piwik no script img

Sprachproblem Kasachisch versus RussischZankapfel auf der Speisekarte

In der UdSSR verdrängte Russisch als Lingua franca die nationalen Sprachen der Republiken. Bis heute sorgt die Dominanz des Russischen für Streit.

In welcher Sprache ist wohl die Speisekarte? Cafészene in Astana (Kasachstan), April 2023 Foto: Grigory Sysoev / Sputnik Asta

M anchmal bekomme ich Videos, in denen Passanten, zum Beispiel in den USA, gefragt werden: „Was wissen Sie über Kasachstan?“ Die Antwort: „Das ist irgendwo in Russland“, habe ich seltsamerweise öfter gehört. Aber es gibt auch das Gegenteil. Wenn Menschen erfahren, dass viele Kasachen Russisch sprechen, wundern sie sich manchmal: „Aber das liegt doch gar nicht in Russland!“

Война и мир – дневник

Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.

Das Sprachproblem ist eines der größten Probleme in Kasachstan, so wie in vielen anderen Ländern Zentralasiens. Alle diese Länder haben früher einmal zur Sowjetunion gehört, wo Russisch die Lingua franca für die interethnische Kommunikation war. Die nationalen Sprachen gerieten langsam in Vergessenheit und galten als „optional“. Darum ist es gar nicht erstaunlich, dass man jetzt, wo es den Trend zur Dekolonialisierung gibt – und der Krieg in der Ukraine hat diesen Trend noch verstärkt – auf das Ignorieren der kasachischen Sprache in Kasachstan sehr heftig reagiert.

Im vergangenen März zum Beispiel gab es deshalb einem Skandal in den sozialen Netzwerken. Irgendwer hatte den Chatverlauf von Mitarbeitern einer Barkette in Almaty veröffentlicht, in dem das dortige Führungspersonal geäußert hatte, sie würden unter keinen Umständen kasachische Musik in ihren Läden spielen. Sie können, so hießt es dort, nur englische und russische Musik spielen. Die kasachische Sprache vertrüge sich nicht mit ihrem Image.

Es folgten viele wütende Kommentare. Unter anderem wurde angemerkt, dass es in diesen Bars auch keine kasachische Speisekarte gebe. Menschen begannen, abwechselnd englisch- und kasachischsprachige Lieder zu singen und das zu posten. Die Leitung der Kette beeilte sich schließlich, ihre Aussagen zu korrigieren.

Bild: privat
Khadisha Akaeva

geb. 1994. Lebt und arbeitet in der Stadt Semei, früher Semipalatinsk (Kasachstan). Journalistin, Wirtschafts- und Daten-Analystin. Arbeitet als freie Korrespondentin für den kasachischen Dienst von Radio Free Europe/Radio Liberty.

Im Nachgang sprach ich mit einer Bekannten über den Fall. Sie begriff überhaupt nicht, warum Leute der Bar vorschreiben wollten, wie sie dort zu arbeiten hätten. „Stell dir einfach mal vor, man würde bei einem italienischen Restaurant in Kasachstan fragen:,Warum spielt ihr nur italienische Musik? Macht mal kasachische an.' Dabei ist es doch ein italienischer Laden“, sagte sie sichtlich genervt.

„Die Leute reagieren so, weil es sie stört, dass man dort russische Lieder spielen darf, aber kasachische nicht erlaubt sind“, erklärte ich. „Sie haben keinen Bock mehr auf diese Haltung und die Diskriminierung aufgrund ihrer Sprache. Und sie haben recht.“

In vielen Läden der Unterhaltungsgastronomie gibt es keine Speisekarten auf Kasachisch. In der Stadt Semej, in der ich lebe, kann man sie an einer Hand abzählen. Doch heute achten die Leute stärker darauf. Nicht immer läuft das friedlich ab: Im Februar wurden Gäste, die in einem Café in Almaty nach einer kasachischen Speisekarte fragten, als „Faschisten“ beschimpft. Immerhin: Die Besitzer haben sich später entschuldigt.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.

Ein Sammelband ist im Verlag edition.fotoTAPETA erschienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das dürfte auch daran liegen, dass Putins Busenfreund Nasarbajew einen Klon des Putin-Systems in Kasachstan betrieb und damit schon vor zwanzig Jahren so weit in der Unterdrückung, Bespitzelung und Verfolgung seiner (teilweise auch



    vermeintlichen) Gegner gelangt war, wie Putin erst seit dem Ukrainekrieg.



    Der Einsatz der russischen Truppen gegen die Kasachen und der (wenigstens, aber eben nur offizielle) Rückzug Nasarbajew dürfte den Kasachen gezeigt haben, dass es möglich ist, gegen beide aufzustehen, was sie nun auch tun.



    Das andere Problem in Kasachstan dürfte in den weder kasachischen noch russischen Bevölkerungsanteilen bestehen und vor allem hinsichtlich der Seite, auf die diese sich schlagen werden: die von Stalin exilierten. Da hätten wir Krim-Tartaren, Deutschstämmige, Russischstämmige, Koreaner, kurz um, alle Väterchen Josip unlieben Sowjetbürger, deren Nachkommen in Kasachstan einen nicht zu vernachlässigenden Anteil darstellen, aber eben nur von der Anzahl her, nicht von der politisch/wirtschaftlichen Macht, die dürfte immer noch zwischen dem Nasarbajew-Clan und russischen Oligarchen aufgeteilt sein.

    • 8G
      80410 (Profil gelöscht)
      @Roman Herrle:

      Ach, wenn man Verwandte dort hat weiß man, dass mit Toqajew da jetzt schon ein etwas anderer Wind weht als unter Nasarbajew, besonders gegenüber der russischen / russlanddeutschen Bevölkerung im Norden des Landes. Die einstigen Privilegien dieser Gruppe werden infrage gestellt, das betrifft nicht nur die Sprache sondern auch allgemein die Stimmung im Land. Die Kasachen kann ich in dieser Hinsicht völlig verstehen, ihre Kultur und Sprache wurde unterdrückt und vielerorts auch "exotisiert". Trotz des Rufs nach russischen Truppen bei den Ausschreitungen konnte man aus Kasachstan in den letzten Monaten auch leichte andere Signale, z.B. an den Westen, mitbekommen.

      Deswegen bleibt Kasachstan immernoch ein autoritärer Staat im Dunstkreis des Kreml. Aber dem Vorwurf, Nasarbajew hielte weiterhin alle Fäden in der Hand und alles wäre beim Alten, wird der Lage meiner Meinung nach nicht gerecht. Einen kleinen Hinweis darauf gibt die Umbenennung der Hauptstadt Astana als "Würdigung Nasarbajews" in Nur-Sultan, was Toqajew 2020 wieder revidieren ließ.

      Viele der Angehörigen der angesprochenen russlanddeutschen Minderheit verlassen aufgrund dieses leichten Umschwungs bereits das Land. Aber der Weg führt sie leider viel zu oft Richtung Russland.