„Sport Illustrated“ vor dem Ende: Abpfiff und Niederlage
„Sports Illustrated“ stand für Sportjournalismus mit literarischer Qualität. Ein Rückblick auf dessen ehemalige Strahlkraft.
Als John Walters Ende der 80er Jahre von Sports Illustrated als Redakteur eingestellt wurde, dachte er, er sei im Himmel gelandet. Wie viele sportbegeisterte US-Kids war Walters mit dem Magazin groß geworden. In seinem Schulspind hingen Sports-Illustrated-Titelbilder, und wenn der Postbote das Heft bei der Auslieferung verknickt hatte, warf Walters ihm grimmige Blicke zu.
Besonders smarte Formulierungen aus den Berichten lernte er auswendig, die Features über Athleten waren in seinem Freundeskreis Pflichtlektüre. „Wir wussten, dass Sports Illustrated klüger und besser war und vor allem seinem Thema, Sport, leidenschaftlicher zugewandt als jedes andere Magazin am Kiosk.“
Walters wurde Anfang der 2000er Jahre während der ersten großen Printkrise von Sports Illustrated entlassen. Im Rückblick sei er froh, dass er schon damals gehen und nicht das traurige Dahinsiechen des Magazins in den vergangen Jahren miterleben musste. Spätestens, seitdem der Time Verlag 2018 Sports Illustrated an die Meredith-Gruppe der rechts-konservativen Koch-Brüder verscherbelte, war das Ende abzusehen.
Am vergangenen Freitag entließ Sports Illustrated einen Großteil seiner Belegschaft, einige dürfen vorerst noch 90 Tage bleiben. Sowohl die Print- als auch die Onlinepublikation würden weitergeführt, hieß es, doch Urgestein Walters weiß, dass das nicht mehr lange weitergehen wird. „Die Redaktion ist wie ein Baseballspieler, der im neunten Inning 12 Punkte zurückliegt.“ Will heißen: sie kämpft einen verlorenen Kampf und ist froh, wenn endlich abgepfiffen wird.
Sportjournalismus mit literarischer Qualität
Vermissen wird Walters Sports Illustrated freilich kaum, jedenfalls nicht die jüngste Iteration des Blattes, das einst als „Bibel des Sports“ galt. Die Zeiten, in denen das Magazin mit hohem literarischem Anspruch die Geschichte des Sports in Amerika erzählte, sind lange vorbei. Zuletzt machte Sports Illustrated Schlagzeilen, weil es einen KI Bot als Reporter ausgab. Es war der traurige Tiefpunkt einer langen Abwärtsspirale.
Wie damals schon die New York Times prophezeite, war der Verkauf an die Koch-Brüder der Anfang vom Ende. Die Kochs verkauften Sports Illustrated nach nur einem Jahr an die „Brand Management“-Firma Authentic weiter, die ihr Geld unter anderem damit verdiente, die Namen prominenter Sportler zu vermarkten. Authentic verramschte den Namen Sports Illustrated an Hersteller von Diätpillen, die Produktion der journalistischen Inhalte wurde an die „Content-Creation“-Agentur Arena vergeben. Arena ersetzte nach und nach die Redaktion durch Billigkräfte, die vor allem Masse zu produzieren hatten.
So trauert Walters heute auch weniger dem Magazin selbst hinterher als vielmehr einer Ära des Sportjournalismus, die schon seit einiger Zeit zu Ende gegangen ist. Sports Illustrated stand für eine angelsächsische Tradition, die den Sport als Quelle großer Erzählungen würdigte. Die Reportagen maßen sich an den Sportgeschichten von Hemingway, Joyce Carol Oates, David Foster Wallace und Norman Mailer. Eine Geschichte in Sports Illustrated unterzubringen war ein Ritterschlag, der unter Schreibern beinahe so umkämpft war wie ein Abdruck im New Yorker.
Bilder, die bleiben
Gleiches galt für die Fotografie. Die Titelfotos von Sports Illustrated, die ikonisch wurden, sind nicht zu zählen – gleich, ob es nun das Bild von Muhammed Ali über dem niedergeschlagenen Sonny Liston war, das Bild des fliegenden Michael Jordan, das zum Nike-Logo wurde, oder das Cover des 17 Jahre alten LeBron James, das ihn zum „Auserwählten“ deklarierte.
Das Zusammenspiel von Bild und Text formte die Art und Weise, wie die Geschichte des Sports in Amerika erinnert wird. Wer an den Sensationssieg der US-Eishockeymannschaft bei den Olympischen Spielen von 1980 denkt, wird immer das Sports-Illustrated-Foto der jubelnden Mannschaft im Moment des Sieges im Kopf haben.
Diese hohe Kunst des Storytellings hat heute im amerikanischen Sportjournalismus keinen Platz mehr. Die führenden Portale ESPN und The Athletic sind Fan- und ergebnisorientiert. Und zuletzt stellte die New York Times ihre Sportseiten ein, die das letzte Reservat von Long-Form-Features darstellten. Wenn heute noch Sportgeschichten erzählt werden, dann sind es immer häufiger Auftragsarbeiten von Sportvermarktern, die Dokumentationen für die gängigen Streamingdienste produzieren lassen. Die literarische Tiefe fällt dabei jedoch zumeist der Message Control zum Opfer.
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