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Sport ohne DopingbannKeine autonome Entscheidung

Ein deutscher Schwimmer geht bei den Enhanced Games auf Rekordjagd. Der Sportkapitalismus erreicht eine neue Dimension.

Auf Prämienjagd: Schmetterlingschwimmer Marius Kusch Foto: dpa

N un hat sich also auch ein deutscher Athlet gefunden: Schwimmer Marius Kusch, Ex-Kurzbahn-Europameister, nimmt 2026 bei den Dopingspielen „Enhanced Games“ in Las Vegas teil. Die Wettbewerbe, die mithilfe von Doping neue Rekorde produzieren sollen, sind von unsterblichkeitssuchenden Überreichen aus dem Trump-Universum und von der Pharmalobby finanziert, darunter deutschstämmige Milliardäre wie Peter Thiel und Christian Angermayer.

Schon aufgrund der langen deutschen Dopinghistorie und der mächtigen deutschen Pharmaindustrie ist nicht überraschend, dass nun auch ein deutscher Sportler das vermeintliche Tabu bricht. Zumal Kusch ins Profil passt: ein Mann am Ende seiner Karriere, der mit den sagenhaften Prämien seine Familie absichern will. Ein Feld, in dem der organisierte Sport versagt.

Schnell gab es die erwartbare Kritik an ­Kusch. „Die Enhanced Games stehen diametral zu allem, wofür der Sport steht“, so Schwimm-Präsident Jan Pommer. Die Empörung mag echt sein, doch sie ist Selbstbetrug. Die Enhanced Games sind keine Verirrung, im Gegenteil: Sie sind die logische letzte Zuspitzung des kapitalistischen Leistungssports.

Dort galt schon immer: Alles für den Rekord. Olympische Ath­le­t:in­nen sterben früher als die Durchschnittsbevölkerung, leben später oft mit massiven Gesundheitsschäden. Die Linie zwischen legalem und illegalem Doping war stets willkürlich und wird systematisch überschritten. Die ideologische Grundlage des Raubbaus für Rekorde hat der Verbandssport gelegt.

Inszenierte Männlichkeit

Die Enhanced Games treiben das mit dem Baukasten der libertären Rechten auf die Spitze: Vermeintliche Ehrlichkeit statt bürgerlicher Druckserei, Kapitalinteressen inszeniert als antibürgerliche Revolte. Am Ende, das ist die bittere Ironie, zahlen Sport­le­r:in­nen wie Kusch vielleicht mit ihrem Leben für die Lebensverlängerung von Überreichen. Es sind die Spiele, die die Gegenwart verdient. Konsequent auch, dass bisher nur eine einzige Frau dabei ist. Es geht, wie immer, um inszenierte Männlichkeit.

Unterschätzt ist, was all das strukturell bedeutet: Überreiche können zunehmend ihre eigenen Weltsportevents organisieren. Die Enhanced Games werben damit, ohne staatliche Unterstützung oder Steuergelder auszukommen. Das ist natürlich eine Lüge: Die Großkonzerne dieser Investoren profitieren massiv von staatlichen Aufträgen, Subventionen oder Steuerbefreiungen. Weiter finanziert die Gesellschaft diesen Sport – aber ohne jedes Recht, dabei mitzusprechen. Ein Demokratieverlust, der so noch wenig beschrieben ist. Die Investoren agieren auch mit faschistoidem Gedankengut.

Die proklamierte Schaffung eines „super human“ erinnert ungut an den „Übermenschen“, den die Nazis von Nietzsche adaptiert haben. Das libertäre Vokabular – auch Kusch spricht von einem Umfeld, das „Leistung wertschätzt und uns die Möglichkeit gibt, unsere Karriere selbst in die Hand zu nehmen“ – unterschlägt, dass für fast alle Sport­le­r:in­nen die enormen Preisgelder ausschlaggebend waren. Eine autonome Entscheidung über den Körper ist das nicht. Aber vielleicht fühlt es sich danach an, je mehr man dabei von Freiheit redet.

Gut möglich, dass die Spiele, die ohnehin eine chaotische Genese hatten, ein Rohrkrepierer werden oder in Vorwürfen versinken wie einst das Nike Oregon Project. Trotzdem könnten die Folgen weitreichend sein. Wenn die Kartellklage gegen World Aquatics und die Welt-Anti-Doping-Agentur Erfolg hat, entsteht ein noch massiverer Dopingdruck auf Ath­le­t:innen. Im Hobbysport dürften sich die Produkte so oder so stärker verbreiten. Immerhin: Die Zeiten für Ath­le­t:in­nen sind günstig, mehr Geld als die jämmerlichen 4 Prozent der Olympia-Einnahmen vom IOC zu fordern.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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