Staatsbürgerschaft im Steuerparadies: Zweitpass zum Schnäppchenpreis
Tropenstürme haben manche Karibikstaaten zerstört. Diese betreiben nun mit dem Verkauf von Staatsbürgerschaften den Wiederaufbau.
Weil der Karibikinsel Barbuda nach dem Tropensturm „Irma“ im Herbst das Geld auszugehen droht, sucht Premierminister Gaston Browne dringend nach ausländischen Investoren und bietet ihnen die Staatsbürgerschaft an – zu einem regelrechten Schnäppchenpreis.
Der Hurrikan hatte die Insel im September verwüstet und zeitweise unbewohnbar gemacht. 1.800 Bewohner mussten evakuiert werden. Die Schäden beziffert Browne, der Regierungschef von Antigua und Barbuda ist, auf rund 85 Millionen Euro. Der Wiederaufbau muss schnellstens passieren, denn 70 Prozent des BIP werden normalerweise mit den Einnahmen aus dem Tourismus erwirtschaftet. Weil kaum jemand versichert ist, ist aber von den Assekuranzen kaum Geld zu erwarten. Ökonomisch ist die „Insel über dem Wind“, die zum britischen Commonwealth gehört, am Ende.
Premier Browne wirbt deshalb um Investoren. Wer mindestens 100.000 US-Dollar (etwa 85.000 Euro) mitbringt, versprach er in einer Ansprache im Parlament von St. John’s, der soll im Gegenzug die Staatsbürgerschaft des Landes bekommen. Für viele Reiche ist das attraktiv: Auf den meisten Karibikinseln gibt es keine oder kaum Vermögens- oder Erbschafts-, manchmal noch nicht einmal Einkommenssteuern. Zudem kann man als Staatsbürger visafrei in mehr als 120 andere Länder reisen. Und manch einer hat vielleicht einfach gerne einen Zweitpass als Absicherung für schlechtere Zeiten.
Tatsächlich gibt es das Angebot „Pass gegen Kohle“ schon länger, aber bisher mussten die um Diskretion bemühten Geldgeber deutlich mehr Geld auf den Tisch legen: mindestens die doppelte Summe. Plus eine Bearbeitungsgebühr von fast 50.000 US-Dollar, plus 300 Dollar für den Pass selbst.
Aber derzeit scheint es einen Dumping-Wettbewerb zu geben. Nachlässe gibt es derzeit nicht nur auf Barbuda. Die Nachbarinsel St. Kitts hat den Preis für ihre Staatsbürgerschaft halbiert, Dominica und St. Lucia wollen nachziehen.
14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
Warum, ist offensichtlich: Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass der Verkauf von Staatsbürgerschaften in St. Kitts 2014 rund 14 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beigetragen hat. Derzeit gehe es auf einzelnen Inseln um bis zu 19 Prozent, „bei insgesamt stark steigender Tendenz“. Schätzungen anderer Quellen belaufen sich sogar auf bis zu 30 Prozent.
Karibikökonomen halten nichts von den Preissenkungen. Berater Madhi Mohammed kritisierte, dass St. Kitts und Nevis versuche, die Wettbewerbsfähigkeit ihres Staatsbürgerschaft-gegen-Geld-Programms „auf Kosten seiner karibischen Nachbarn“ zu verbessern. Dominica habe bereits jede andere Einnahmequelle verloren, sagte der Vorstandsvorsitzende von Guide Consultants, einer Beratungsfirma für „Citizenship by Investment“.
Keines der Länder reagiert auf Presseanfragen zu diesem Thema. Und selbst der IWF klagt über zunehmend fehlende Transparenz über die genauen Einnahmen: Wer möchte schon gerne als finanzkräftiger Kapitalnomade mit Drang zum Zweitpass, dass Hinz und Kunz weiß, dass man sich für alle Fälle noch andere Ausweispapiere erkauft hat.
Die Karibikinseln sind nicht die einzigen Länder, die solche Programme anbieten. Außer in Antigua und Barbuda, Dominica, Grenada, St. Kitts und Nevis, St. Lucia ist es auch in Europa möglich, die Staatsbürgerschaft zu kaufen – in Österreich, Zypern und Malta.
Staatsbürgerschaft als Ware
„Staatsbürgerschaft wird damit zu einer Ware auf dem Weltmarkt“, kritisiert Bert Hoffmann. Der Politikwissenschaftsprofessor an der FU Berlin leitet das Berliner Büro des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien. Mit Geld verschafften sich Reiche das „Privileg eines hochwertigen Zweitpasses“.
Während früher die Staatsbürgerschaft durch Abstammung – ius sanguinis – oder Geburt in dem Land – ius solis – definiert war, spreche man inzwischen von einer neuen Form, eine nationale Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Privilegien zu bekommen: dem ius pecuniae, dem Recht des Geldes.
Zur prekären ökonomischen Basis und der Tourismusmonokultur kommt auf den Kleinen Antillen noch die Verwundbarkeit durch Hurrikans. Von Mai bis November ist das halbe Jahr lang mit furiosen Stürmen zu rechnen.
Verwüstungen wie zuletzt in Antigua und Barbuda und Dominica seien nicht nur eine momentane humanitäre Katastrophe, gibt der Politikwissenschaftler zu bedenken. Sie bedeuteten auch über Jahre hinaus enorme „Schäden für die wirtschaftlichen Perspektiven der Insel“. Zudem seien Hurrikans kein einzigartiger Schicksalsschlag. „Der Klimawandel wird diese Probleme noch verschärfen“, sagt Hoffmann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht