Sportgeschichte: „…die bekannte Rennfahrerin“
Gertrude Eisenmann aus Hamburg war Pionierin des Rad- und Motorsports. Nun jährt sich der Geburtstag der gebürtigen Engländerin zum 150. Mal.
Es war eine „großartige, für eine Dame wohl einzig dastehende Leistung“, schwärmte eine Hamburger Zeitung im August 1900 über eine Radrennfahrerin. Ihr Name: Gertrude Rodda, später als Gertrude Eisenmann bekannt. Sie nahm als einzige Frau am 250 Kilometer langen Radrennen von Hadersleben – dem heutigen Haderslev in Dänemark – nach Hamburg teil. Im Ziel wurde sie ohnmächtig und musste filmreif vom Rennrad getragen werden.
Mitte der 1890er Jahre zieht die junge Frau, die vor 150 Jahren, am 21. Dezember 1875 im englischen Littlehampton geboren wurde, inmitten des kolossalen Fahrradbooms nach Hamburg und tritt hier dem Damen-Radfahr-Verein St. Georg Wanderlust bei. 1898 nimmt sie erstmals an der „Distanzfahrt“ Hadersleben–Hamburg teil. Radrennen wie Wien–Berlin (1893) und weitere regionale Wettfahrten entfachen ein regelrechtes Rennradfieber in Deutschland.
Besonders mutige und sportliche Frauen fahren in den 1890er Jahren auf Herrenrädern mit Oberstange und tragen deutlich praktischere Hosen („Pumphosen“). Deutschlandweit finden Frauenrennen auf Radbahnen statt, doch nur wenige wagen sich wie Gertrude Rodda in ein rein männliches Starterfeld. Im männlich dominierten Deutschen Radfahrer-Bund regen sich viele darüber auf. 1900 verbietet der Dachverband generell die Teilnahme von Frauen an Radrennen.
Gertrude Eisenmann über Lob, dass sie eine gute Rennsportlerin Sei
Gertrude Rodda wendet sich deshalb, vielleicht auch ein wenig aus Trotz, dem jungen Motorsport zu. 1901 heiratet sie den Fahrrad- und Autohändler Max Eisenmann und tritt bald unter ihrem neuen Namen Gertrude Eisenmann sportlich in Erscheinung. 1905 triumphiert sie auf einem Motorrad der Marke „Neckarsulm“ („NSU“) beim 660 Kilometer langen Rennen Eisenach–Berlin–Eisenach. Der schwäbische Hersteller macht sie anschließend zur populären Werbefigur zahlreicher Zeitungsannoncen.
Unerschrocken, resolut, verwegen
Die Fachzeitschrift Das Motorrad feiert sie 1905 als „Meisterin des Motorrads“. Selbst in den USA wird über sie berichtet, die Zeitschrift The Motor Way schreibt etwa über „England’s Star Women Motorists“. Für Gertrude Eisenmann sind dies überflüssige Lobeshymnen, auf die sie nüchtern antwortet: „Es wundert sich doch niemand darüber, wenn eine Ente schwimmt, und ebenso wenig darf er sich wundern, wenn eine Repräsentantin auch etwas im Sport leisten kann.“
Gertrude Eisenmann ist die erste Hamburgerin mit einem eigenen Auto. Ihren Wagen steuert sie in Rennen wie der „Prinz-Heinrich-Tourenfahrt“ 1908. Der Autohersteller August Horch adelt sie rückblickend als „eine ebenso unerschrockene wie resolute und verwegene Fahrerin“. Sie ist wohl überhaupt die populärste Automobilistin in Deutschland in der Pionierzeit nach der Jahrhundertwende. Das Hamburger Fremdenblatt bezeichnet sie 1909 als „die bekannte Rennfahrerin und Sportlady“.
In den 1920er Jahren wird es vergleichsweise still um sie. Am 15. Januar 1933 stirbt Gertrude Eisenmann völlig überraschend im Alter von 57 Jahren in Hamburg. Für ihren jüdischen Mann Max Eisenmann beginnen nur wenig später demütigende Jahre der NS-Verfolgung; er stirbt 1940 im Alter von 79 Jahren an chronischen Magengeschwüren in Hamburg.
Gertrude Eisenmann, geborene Rodda überwand wie selbstverständlich die seinerzeit so starren Geschlechterrollen und förderte, wenn auch nicht explizit, mittels Sport den Feminismus im Kaiserreich. Als Pionierin machte sie sich einen Namen auf dem Fahrrad, dem Auto und dem Motorrad.
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