt, die wiederum die über 500 Fanclubs, und dann ging es ganz schnell.
Inzwischen kann sich jeder das Konzept unter publikative.org herunterladen. Was kommt von den Fußballverbänden und was von den Landesinnenministern, die auch daran beteiligt sind?
Markhardt: Die Beschränkung der Kartenkontingente für Gästefans und die Abschaffung der Stehplätze – das kommt von Politikern, die überhaupt keine Ahnung haben.
Sandra Schwedler, 32, arbeitet für die Fanvereinigung „ProFans“ und den „Fanrechtefonds“, der Geld für zu Unrecht in Gerichtsverfahren verstrickte Fans sammelt. Mitglied im Fanclubsprecherrat des FC St. Pauli.
Philhipp Markhardt, 32, Mitglied der „Chosen Few“, einer Ultragruppierung des Hamburger SV. Sprecher der bundesweiten Fanvereinigung „ProFans“ und Mitherausgeber des HSV-Jubiläumsbuchs „Kinder der Westkurve“.
Wie plant die DFL, das Konzeptpapier nun umzusetzen?
Markhardt: Die DFL wartet auf Rückmeldung von den Vereinen. Ein paar Reaktionen von Vereinen, die das nicht gut finden, haben sie ja schon: Union Berlin, FC St. Pauli, Hertha BSC Berlin, Eintracht Frankfurt, 1. FC Kaiserslautern, Erzgebirge Aue, FSV Mainz 05 , 1. FC Köln, Fortuna Düsseldorf, VFL Wolfsburg, FC Augsburg, 1860 München, SC Freiburg, Dynamo Dresden und auch vom Hamburger SV. Bei der DFL-Mitgliederversammlung am 12. Dezember sollen die Vereinsvorstände das Konzept beschließen.
Wie findet die DFL die Diskussion, die jetzt stattfindet?
Schwedler: Die DFL hat kritisiert, dass sich Vereine wie Union Berlin öffentlich positionieren.
Auf Seite 5 des Konzepts ist vom „befriedeten Bereich des Stadions“ die Rede.
Schwedler: Das hat was mit dem juristischen Begriff des Hausrechts zu tun, da gibt es den „befriedeten Bereich“. Sprachlich wird hier der Eindruck erweckt: Fußball ist Bürgerkrieg.
Auf derselben Seite steht auch, dass das Stadionerlebnis „weiterhin sicher zu gestalten“ ist.
Markhardt: Ja, das ist paradox. Das Konzept sagt, dass das Stadionerlebnis sicher ist, und dann kommen 28 Seiten mit Vorschlägen, die unterstellen, das es nicht sicher genug ist. Da fragt man sich: warum?
Schwedler: Der Eindruck, dass ein Stadionbesuch nicht sicher ist, wurde auch durch eine unkritische Medienbetrachtung erzeugt – etwa zum Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC. Und man darf nicht vergessen, dass dieses Thema eine Möglichkeit für Innenpolitiker ist, sich zu profilieren. Die haben Druck.
Markhardt: Zum Beispiel wegen der NSU.
Schwedler: Genau. Da ist es gut, Aktivität zu zeigen, was die Ultras anbelangt. Und das trifft sich wiederum mit den Interessen der DFL und auch eines Teils der Medien.
Welches Interesse hat die DFL?
Markhardt: Was nicht kontrollierbar ist, ist nicht zu vermarkten. Das ist ihr Problem.
Die DFL packt die stärkste Waffe aus, die sie hat?
Markhardt: Ja, das Lizenzierungsverfahren. Wenn das Konzept umgesetzt wird, gefährden Fans, die gegen die Regeln verstoßen, die Lizenz ihrer Vereine. Vereine, die das unterschreiben, liefern sich den Fans und der Entscheidungswillkür der DFL aus.
Schwedler: Die DFL soll der operative Arm der Vereine sein – und nun entwickelt die ein Eigenleben und bedroht die Vereine.
Die Vereine werden für ihre Fans haftbar gemacht?
Schwedler: Genau. Die Vereine sollen ihren Fans Druck machen – und die Fans sich gegenseitig, um den Kodex einzuhalten, der im Konzept vorgeschlagen wird.
Das ist schlau.
Markhardt: Ja, das ist es. Die kommen mit dem Lizenzentzug, weil sie mit Geldstrafen nichts erreichen. Sie wollen die Fans in gute und schlechte spalten. Die Guten sind die Braven, die bekommen das, was im Konzept „Privilegien“ heißt – und sollen dann den Ultras Druck machen, weil sie um ihre Privilegien fürchten.
Privilegien wie …?
Markhardt: … Zaun- und Blockfahnen. Obwohl ich nicht weiß, seit wann Fahnen ein Privileg sind. Brave Fans sind unmündige Konsumenten, und die will die DFL im Stadion sehen.
Wie wird das laufen?
Markhardt: Wenn meine Gruppe eine Blockfahne über den ganzen Block zieht, und darunter zündet einer, der nichts mit uns zu tun hat, Pyrotechnik, ist die Blockfahne verboten. Das zielt auf gegenseitige Kontrolle.
Schwedler: Ich will nicht Fanpolizei anderer Fans sein.
Ein Vermummungsverbot soll auch kommen.
Schwedler: Ja, mit der Begründung, dass Leute, die Pyrotechnik zünden, wegen einer Sturmhaube auf dem Video nicht zu erkennen sind. Es können auch Schals sein oder Mützen.
Und das „Videoüberwachungssystem“ und die „Personenkörperkontrollen“ an den Eingängen?
Schwedler: Bei den Videos geht es um ein System, bei dem man die Bänder vor- und zurückspulen kann: ranzoomen. Das soll in allen Stadien obligatorisch werden. Bei Kontrollen in Containern am Eingang wollen sie in die Körperöffnungen gucken.
Was ist da so interessant?
Schwedler: Sie denken, in den Körperöffnungen wird Pyrotechnik transportiert – was kompletter Blödsinn ist. Was da vorgeschlagen wird, das geht in einem Rechtsstaat nicht.
Das Stadion – ein rechtsstaatsfreier Raum?
Schwedler: Den Eindruck haben wir. Die Innenminister sollen für die DFL die Gesetze verschärfen, den Datenschutz aushebeln. Der Rechtsstaat wird umgangen: So sollen etwa Stadionverbote möglich sein, auch wenn Verfahren nach Paragraf 170 II Strafprozessordnung eingestellt werden. Da entsteht ein Fußball-Unrechtsstaat.
Werden Sie den Kodex unterschreiben, von dem Ihre „Privilegien“ abhängen?
Schwedler: Bei einer Fanclub-Delegiertenversammlung des FC St. Pauli wurde beschlossen: Wir unterschreiben keinen Kodex.
Markhardt: Wir auch nicht. Es geht jetzt um die Frage, wie wir als Fans zeigen, dass wir das nicht wollen.
Schwedler: Genau. Heute ist ein Fantreffen in Berlin, da wird über diese Frage diskutiert.
Hat die DFL die Premier League zum Vorbild: Sitzplätze, sehr teure Tickets, keine Atmosphäre, bürgerliche Mittelklasse im Stadion?
Schwedler: Die unberechenbare Gruppe der Ultras, die selbst organisierten Fans, die für die Unberechenbarkeit des Spiels stehen, sollen raus. Fans, die mehr Geld bringen und keinen Ärger machen, auch keinen politischen, sollen rein.
Markhardt: Das Gute ist, dass die Sache jetzt auf dem Tisch ist. Alle müssen sagen: Wollt ihr so einen Fußball, oder wollt ihr ihn nicht?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste