Sportphilosoph Stern: "Fußball ist auch weiblich"
Die deutschen Fußballfrauen sind bei der WM in China erfolgreich. Trotzdem gilt Frauenfußball immer noch als unsexy. Warum hält sich das so hartnäckig?
taz: Herr Stern, Sportlerinnen waren bis vor einigen Jahrzehnten Außenseiterinnen. Wieso hat sich das geändert?
40, ist Sportphilosoph und forscht im Bereich "Kulturen des Performativen" an der Freien Uni Berlin.
Stern: Die Nachkriegszeit hat eine enorme Dynamik im Sport freigesetzt, das sportliche Engagement der Frauen hat sich heute im Vergleich zu den 50er-Jahren verdoppelt und damit paritätisch angeglichen. Man kann das im Nachhinein als Ausdruck der Emanzipation lesen.
Besonders im Fußball?
Ja, Frauen dringen in eine ehemals männliche Domäne ein. Dadurch wird sie als solche angezweifelt. Das spiegelt auch die Veränderung klassischer Geschlechterrollen. Es muss eine gesellschaftliche Grundlage dafür geben, dass Frauen überhaupt in den Fußballsport einsteigen - und das trotz der Vorbehalte.
Am Sport sind also die Rollen der Geschlechter in einer Gesellschaft ablesbar?
Unbedingt. Der Sport macht die Geschlechterrollen besonders sichtbar. Das sportliche Engagement der Frauen, die paritätische Verteilung weisen darauf hin, dass sich die Geschlechterrollen wandeln. Das heißt aber nicht, dass Geschlechterdifferenzen deshalb aufgehoben werden. Es gibt immer noch Unterschiede in der Art und Weise, wie der Sport getrieben wird und welche Sportarten vorzugsweise von Männern und Frauen gewählt werden.
Worin unterscheiden sich denn Fußballerinnen von Fußballern?
Obwohl sie das gleiche Spiel spielen, tun sie noch lange nicht dasselbe. Da zeigt sich die Differenz der allgemein-gesellschaftlichen Geschlechterrollen. Besonders der Sport und die Medienberichterstattung über Wettkämpfe haben aber einen hohen Anteil an den zumeist stereotypen Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern.
Welche Bilder sind das?
Nehmen Sie Beach-Volleyball. Hier wird in das Reglement eingegriffen, sodass die Sportart für die Medien interessanter wird: Der seitliche Hosenbund einer Frau darf nicht breiter als fünf Zentimeter sein. Für Frauen besteht eine Kleidungsordnung, für Männer aber nicht. Mit dieser Strategie soll gezielt Medieninteresse provoziert werden. Im Mediensport treten keine neutralen Körper auf, sondern es werden sexualisierte Körper herausgestellt. Und das schon seit langem.
Im Fußball wurden ja auch schon femininere Trikots und Hosen gefordert.
Eine fußballspielende Frau produziert auch Bilder, genauso wie die moderne Tänzerin. Und hierüber werden bestimmte Weiblichkeitsideale dargestellt, teilweise auch mit Absicht gebrochen oder ironisierend zur Schau gestellt - wie es im zeitgenössischen Tanz zu sehen ist, wo bewusst mit Männlichkeits- und Weiblichkeitsidealen gespielt wird. Das ist im Fußball nicht der Fall. Um Fußball zu spielen, muss man sich bestimmten Bewegungsweisen und Körpertechniken hingeben, den Ball mit dem Fuß treten und in einen direkten Körperkontakt mit den Gegenspielerinnen treten. Mit klassischen Vorstellungen von Weiblichkeit geht das nicht einher.
Es liegt also an der Sportart selbst, dass Frauen nicht weiblich wirken, wenn sie Fußball spielen?
Nein, aber die typischen Bewegungen des Fußballs sind keine grazilen Bewegungen, weder bei den Männern noch bei den Frauen. Aber die gesellschaftlichen Bilder von Männlichkeit passen sehr viel besser zu solchen betont kraftvollen Bewegungen und vor allem zum kämpferischen Aufeinanderprallen oder Stürzen. Die Bilder von Weiblichkeit verbindet man eher mit graziler, eleganter Bewegung und vor allem mit einer anderen ästhetischen Form von Wettkampf. Nehmen wir Tennis oder Volleyball, zwei Domänen des Frauensports: Hier wird kraftvoll und dynamisch gekämpft, aber distanziert, getrennt durch ein Netz, direkter Körperkontakt ist hier verboten.
Man kann den Fußball also gar nicht weiblicher machen?
Aus Sicht der Geschlechterforschung würde ich jedenfalls nicht dafür plädieren. Ich finde, der Frauenfußball sollte die Probleme damit, sich durchzusetzen, nach Möglichkeit aushalten. Eines ist doch ganz klar: Offensichtlich ist es auch weiblich, Fußball zu spielen. Durch die Medienpräsentation und die enormen Erfolge der deutschen Fußballerinnen besteht eine große Chance, quasi die neuen Bilder von Weiblichkeit im Mediensport selbstbewusst zu vertreten. Das könnte ein bedeutsamer Schritt sein, um stereotype Körperbilder aufzubrechen und größere Spielräume zu schaffen.
INTERVIEW: JUTTA HEESS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!