Staatspräsidentenwahl in Italien: Stabil im Notstandsmodus
Ein Votum für Stabilität, aber auch Nötigung: Sergio Mattarella bleibt Italiens Staatschef und Mario Draghi Ministerpräsident.
D iese Lösung muss man wohl kreativ nennen. Italiens 80-jähriger Staatspräsident Sergio Mattarella darf nicht in die wohlverdiente Rente gehen, er muss sich mit seiner Wiederwahl abfinden. Und Regierungschef Mario Draghi, der so gern Staatsoberhaupt geworden wäre, muss als Ministerpräsident weitermachen.
Mit einem kräftigen „Weiter so!“ haben die 1.009 Wahlleute in Rom für Bewahrung gestimmt. Für die Bewahrung der fragilen Stabilität des Landes, die niemand so verkörpert wie das Team Mattarella-Draghi. Für die Bewahrung aber auch ihrer eigenen Abgeordneten- und Senator*innensitze, da nun die vorzeitige Auflösung des Parlaments abgewendet ist, die bei Kampfkandidaturen von rechts und links fürs Präsidentenamt ebenso im Raum gestanden hätte wie bei einem Umzug Draghis ins Präsidentenpalais und der nötigen Bildung einer neuen Regierung.
So gesehen war Mattarellas Wiederwahl eine gute Entscheidung, kauft sie doch Italien ein weiteres Jahr Stabilität. Zugleich war sie eine schlechte Entscheidung. Nicht umsonst wehrte Mattarella sich bis zuletzt gegen eine zweite Amtszeit. Diese gilt als Verstoß gegen den Geist der italienischen Verfassung. Nur einmal, 2013, kam es zu einer Wiederwahl, von Giorgio Napolitano.
Damals wie heute grenzt das Verhalten der Wahlleute und ihrer Parteien an Nötigung im Amt, erzwingen sie doch Wiederwahlen, die von den scheidenden Präsidenten nicht gewollt waren. Dahinter steckt die Unfähigkeit der Parteien, zu anderen Lösungen zu kommen: Im Parlament gibt es seit 2013 keine organischen politischen Mehrheiten mehr.
Das aber liegt an großen Teilen des italienischen Wahlvolks, die seinerseits auf Bewahrung der eigenen Schizophrenie aus sind. Gerade Wähler*innen der Rechten goutieren zwar Männer der Mitte wie Mattarella und Draghi – am Ende aber wählen sie regelmäßig Krawallschachteln wie Matteo Salvini oder Giorgia Meloni und sorgen so für ein Parlament, in dem Kompromisse nur im Notstandsmodus möglich sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen